Eine Frage des Glaubens

  • Es war unerwartet , denn der Rausch hatte keine Ähnlichkeit mit dem des Alkohols. Ja, es hatte Zwischenfälle gegeben , bei denen ganze Gruppen von Menschen sich im Staub wälzten oder kichernd über Marktplätze taumelten.

    Aber die Dosis hier war die richtige. Und deswegen wurde es allen drei zuerst nur extrem schwindelig. Ihr Körper sackte hilflos weg - die Sinne schwanden ihnen, bis die vollkommene Ohnmacht sie gleich zu umfangen schien -

    Dann riss der Faden. Und ihr Geist war frei.

    Frei vom Körper, der noch über dem Stuhl gebeugt war. Frei von Erschöpfung und Hunger . Für alle drei hatte es wohl mehr Zeiten des Leids als dieser Freiheit gegeben !


    Nairas Geist erhob sich und sah die anderen beiden an.

    "Wollt ihr die Gärten sehen?"

  • Sir Richard stand vor dem weggetretenen Körper des Paters und musterte ihn. Es war Jahre her, dass er sich selbst in einer Silberscheibe gesehen hatte. Alt war er geworden. Sein Bart war zur Hälfte ergraut und sein Haar schüttern. Aber am meisten erstaunte ihn der Umfang seines Leibes. „Fett bist Du geworden, alter Mann. Kein Wunder, dass Dir das Kämpfen schwer fällt. Du solltest besser auf Dich Acht geben.“, sagte er zu seinem alter Ego. Dann blickte er zu Nairas Geist hinüber, der neben ihrem Körper schwebte. Der Anblick verblüffte ihn. Als er an sich hinab sah, stellte er fest, dass auch seine Füße den Boden nicht berührten. Trotzdem konnte er sich fortbewegen. Er beschloss, dass diese Art von Freiheit doch etwas sehr Praktisches hatte. „Die Gärten? Aber sehr gerne,“, antwortete er auf ihre Frage, „aber können wir denn unsere Körper hier einfach so zurück lassen? Was ist, wenn ihnen etwas geschieht?

  • „Ihr könnt ganz beruhigt sein“, versicherte ihm das Fräulein Salbei, das eben noch ihren eigenen Körper inspeziert hatte und inzwischen zu ihm herüber geschwebt war. „Wir atmen, und der Herr Uruk wird ganz bestimmt gut auf uns aufpassen. Aber Ihr hättet mir ruhig sagen können, dass ich einen leichten Silberblick habe“, flüsterte sie ihm zu. Sir Richard sah sie fragend an. „Ich schiele! Warum habt Ihr das nie erwähnt?

    Man nennt das Pietät“, flüsterte er zurück, „etwas, das ich verabsäumte, Euch beizubringen!“ Der Geist der jungen Frau funkelte ihn an, aber anstatt ihn zu beachten, wandte sich Sir Richard ihrer Gastgeberin zu. „Lasst uns die Gärten erkunden, bevor wir wieder zu uns kommen. Wir folgen Euch schwebenden Fußes.

  • Nairas Geist drehte sich zur Tür und schwebte voran - durch die Tür, über den Flur und dann geradewegs durch die nächste Wand.

    Sie drehte sich nicht um. Schwarzes Haar floss hinter ihr her, als bewege sie sich unter Wasser ....


    Die Sonne war inzwischen fast untergegangen. Im Zwielicht flog der Schemen der Elfe in träumerischer Langsamkeit auf die Hügel zu. Silbergraue Kräuter standen in dichten Büscheln, dahinter ragten die höheren Stauden und Bäume in dunklem Grün auf.


    Naira schwebte darüber , wartend. Ihr Gesicht war auf einen Felsen gewandt, der zwischen der Vegetation hervorragte. Sie schien entrückt, aber nicht nur durch die Drogen. Das Seltsame, Abweisende in ihrer Person war wieder deutlich greifbar - doch in diesem Licht, in dieser Pose wirkte es wie tiefe Melancholie und Verlassenheit .

