Beiträge von Pater Richie

    Wo: Kjona Siedlung

    Wann: nach der Wintersonnenwende

    Wer: Naira, Pater Richie, Fräulein Salbei und andere Siedler Kjonas


    Es war fast ein Mondzyklus vergangen, seit die Bahn des goldenen Wagens ihren Tiefstand erreicht hatte. Mittlerweile wurden die Tage langsam wieder länger. Pater Richie saß nach dem Frühstück noch am Feuer und las einen Brief, den ein Bote diesen Morgen gebracht hatte. Naira und das Fräulein Salbei hatten es sich ebenfalls bequem gemacht. Draußen beherrschte ein eisiger Wind das Geschehen, und so hatte niemand Verlangen danach, im Freien zu verweilen.


    Da schau her!“, ließ der Pater aufhorchen, als er den Brief gelesen hatte. „Mein Mündel, wir haben eine Einladung erhalten.“ Die beiden Frauen unterbrachen ihre Unterhaltung, „Seine Exzellenz Cho‘wa el Abar‘Raine, Regent der Freien Stadt Goldwacht, lädt uns zu einem Fest ein. Er bedauert, dass wir während unseres Aufenthaltes keine Gelegenheit hatten, unser Anliegen zu diskutieren. Aber er würde sich freuen, dies am Rande des Festes nachzuholen.

    Das Fräulein Salbei machte ein erstauntes Gesicht. „Wie kommen wir denn zu dieser Ehre?“, fragte sie, und der Pater überlegte, ob sie sich an das Anliegen überhaupt noch erinnerte, dessentwegen sie vor ihrer Reise nach Porto Leonis zuvor in Goldwacht Halt gemacht hatten.

    Nun ja, vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen. Immerhin hat er uns erst an seinen Leibmagus übergeben, und dann haben wir den Mann nie wieder zu Gesicht bekommen. Aber sei‘s drum, er will das nachholen, und das ist ein sehr guter Grund, der Einladung nachzukommen. Es gäbe noch einen zweiten: Goldwacht ist im Aufbau und eignet sich damit hervorragend für den Aufbau von Handelsbeziehungen.“ Er sah Naira fragend an. „Was meint Ihr, meine Liebe, was könnten wir dem Regenten von Goldwacht verkaufen?“

    Andererseits“, überlegte der Pater, „würde das Brechen von Stein mehr Zeit benötigen als wir haben. Vom Transport ganz zu schweigen. Aber wenn wir hier Lehmboden hätten, könnten wir die Hütten von innen mit Lehm und Stroh verputzen.“ Er sah Naira fragend an, so als würde sie nur noch auf die richtige Stelle zeigen müssen.

    Ich bewege mich grundsätzlich nur für eine Sache gleichzeitig“, gab ihr der Pater zu verstehen, „obwohl... wenn ich mich auch noch für eine zweite Sache bewegen soll, könnte ich einer frechen Elfe den Hintern versohlen“, frötzelte er vergnügt zurück. „Dann lasst uns aufbrechen. Wenn wir tatsächlich verwertbares Material finden, dann können wir aufhören, Bäume zu fällen.

    Vielleicht könnte Kreaf das erledigen, wenn er wieder auf den Beinen ist? Ich würde nur ungern unseren angekündigten Besuch verpassen. Oder wolltet Ihr konkret mit mir eine Bergwanderung machen, werte Naira?

    Keine Angst“, beschwichtigte der Pater, der Nairas alarmierten Tonfall wiederzuerkennen glaubte, „ich habe nicht vor, Paläste zu bauen. Obwohl Euch mein Palast gefallen würde. Und ich will auch nicht Eure Höhlen verunstalten, die wir, nebenbei bemerkt, noch gar nicht besichtigt haben. Wie weit weg läge denn so ein Steinbruch? Und in welcher Richtung?

    Meine liebe Naira“, lachte der Pater überaus freundlich, „wir haben ja verstanden, dass Ihr der Idee, Zeichen auf Papier zu kritzeln, nichts abgewinnen könnt. Wir übernehmen das gerne. Tatsächlich werden wir aber um ein Minimum an Buchführung nicht herum kommen. Je mehr wir hier in Kjona werden, desto wichtiger ist es zu wissen, wie weit unsere Bestände reichen. Und das gilt nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Baumaterialien und Werkzeuge. Und bauen werden wir müssen, bevor der Winter einbricht.