  • Sir Richard gefiel diese neue Art von Leichtigkeit. Er kreuzte die Beine vor sich, raffte seinen Mantel in den Schoß und schwebte seiner Gastgeberin hinterher. Von baulichen Hindernissen ließ er sich nicht aufhalten, gab aber peinlich auf seine Umgebung Acht. Keinesfalls wollte er so unhöflich sein, durch Lebewesen oder gar Humanuide hindurch zu segeln.

    Das Fräulein Salbei tollte vergnügt zwischen den Pflanzen umher. Bald verschwand sie im Boden, um sich Wurzelstöcke anzusehen, bald schwebte sie in der Krone eines Baumes oder stieg hoch über das Haus, um den Anblick des Landes im Abendlicht zu genießen. Schließlich kam sie zurüch zu Sir Richard und Naira, die vor einem Felsen Halt gemacht hatten. Der Prior sah sie mahnend an, wie er es stets tat, wenn er sie davon abhalten wollte, das Wort zu ergreifen. Eine andächtige Stimmung hatte sich über den Garten gelegt. Selbst die Tiere und Pflanzen schienen inne zu halten, um jedes störende Geräusch zu vermeiden. Die beiden Besucher waren sich unsicher, wozu diese Platz diente. Allerdings waren die Gefühle, die hier in der Luft lagen, geradezu greifbar. Mensch und Natur ergingen sich in ... Gedenken. In Gedenken und Trauer.

  • Ein Ulu hätte sich vielleicht an Mama Lanu erinnert gefühlt, die Gottheit des Mondes, die über dem Hügelkamm und dem angrenzenden Wald ihre Macht ausbreiten zu schien.

    Magie lag über allem.

    Kam es von den träumeschenkenden Kräutern? Den dunklen Büschen? Dem Licht selbst oder ihren fremden, kostbaren Geistkörpern, die sich einer anderen Sphäre näherten auch wenn ihre Gedanken nicht anders konnten, als weltlich zu sein?

    Nur ihr Gemüt geriet immer mehr in den Bann dieser Stimmung.


    Und als schon einer gerade etwas sagen wollte, um sich daraus zu lösen und diese bleierne, gleichzeitig erhabene Stille von sich abzuwerfen -

    trat hinter dem Felsen eine Gestalt hervor.

    Offenkundig konnte sie die drei Schwebenden nicht wahrnehmen, denn sie schlenderte mit einem missmutigen Blick auf die Kräuter zwischen den Büschen heraus und blieb gedankenverloren am obersten Beet stehen,

    über die leeren Felder schauend.


    Es handelte sich um einen jungen Mann, genauer ein Spitzohr mit hellem Haar. Seine Kleidung war im Gegensatz zu Nairas dunkelbraun oder schwarz und ziemlich ungewöhnlich: Sein Oberkörper war bedeckt von einer Lederrüstung, die durch einfache geschnitzte Linien verziert war. Doch waren sie in Quadrate unterteilt, die gegeneinander gedreht waren, so dass sich eine Art Karomuster ergab.

    An den Unterarmen trug der Mann jedoch die gleichen, kompliziert verschlungenen Muster wie Naira, gold auf braun, so dass es wohl Absicht war, dass der Brustpanzer soviel schlichter gestaltet war.

    Es passte nicht zusammen. Genauso wenig wie der lange baumelnde Schurz, den er über der einfachen Hose trug. Ein silberner Streifen verzierte seinen Rand, sonst war er ohne jedes Abzeichen oder Muster - und auch das schien nicht zu passen.

    Das Eigenartigste aber war die Maske über seinen Augen. Sie bestand aus glänzendem gehärteten schwarzen Leder und ihre Ränder waren abgerundet, aber die Form wirkte eigenartig asymmetrisch und wie etwas Lebendiges - ein wucherndes Gewächs, das die obere Hälfte seines Gesichts verbarg. Nur seine Augen leuchteten deutlich erkennbar in einem helleren Ton als die Nairas, und auch seine Haut war wesentlich heller.


    Er presste die Lippen zusammen und blickte über die Felder zum Wald hin, auf den auch Naira vorhin gestarrt hatte. Dann ging er los.


    Naira hingegen schwebte zeitgleich auf die Stelle zu, aus der der Mann eben gekommen war. Hinter dem kleineren Felsen befand sich ein größeres Massiv, in dem sich eine Höhle auftat.


    Das Spitzohr schien zuerst hinein zu wollen, zögerte aber doch und drehte sich jetzt das erste Mal zu den beiden anderen um: "Hier ziehen wir die Grubenwürmer! Es sind oberflächliche Höhlen mit Tümpeln voller Schlamm. Nicht interessant für Menschen. Das nächste Mal zeige ich euch die Arus. Sie sind friedlich, wenn sie nicht wissen, dass ihr da seid! Wir haben dort drüben auch Nüsse -"

    Sie deutete mit ihrer fahl durchsichtigen Hand über die Kräuterfelder zu einem langgestreckten Streifen, auf dem im regelmäßigen Abstand Bäume gesetzt waren. Aus der Entfernung hatten sie wie eine Fallobstwiese gewirkt.

    "Daraus machen wir Öl. In dem Haus dort -"

    Sie deutete wieder zum Gehöft.

    "- ist die Töpferei für dien Ölgefäße. Wir verschicken jetzt auch die Grubenwürmer in Tonbehältern. So bleiben sie länger am Leben."


    Damit bewegte sie sich zurück zu den Gebäuden. Die Räume der Töpferei waren anscheinend die einzigen aus Stein errichteten Gebäude in Kjona, abgesehen von der Höhle.

  • "Und all diese Dinge, die Ihr anbaut oder herstellt, nutzt Ihr diese als Handelswaren? Oder könnt Ihr Euch autark versorgen? Legt Ihr Vorräte für den Winter an? Müsst Ihr das überhaupt tun, oder könnt Ihr das ganze Jahr über ernten?", fragte Sir Richard seine Gastgeberin interessiert. Bisher hatte er sich wenig Gedanken darüber gemacht, wovon die Menschen auf dem Kontinent lebten. Nun aber erwachte sein Interesse für Organisation und Gemeindekultur wieder. "Und Ihr müsst mir verraten, was Ihr mit diesen Grubenwürmern macht. Ihr verschickt sie lebend in Tongefäßen? an wen?" Es brannten ihm noch viele weitere Fragen unter den Nägeln, etwa, wieviele Menschen hier noch lebten, wie sie sich organisierten, ob es eine Herrschaftsstruktur gab, und vieles mehr, das üblicherweise zu einem Gemeinwesen gehörte.


    Das Fräulein Salbei indes blickte noch lange dem Spitzohr mit den hellen Augen und dem hellen Haaar hinterher. Woher er wohl gekommen und wohin er wohl gegangen war? Hatte er ihre Anwesenheit spüren können? Er schien so gedankenverloren gewesen zu sein. "Sagt, werte Naira", fragte sie schließlich, immer noch abschweifend, so als spräche sie mehr zu sich selbst, "was ist dies für ein Ort? und wer war der Mann dort vorhin? Ist er ein Krieger? Gehört er zu Eurem Stamm? Er schien Euch irgendwie ... ähnlich zu sein".

  • Naira sprach erst wieder, als sie nahe am Gebäude waren.

    "Dir Uruks und ich jagen und fischen, Enten sind auf dem See, dazu Nüsse und Pflanzen... jetzt sind Menschen gekommen, wie ihr. Sie werden Hühner halten und wollen Häuser bauen. Der Wald hat uns genug für den Winter gegeben, bisher. Aber jetzt werden sich die Dinge verändern. Mehr Leute, nicht nur Uruks, möchten Würmer geschickt bekommen. Viele im Norden und im Westen und auch einige im Süden essen sie gerne..."


    Es fiel den beiden anderen jetzt erst auf, dass sie weniger mit Worten als in Gedanken gesprochen hatten. Man konnte den Klang der einzelnen Wörter gar nicht fangen - vielleicht war gar keiner da. Alles war mehr erfühlt, verstanden, bevor es sich formte.


    Sie kehrten zurück zu ihren Körpern, und die Stille dehnte sich, auch wenn zuvor kein Geräusch dagewesen war. Naira hatte recht eilig den Rückweg angetreten und auch das Thema zurück zum Gehöft gelenkt.