    Mit dem letzten Satz hatte sich der Pater nach Süden gedreht und schaute jetzt in Richtung der Höhlen und Berge. Etwas wehmütig erinnerte sich der ehemalige Prior an die festen Mauern seines Klosters, die im Winter warm und im Sommer kühl blieben, die Angriffen auch durch mittelschweres Gerät standhielten, die man etliche Stockwerke hoch bauen konnte und die schon von weitem eine beeindruckende Erhabenheit ausstrahlten. Nein, er würde hier keine Burg oder Klosteranlage bauen. Dazu war Kjona auch nicht der rechte Ort. Aber wenn er an den bevorstehenden Winter dachte, dann wäre seinen alternden Knochen ein gemauertes Steinhaus mit einem Kamin deutlich lieber als eine Blockhütte, durch deren Balken der Wind zog. „Sagt einmal, gibt es hier in den Bergen eigentlich Vorkommen von Sandstein?

    Der Pater schmunzelte. Er sah sich bereits auf dem nächsten Feldzug im Gewand eines Baders allerlei elementgefällige Anwendungen anpreisen. Massagen mit heißen Terraelementen, Ignisschröpfungen, Badezubern mit Aeris-Lavendel-Schaumwölkchen oder reinigende Gesichtsbehandlungen mit Aqua-Meersalz. Oder sie würden die Zutaten für derartige Behandlungen herstellen und an interessierte Käufer veräußern. Im Prinzip müssten solche Zutaten ein begehrtes Handelsgut darstellen. Von den Erlösen würden sie Baumaterialien und Lebensmittel einkaufen können.

    Der Pater kam nicht umhin festzustellen, dass ihm die Idee auf einmal viel besser gefiel...

    Sorge dafür, dass er den Tee austrinkt und das Mus isst. Auch, wenn es scheußlich schmeckt. Ohne den Tee wird ihm nicht besser werden. Und ohne das Mus wird er Krämpfe bekommen. Mach ihm klar, dass er das noch viel weniger möchte.“ Die Kräuterfrau sprach Uhlakk mit einer unerwarteten Bestimmtheit an. Dann legte sie dem Blassgrünen eine Hand auf die Stirn, und sowohl der Goblin als auch der Uruk waren zu verdutzt, um zu protestieren. „Wollen wir hoffen, dass der Tee wirkt, bevor das Fieber einsetzt, sonst wird es schwierig.


    Die drei gingen hinaus und ließen die beiden grünen Gestalten zurück. „Ihr macht das großartig!“, stellte der Pater anerkennend fest. Die Kräuterfrau machte einen knappen Knicks. „Meint Ihr, Euren Erziehungsbemühungen waren doch nicht ganz vergebens?“, fragte sie spitzbübig zurück. „Zumindest nicht vollends.“, erwiderte der Pater, der ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Dann wandte er sich an Naira. „Möglicherweise wäre es gut, eine Bestandsliste anzufertigen mit Zutaten, die hier vor Ort zur Verfügung stehen. Das macht es einfacher, sich auf Fälle wie diesen vorzubereiten. Und wir wissen dann, was wir unbedingt noch beschaffen müssen.“ Er ließ seinen Blick nach Westen und Norden streifen. „Ich kann nicht sagen, wann der Edalphi eintrifft. Er kommt entweder direkt von Westen, dann muss er über den See. Oder er sucht sich weiter im Norden einen Übergang über den Fluss, wie ich ihm empfohlen hatte. In beiden Fällen werden wir ihn früh genug sehen. Ich würde sagen: wenn er da ist, ist er da.

    Wir haben in unseren Hospitälern Versuche gemacht, wie wir Fäulnisprozesse aufhalten könnten“, erklärte der Pater, während das Fräulein Salbei sich um den Patienten kümmerte, „sowohl innerhalb als auch außerhalb des Körpers. Also beispielsweise die Reinigung fauligen Wassers oder die Linderung von Fäulnis in Schlund und Magen von Leprapatienten. Wasser lässt sich sieden oder destillieren und ist dann von Fäulnis befreit. Dabei hilft die Verwendung metallischer Behältnisse, vorzugsweise Silber. Wir suchten dann nach einem Weg, das Prinzip auf einen Heiltrank zu übertragen. Unsere Alchemisten waren da sehr erfolgreich. Und unsere Kräuterfrau war daran alles andere als unbeteiligt.

    Wann: Einige Tage nach dem Konzil in Windhaven
    Wo: Kjona
    Wer: Talamil und Einwohner Kjonas


    Es war einige Zeit vergangen, in der sich Pater Richie und das Fräulein Salbei nach Windhaven verabschiedet hatten, um dem dortigen Konzil beizuwohnen. Die diplomatische Zusammenkunft in der westlichsten Stadt des Nördlichen Siegels war sehr informativ gewesen. Man hatte an Vorträgen und Diskussionen zu allerlei Themen teilgenommen.


    Die beiden Pilger hatten eben ihr Reisegepäck in ihrer Hütte verstaut und waren auf dem Weg ins Haupthaus, als sie Naira über den Weg liefen.

    Seid gegrüßt, meine liebe, es freut uns, Euch wiederzusehen. Ich hoffe, alle sind wohlauf?“, sagte der Pater zu Begrüßung. „Wir hatten eine interessante Reise, und ich werde Euch noch von den Ergebnissen berichten, aber zunächst will ich einen Besucher ankündigen: einen Edalphi namens Talamil. Ein sehr freundlicher und gebildeter Mann. Er ist auf der Durchreise in den Osten, weshalb ich mir erlaubte, ihn hierher einzuladen und ein wenig von seinem Volk zu erzählen. Ich hoffe, Euch ist das recht?


    In der Tat wusste der Pater nicht, wie sich Hochelfen mit den Edalphi verstanden, aber er hatte gehofft, dass ein Vertreter eines Elementarvolkes Magicas hier willkommen sein würde.

    Es war früher Nachmittag, als sich das Fräulein Salbei und Pater Richie wieder vor ihrer Hütte trafen. „Und? Habt Ihr große Baupläne angefertigt?“, fragte das Fräulein vergnügt. „Nein, ganz entgegen meiner Art und auf Nairas Anraten habe ich das unterlassen und stattdessen versucht, das Gelände zu erspüren. Mit interessanten Ergebnissen.“ Die Kräuterfrau sah den Pater fragend an. „Das Zentrum des Geländes, ungefähr auf halben Wege zwischen See und Wald und zwischen den Hügeln und den Kräuterbeeten, ist von besonderer magischer Intensität. Sehr machtvoll.

    Habt Ihr ein paar neue Sprüche ausprobiert?

    Man probiert nicht den Spruch, sondern den Effekt, aber ja, das habe ich getan, und es ist mir gelungen, eine Terra-Barriere zu errichten.

    Das Fräulein hob die Augenbrauen.

    Abgesehen davon, dass das für eine Verteidigung gegebenenfalls wichtig wäre, ist dies ein irgendwie besonderer Ort. Ich finde, Wir sollten alle Bauten um diesen Ort herum anordnen.

    Oh ja, dann hätten wir einen geschützten Garten und könnten im Sommer des abends draußen sitzen. Vielleicht könnten wir einen Ring von Kräutern anlegen, der die Luft aromatisiert. Melisse und Zitronella, und...

    Eine sehr gute Idee.

    Ja, wir können dort auch einen Baum pflanzen.

    Der Pater schmunzelte. Das Fräulein Salbei kannte ihn inzwischen sehr gut.

    Und was habt Ihr getrieben?

    Och... ich habe die Kräuter inspeziert. Wir könnten sie in Beeten anlegen, anstatt sie wild in der Gegend zu verteilen. Wenn wir sie als Handelsgut kultivieren wollen, erspart uns das viele lange Wege. Auch eine Bewässerung wird dann einfacher.

    Wir sollten ein paar Flächen unter den Bäumen ausholzen und dort ebenfalls Beete anlegen. An den trockenen Stellen könnten wir Blaubeeren ansiedeln. Wenn ein paar starke Männer einen Zaun errichteten, könnten wir Himbeeren und Brombeeren pflanzen. Wir hätten Obst und einen wirksamen Zaun gegen unangekündigten Besuch. Außerdem brauchen wir eine Wasserversorgung.