    Nun schien sie es mit Fräulein Salbeis Frage ähnlich halten zu wollen.


    Erst als sie sich plötzlich wieder in ihren Körpern regten, kam ein Laut von ihr, und diesmal war es ein echter. Die Rückkehr war wie eine kurze Ohnmacht gewesen, als hätten sie mit einem Mal ihre eigene Spur der Gedanken verloren. Sie erinnerten sich nicht mehr an die Zeit zwischen dem Anblick ihrer daliegenden Hüllen und dem Kribbeln in ihren Füßen und dem leichten Ziehen im Nacken.


    "Khe-nai heißt er." sagte sie und dehnte den Namen deutlich in zwei Laute. "Ja, er ist auch ein Teleutaio, einer von meinem Volk. Ich habe ihn geboren, hier in Kjona."

    Man hörte sehr deutlich heraus, dass es da ein Problem zwischen Mutter und Sohn gab.

  • Die beiden Pilger spürten etwas ungläubig in ihre Körper hinein, so als wollten sie heraus finden, ob es denn tatsächlich ihre eigenen waren. Sie waren noch etwas benommen, und vor allem das Fräulein Salbei haderte noch mit den beiden Bewusstseinsebenen. Ohne etwas zu sagen, saß sie auf ihrem Stuhl und betrachtete ihre Hände.


    Pater Richie hatte sich derweile wieder gefangen und grübelte über das Erlebte nach. Dann drehte er sich zu Naira, lehnte sich etwas nach vorn und stellte sicher, dass er ihr ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. „Werte Naira, ich habe viel gelesen über den Zusammenhang von Geist, Körper und Seele, aber ich durfte heute erleben, was es damit tatsächlich auf sich hat. Nun ja, zumindest teilweise. Ich danke Euch sehr für diese einzigartige Erfahrung. Allerdings... Ihr solltet wisen, dass es in meiner Kultur eher... sagen wir, unüblich ist, einen Menschen seiner Sinne oder gar seines Bewusstseins zu berauben. Um ehrlich zu sein, habe ich bereits Menschen für minder schwere Vergehen hinrichten lassen. Ihr genießt bei mir eine hohe Wertschätzung und einen großen Vertrauensvorschuss. Auch bin ich mir der unterschiedlichen Kulturen bewusst, aus denen wir beide stammen. Und im Sinne einer anhaltend guten Verständigung darf ich Euch bitten: Tut dies nie wieder. Jedenfalls nicht ohne mein vorheriges Einverständnis.

  • Naira zog eine Braue hoch und lächelte arrogant, als der Pater von Hinrichtungen sprach. So hatten die beiden das Spitzohr noch nie gesehen. Sie schien diese Erwähnung durchaus als Drohung aufzufassen, auch dann noch, als der Pater seine Bitte formulierte.

    Ihre Augen funkelten berechnend auf, während sie noch kurz den Blick hielt, nachdem er geendet hatte.

    Die Welten, aus denen sie beide stammten, hätten unterschiedlicher nicht sein können!

    Beide Gäste spürten, dass plötzlich eine große Anspannung im Raum entstanden war. Die Elfe schien sie zu taxieren, hellwach, aufmerksamer als jemals zuvor!

    Es war, als wäre durch die Worte des Paters mit einem Mal diese unsichtbare Barriere zwischen ihnen eingerissen worden - als höre Naira ihnen endlich wirklich zu - zeige eine echte Reaktion!

    "Ich HABE euch vorher gefragt, hast du das vergessen?!" fragte sie vorwurfsvoll. "Fräulein Salbei hat es sogar gekostet! Ihr schient sehr bereit zu sein, es auszuprobieren! Abgesehen davon - man hat MICH noch nie um mein Einverständnis gebeten!"

    Der letzte Satz wirkte ein wenig schmollend.

    Sie nahm die Kanne und goss dem Pater einen weiteren Becher ein, den Blick fest darauf gerichtet.

  • Der Pater hielt ihrem Blick stand, behielt aber seinen freundlichen Gesichtsausdruck bei. Sie hatte ihn verstanden, darauf war es ihm angekommen. Der Schmollmund war nur Rüchzugsgeplänkel. Nicht, dass er es darauf angelegt hatte, aber es war ihm lieber, diese andere Seite seiner Gastgeberin zu einer Zeit kennenzulernen, da es auf nichts ankam, als etwa in einer Krisensituation. Und er dankte seinem langjährigem Mentor im Stillen für seinen geduldigen Unterricht. ‚Diplomatie ist die Brücke, über die Dein Gegenüber gehen kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Insbesondere dann, wenn es darum geht, eine Grenze zu verteidigen und harte Wahrheiten auszusprechen.‘, hatte er ihm regelmäßig eingebläut, wenn der junge Sir Richard seine Verhandlungen all zu ungeduldig oder unangemessen forsch zu führen drohte.

    Etwas anderes hatte der Pater bei dieser Gelegenheit auch gelernt. Naira war offenbar eine Persönlichkeit, die die Herausforderung liebte, ja geradezu brauchte, um ihren Gegenüber überhaupt ernst zu nehmen. In diesem Spitzohr steckte offenbar weitaus mehr Temperament, als der erste Eindruck erahnen ließ.


    Vielen Dank“, sagte er freundlich, lehnte sich zurück und nippte an seinem Tee, „sagt, wollt Ihr uns nicht etwas über Eure Heimat erzählen? Ich habe das Gefühl, wir sollten mehr über Eure Kultur erfahren.

  • "Mein Volk kommt von unten, aus der Erde. Dort habe ich die längste Zeit gelebt." sagte Naira und blickte den Pater jetzt aufmerksam an. Sie zögerte, sprach dann aber weiter, und es war den Anwesenden deutlich, dass sie ihre Worte richtig zu setzen versuchte:

    "Wir lassen Dinge geschehen... Wir sind keinen raschen Wandel gewöhnt und wir schätzen es nicht, Dinge durchzusetzen.

    Also zum Beispiel... Kop-Tar hat gesagt, ich soll zu den Gruppenführern gehen und ihnen erklären, was es mit dem Weltenrat auf sich hat! Das war mir unangenehm. Es ist was anderes, Kräuter zu versetzen oder Tieren beim Schlüpfen zu helfen. Aber Leute überzeugen?! Weißt du, bei meinem Volk warten wir darauf, den Willen der Welt zu SPÜREN. Wenn ich mir sicher bin, dass Terra einen Weg öffnet, dann gehe ich ohne Zögern auf diesem Weg bis zum Ende!

    Aber ich finde es nicht gut, dass sehr viele Najorim - Menschen - drauflos handeln. Und Wege mit Gewalt öffnen zu wollen. Ich mag es nicht, Leute anschreien zu müssen, damit sie bei Ritualen mitmachen. Die Najorim sind so LAUT! Sie laufen dorthin, wo gebrüllt wird! Sie hängen sich an denjenigen, der sich schnell und laut bewegt, losstürmt und draufschlägt! DAS nennen sie ihren Kriegszug!

    Ich kenne diesen Zorn, diese Ungerechtigkeit und Launenhaftigkeit, und das Spiel, die Lust am Schabernack - Ignis und Aeris verführen uns genauso wie euch Menschen! Wir sehnen uns vielleicht sogar noch viel mehr danach als ihr, weil wir diese Art ablehnen..."


    Sie nahm einen Schluck Tee und beruhigte sich ein wenig nach diesem Ausbruch von Worten. Wie sehr sie versucht hatte, sich verständlich zu machen!


    "Aber wir kennen nur eine Zuflucht, eine Heimat, einen SCHUTZ: das ist das Dunkel des Felsens, der tiefen Erde. Wir stammen nicht von dort unten, aber wir haben dort Schutz gefunden. Nichts verehren wir mehr als die Dunkelheit. Das ist unsere Orientierung. Das Dunkel erkennt, wer wir wirklich sind. Es beschützt unser Licht, für immer. Es geht niemals weg..."