    Das fiel mir auch auf. Wenn es einen Fluss in den Bergen gäbe, könnten wir ein Becken bauen und das Wasser bei Bedarf entnehmen. Ein System aus Wasserleitungen könnte die zentralen, aber auch die Wohnhäuser versorgen. Außerdem wäre ein Waschplatz weiter unten am Fluss von Vorteil. Und wir müssen die vorherrschende Windrichtung herausfinden.

    Wofür das?

    Damit wir die Latrinen nicht am falschen Ort bauen.

    ... fließen lassen... du musst es fließen lassen... öffne dich, biete keinen Widerstand, sonst verglühst du.... Lassen es ließen!

    Der Pater schrak jäh hoch. Er hatte geträumt und dabei eine Stimme gehört, die er zwar kannte, aber nicht zuordnen konnte. Sein Herz schlug laut, und er versuchte sich zu beruhigen. Er legte die Hände auf den Boden und spürte in die Energie des Bodens hinein. Über dieses Gefühl war er eingeschlafen, so erinnerte er sich. Dieser Ort war ihm so intensiv vorgekommen. So voll Energie. Hier waren die Elemente .... im Fluss!


    Der Pater sprang auf die Füße, wie man es ihm angesichts seines Körperbaus nicht zugetraut hätte. Das war die Antwort, nach der er bei seinen Versuchen, höhere magische Effekte zu wirken, gesucht hatte. Eine Antwort auf die Frage, wie man die Energie dafür zusammen bekam. Und wenn man sie zusammen bekam, dann musste man sie kanalisieren, was angesichts der notwendigen Menge an Energie ein gefährliches Unterfangen war. Der Pater versuchte sich zu entspannen und dachte nach. Welche Art von Magie floss hier? fragte er sich. Berge, Wiesen, Wälder, ein See. Oben warm, unten kühl. Ignis brachte die Wärme, Aeris, verteilte sie, Terra leitete sie, und Aqua fingen sie ein. Hier kam alles zusammen.


    Der Pater stellte sich breitbeinig hin, den Blick nach Norden, und versuchte sich zu erden. Dann schloss er die Augen, streckte die Arme zur Seite, so dass die Handflächen in Hüfthöhe nach außen zeigten. Und gegen den warmen Wind, der gerade aufkam, rief er „Terra! Creamos una murella!“ Wie die Male zuvor spührte er ein Kribbeln auf den Handflächen, als sich die Energie sammelte, um eine Barriere zu bilden. Aber anders als sonst, versuchte er nicht, die notwendige Energie aus sich selbst zu schaffen. Diesmal nahm er sie aus dem Boden. Er ließ sie eintreten, leitete sie zu seinen Hände und ließ sie dort wieder austreten. Und sie folgte seinem Ruf. Sie durchströmte ihn und bildete zwischen seinen Händen eine Blase, die umso größer wurde, je mehr Energie er in sie hineinfließen ließ. Im Moment reichte sie sie kaum um ihn herum, und der Pater spürte, dass er selbst sie daran hinderte. Er hatte Angst, zu viel Energie auf einmal zu leiten, er hatte Angst davor, was sie mit ihm anstellen würde. Aber sie stellte nichts mit ihm an. Nichts, außer dem, was sein Geist an Gedanken formte. Er musste loslassen. Er musste es einfach nur fließen lassen. Er atmete tief ein und wieder aus. Er machte seine Gedanken frei von allem außer der Kuppel, die er erschaffen wollte. Dann reckte er die Arme gen Himmel und rief „PROTEGERE!


    Es war still, als er die Augen öffnete. Regungslos stand Pater Richie im Gras, die Arme zum Himmel streckend, und versuchte zu erfassen, was vor sich ging. Ohne Anstrengung floss die Energie weiterhin durch ihn hindurch und bildete eine kuppelförmige Barriere. In einem Radius von vielleicht zwanzig Fuß bewegte sich kein Halm und kein Blatt, während draußen der Wind sanfte Muster in das Grasmeer zeichnete. Es war vollbracht. Mit Terras Hilfe hatte er Aeris ausgesperrt.