  • Sowohl der Pater als auch die Kräuterfrau waren sehr nachdenklich geworden. Das Fräulein Salbei spielte abwesend mit ihrem Kettenanhänger. Sie dachte darüber nach, wie sie selbst war und wie sie wohl auf ein Geschöpf Terras wirken musste. Sie teilte den Eindruck, dass die Menschen oft denjenigen folgten, die laut und in der Gruppe dominant auftraten. Diese Menschen setzten sich oft gegen die Besonnenen und gegen die Visionäre durch. Womöglich hätte es aber weniger Intrigen, Mord und Totschlag oder gar Kriege gegeben, wenn die Menschen den Besonneneren folgten. Ihr Prior war keiner dieser Kriegstreiber. Er hatte Hospitäler gebaut und ergriff jede Gelegenheit, bedürftigen Menschen zu helfen. Und er hatte sie gerettet, als ihr Kloster überfallen worden war.

  • Pater Richie sinnierte über die Gedanken Nairas. Ein Volk, das über der Erde geboren, aber unter der Erde Zuflucht gesucht hatte. Das seine Lebensweise auf die Natur Terras abstimmte, das darauf wartete, dass Terra ihm den Weg und das Signal zum Handeln gab, anstatt dies aus eigener Überzeugung heraus zu beschließen. Das klang alles sehr merkwürdig für einen Menschen, der eine ganze Ordensorganisation geleitet hatte.

    Andererseits... als Prior seines Ordens hatte er sich bei wichtigen Entscheidungen mit dem Ordensrat abgestimmt, und dieser war nicht immer nur von bloßer Vernunft bewegt gewesen. Insbesondere der Abt des Klosters hatte Glaubensfragen über alles andere gestellt, und auch andere Egoismen hatten oft den Weg für eine ideale Lösung verstellt. Ein Volk, das gemeinsam auf eine höhere Macht hörte, wurde womöglich besser geführt, als von einem Zirkel alter, eitler Männer. Und auf einem Kontinent, auf dem seit Jahren die Kinder der ersten Schöpfung gegen die der zweiten Schöpfung Krieg führten, war eine Zuflucht unter der Erde womöglich das einzige, was diesem Volk Sicherheit bot.


    Der Pater sah sehr nachdenklich drein. Er hatte in der Tat noch sehr viel zu lernen, wenn er diesen Kontinent verstehen wollte.

  • Oh, ähm, verzeiht mir, ich war in Gedanken. Ich überlegte gerade, wie sich eine Gesellschaft wohl von einer klassisch menschlichen unterscheidet, wenn sie ihre wesentlichen Entscheidung aus der Weisheit Terras heraus fasst.“ Er machte eine kurze Pause. „Ja, von dieser Geschichte habe ich gehört. Die beiden verkörperten jeweils eine andere Eigenschaft ihres Elementes, soweit ich mich erinnere. Sie lehrte mich, dass die Quihen Assil sich schon dadurch von den eigentlichen Elementen unterscheiden. Ich habe mir ferner gemerkt, dass es unzählige Quihen Assil gibt, die alle jeweils einzelne Aspekte der Elemente repräsentieren.

  • "Ja, zwei unterschiedliche Eigenschaften... der eine golden, der andere schwarz. Der eine scheint wohl Magica zugeordnet gewesen zu sein, also muss es der andere wohl auch sein? Weißt du, als ich diese Geschichte vor einigen Jahren das erste Mal gelesen habe, schien sich alles zusammenzufügen. Was die Elemente angeht, und auch was meine Existenz auf diesem Kontinent betrifft - meine Person selbst. Aber fangen wir mit den Elementen an!

    Ich habe dieses Gespräch damals mit Zarim Duronius geführt, das sogenannte `Hochamt für Wissenschaft und Forschung´. Wir haben in dieser Nacht neue Tränke gebraut, die auch wirklich funktioniert haben. Mit Blauem Kaninchen, Alkohol und verbotenen Substanzen. Auf diesem Sommerfeldzug hätten wir genau die hervorragend gebrauchen können gegen die Parasiten des Feindes, aber das ist eine andere Geschichte...

    Auf jeden Fall haben wir diese Tränke nicht nur gebraut, sondern natürlich auch selbst getrunken. Ich habe damals noch Khenai in meinem Bauch getragen und bin von den Tränken so schwer geworden, dass ich unter den Tisch gefallen bin.