    Terminada!“ rief er schließlich und ließ den Energiestrom versiegen. Die Barriere brach zusammen, und der Wind übernahm wieder die Herrschaft über die Halme. Der Pater war zutiefst beeindruckt von der Energiefülle, die in diesem Ort lag. Drei oder vier erfahrene Magier konnten von hier aus eine Barriere aufbauen, die das gesamte Gelände schützen würde. Er blickte sich um. Was immer sie hier in Kjona noch bauen würden, dieser Platz musste das Zentrum bilden.

    Wann: Einige Wochen nach der zweiten Expedition Tannesang
    Wo: Kjona
    Wer: Naira und Einwohner Kjonas, Gäste


    Der Pater spazierte über das Gelände und ließ die Landschaft Kjonas auf sich wirken. Normalerweise wäre er mit Papier und Stift bewaffnet gewesen, hätte Entfernungen abgeschritten, Höhen bestimmt, Skizzen gemacht... doch diesmal, so hatte er sich fest vorgenommen, würde er einfach nur die Landschaft auf sich wirken lassen. Er wollte hören, ob sie ihm etwas mitzuteilen hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie eine künftige Siedlung aussehen mochte. Seltsamerweise fiel ihm das gar nicht leicht, war er doch von den hohen Gräsern, den üppig wuchernden Kräuterbüschen, von Blumen und Insekten, von all den Gerüchen, die sie verströmten derart eingenommen, dass er dieses Ensemble des puren Friedens am liebsten überhaupt nicht stören wollte.


    So wanderte er also umher, schnupperte in den Wind, lauschte den Geräuschen und hörte bald komplett auf, an irgend etwas Konkretes zu denken. Irgendwann stand er auf halbem Weg zwischen See und Waldrand in der einen und zwischen den ersten Hügeln und den Kräuterbeeten in der anderen Richtung. Er blieb stehen und schaute sich um. Diese Stelle hatte etwas Besonderes. Als wären hier alle vier Elemente gleich stark, so wirkte dieser Platz seltsam energiegeladen. Er musste seinen Fokusstein aus der Hütte holen und diesen Ort untersuchen. Es mochten sich hier mindestens zwei Leylinien kreuzen, dem würde er auf den Grund gehen. Er würde die Energie auspendeln und den Schnittpunkt triangulieren, doch zunächst... Der Pater setzte sich in das hohe Gras und lauschte. Nichts war zu hören, außer den Insekten, die zum Ende des Jahres den letzten Pollen der Herbstblumen sammelten, und den Gräsern, die friedlich im Wind rauschten, als würde einen große Hand über die Halme streichen. Er ließ sich ins Gras sinke, blickte zum blauen Himmel und genoss die Wärme, die durch seinen Körper strömte. Was für ein phantastischer Flecken Erde in dieser so feindlichen Welt dies doch war, dachte er, während er die Augen schloss.

    Na endlich!“, seufzte der Pater und setzte sich wieder. Er griff sich seinen Tee, lehnte sich zurück und lächelte Naira an. „Können wir dann jetzt endlich darüber reden, was hier vor sich geht? Oder glaubt Ihr, ich wäre so einfältig zu glauben, Ihr brauchtet ausgerechnet mich, um Kjona wozu zu machen? Einen Flecken Erde mit strategischer Bedeutung?“ Er schnaubte belustigt. „Ihr spielt ein Spiel und braucht mich als Figur. Oder sogar uns beide. Und wäret Ihr nun so gütig uns aufzuklären, worum es wirklich geht?“. Pater Richie guckte immer noch freundlich, denn er hatte tatsächlich keine Lust, sich zu streiten. Aber um den heißen Brei, so fand er, waren sie nun lange genug herum geschlichen.

    Oh, ähm, entschuldigt, werte Naira“, entgegnete der Pater mit einem süffisanten Tonfall, „ich hatte ja keine Ahnung, dass Elben das Geheimnis der asexuellen Vermehrung gelüftet haben. Entschuldigt meine impertinente Frage.“ Womöglich war es etwas sehr ambitioniert, den Sohn einer umstrittenen Elbe bei Hofe als Pfand für politischen Einfluss zu missbrauchen. Und ungehörig war es obendrein. Aber er würde sich das Ass in den Ärmel stecken. „Aber lassen wir das. Fallen Euch noch andere Gründe ein, weshalb Kjona für das nördliche Siegel von Wert sein sollte?