    Und unter dem Tisch haben Zarim und ich eine... eine Erkenntnis gehabt! Wir haben ein Modell besprochen, von den Elementen und den Quihen Assil. Eins, das größer ist als die fünf Elemente, beweglicher. Wir haben über die Bewegung der Welt in einer Spirale gesprochen.

    Aber das ist alles sehr kompliziert!"

    Naira seufzte. Ihre Augen verloren sich kurz. Es war so schwierig, diese Dinge in der richtigen Reihenfolge zu erklären!

    "Aber mal angenommen, dass Magica eine goldene Seite und eine schwarze hat! Angenommen, die goldene Seite wäre das, was wir als das Verbindende kennen! Was ist dann die schwarze Seite - was meinst du?"

  • Nun, vordergründig besitzt bisher jedes Element mindestens zwei ambivalente Eigenschaften. Wenn Magica eine verbindende Eigenschaft hat, dann hat es auch eine spaltende, eine entzweiende. Wenn die verbindende Eigenschaft für die Farbe Gold steht, dann könnte die spaltende Eigenschaft für die schwarze Seite stehen.“, antwortete der Pater nach kurzem Nachdenken. „Allerdings verstehe ich den verbindenden Aspekt Magicas nicht nur als Ausgleich zwischen den antagonistischen Elementen. Es steht auch für den Existenzwillen der Elemente, die sich sonst in einem Kampf gegeneinander auslöschen würden und alles um sie herum ebenfalls. Insofern steht golden für mich auch für die Koexistenz der Kral Urien ansich. Demgegenüber würde schwarz für ... ja wofür würde es stehen? Für das absolute Ende dieser Koexistenz? Für das Ende der Elemente und damit für das Ende der Schöpfung und des Universums? Wenn das so wäre, müsste man es jedem neuen Scolaren der magischen Künste auf den Handrücken einbrennen, damit er nicht vergisst, welche Verantwortung er trägt.


    Der Pater machte ein nachdenkliches Gesicht, während er beiläufig ein Licht in seiner Handfläche aufleuten und wieder verlöschen ließ. „Eine andere fundamentale Frage beschäftigt mich außerdem: Magica ansich ist kein Element. Jedenfalls ist es keines der Kral Urien. Was ist es also dann? Besteht Magica allein aus der Existenz der Kinder des goldenen Traums heraus?

  • Das Spitzohr zuckte die Schultern zur letzten Frage.

    "Das sind mehrere Dinge hintereinander. Lass es uns ganz einfach beginnen. Am Anfang waren sie zu viert und diese 4 teilen miteinander bestimmte Aspekte oder Eigenschaften, in anderen unterscheiden sie sich. In bestimmten Aspekten unterscheiden sie sich so sehr, dass sie gegeneinander gestritten haben. Das kannst du auch in der Natur beobachten: Wasser löscht Feuer, Feuer bewegt die Luft, Luft wühlt die Erde auf, und so weiter... In der Natur trennen und vereinen sich die Elemente immer mal so und mal so - in unserem Körper passiert das und genauso außerhalb!

    Das Trennende und das Vereinende ist nach der Ansicht der Welt, aus der ich ursprünglich stamme, ein und dasselbe Prinzip! Es ist EINE Kraft - ein Teil der Schöpfungskraft. Sie kann aber nichts, GAR NICHTS eigenes, außer dass sie die anderen vier bewegt. Wie ein Magnet, der in die eine Richtung anzieht und in die andere abstößt. Wir müssen dieses Element ganz unbedingt unterscheiden von der Schöpfungskraft an sich!

    Genauso kann es aus meiner Sicht niemals die Zerstörung aller Existenz sein. Es kann trennen und es kann sicher, wie jedes Element, bestimmte Aspekte zerstören.


    In meiner alten Welt sagt man, dass die Verbindung Stabilität bringt - den Streit der Elemente beendet - aber auch Stagnation bedeutet. Und nach einem langen Zyklus Stagnation schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung - die Pole kehren sich um - das Verbindende wechselt sein Gesicht und wird zum Trennenden. Es gibt Krieg, Zerstörung, Freiheit und Orientierungslosigkeit - neue Ideen Danach schwingt das Pendel wieder vor - und neue Verbindungen entstehen."