    Nun denn, dann lasst uns Tuchfühlung mit dem Terrain aufnehmen und Ideen entwickeln.“, sagte der Pater voller Elan und stand seinerseits auf. „Wann wollen wir uns wieder treffen? Wenn sich die Sonne im Westen dem Gras nähert?


    Das Fräulein Salbei nickte. Sie freute sich schon, die hiesigen Pflanzen zu sammeln, um sich dann zum Dokumentieren in die Mitte des Gartens zu setzen, Zeichnungen anzufertigen und sich dabei von der Sonne bescheinen zu lassen. Wahrscheinlich würde sie sich zwischendurch mitten im Grün ausstrecken und dabei einnicken. Kjona war so ein friedlicher Ort. Jedenfalls schien es ihr so. Und Frieden hatte sie nun schon eine ganze Weile nicht mehr genossen.

    Ist das nicht im Grunde genommen immer so? Ist man nützlich oder notwendig, dann darf man auch tun, was einem beliebt.“, bemerkte der Pater zerknirscht und dachte dabei an seine Erfahrungen mit dem Umstand, eben nicht mehr benötigt zu werden. „Man agiert komfortabler aus der Position des Stärke heraus. Gibt es etwas, dessentwegen Kjona für das nördliche Siegel von Wert wäre? Oder gar von strategischer Notwendigkeit?“ Der Pater wanderte weiter durch den Raum, so als würde er über die richtige Schlachtordnung nachdenken. Derweile meldete sich das Fräulein Salbei zu Wort: „Der Archon selbst ist Khenais Pate? Das ist aber spannend!“, sagte sie und sah Naira verwundert an. Der Pater unterbrach seine Wanderung und stutzte, so als haber er plötzlich einen weißen Fleck auf einer wohlbekannten Landkarte entdeckt. „Oh ja, mein Mündel, es ist offenbar doch nicht alle Erziehung an Euch vergebens gewesen. Vielleicht gibt es auch jemanden, der für das nördliche Siegel von Wert ist. Darf man fragen, wer denn der Vater des Jungen ist?

    Der Pater und die Kräuterfrau sahen sich bedeutungsschwer an. Sie wussten beide, ohne darüber sprechen zu müssen, dass das kalkulierte Zeugen von Nachfahren etwas anderes war als Schändungen. Ihre Gastgeber gaben sich offenbar alle Mühe, ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben, und vor allem das Fräulein Salbei war ihnen sehr dankbar dafür. Doch sie verstanden auch die Zerissenheit dieses Volkes. Die Konflikte, die damit verbunden sein mussten. Sie mussten diese fremde Kultur verstehen lernen, wenn sie hier leben wollten. Auch hierüber waren sie sich unausgesprochen einig. Aber vielleicht sollten sie sich erst einmal besser kennenlernen und bis dahin diesen Ort so gestalten, dass sie alle hier leben konnten.


    Gut!“ sagte der Pater und sah sich in der Runde um. „Wollen wir das Frühstück auflösen und uns draußen Gedanken über nötige Arbeiten machen? Ich habe Lust, das Gelände zu erkunden. Wie geht es Euch?

    Naira konnte die Müdigkeit in des Paters Augen sehen, der inzwischen aufgestanden war und etwas rastlos durch den Raum lief. Er war ein sehr geduldiger Mensch, der auch in schwieriger Lage die Ruhe behielt und die Dinge strukturieren konnte. Er merkte, wie seine Fragerei Naira auf die Nerven gehen musste. Allerdings empfand er es als schwierig, sich die gesuchten Antworten aus einer Wolke von Nebeninformationen und Katastrophenberichten heraus zu klauben und zu einem Bild zusammenzusetzen. Er nahm sich vor, seine Fragen noch präziser zu stellen.


    Also“, begann er zu rekapitulieren, „dem Krieg kann man sich kaum entziehen. Das Ziel für Kjona muss sein, ihn von unserem Land fern zu halten.


    Kjona ist Teil von Sah‘Tubaah, Herschaft erfolgt kommissarisch durch die Bürokratie der Nyama. Die Verwaltungseinheit, nach der ich fragte, ist das Protektorat. Das erwähnte Amt ist das eines Protektors. Der Protektor ist wem verpflichtet? Der Nyame selbst?


    Wir führen hier Rituale durch? Inwieweit sind die Rituale ein Problem für andere? Außerhalb von Kjona?