Schutz vor den Winden

  • Galwine hatte nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er hatte erwartet, kurz Ekel oder zumindest Überraschung in den Augen des Alchimisten aufflackern zu sehen, hätte ihm zugetraut, dieses aber schnell hinter einer höflichen Maske verbergen zu können. Er hatte ferner vorgehabt, lediglich einen kurzen Blick auf den Arm zu gewähren, um ihn dann wieder, sicherlich dem Wunsch aller Anwesenden entsprechend, wieder zu bedecken. Zarims offensichtliches Interesse, das frei von jeder Furcht vor möglichen Ansteckungen oder dergleichen zu sein schien, überraschte und erfreute ihn auch ein wenig. Bisher war er keinem Menschen begegnet, der seiner Absonderlichkeit mit Neugier an Stelle von Furcht und Ablehnung begegnet war. Wenn auch nur ein Teil der Bewohner Exilias so dachte...
    Er zog den Arm nur ein klein wenig zurück, um zarim daran z hindern ununterbrochen fortzufahren, nahm sich aber vor, da er keine Bösen Absichten erwartete, der Bitte des Alchemisten stattzugeben, so dieser ihm nur genau erklärte, was er vorhatte und fragte schmunzelnd:
    "Was habt ihr vor?"

  • "Nichts, das Euch schaden könnte", sagte Zarim.
    Da Galwine die Hand nicht vollkommen entzogen hatte, konnte man vermutlich davon ausgehen, dass er nicht vorhatte sich zu wehren.
    "Kurz stillhalten bitte!"
    Mit einer schnellen Handbewegung drückte Zarim gegen die Mitte des Papiertäschchens in seiner linken Hand, so dass an der Oberseite eine herausgedrückte Falte eine Öffnung freigab und streute daraus ein wenig farbloses Pulver auf Galwines Arm. Mit der Öffnung nach oben ließ Zarim das Tütchen in eine Seitentasche seines Mantels Fallen aus der er in der selben Armbewegung einen Holzspatel entnahm. Mit diesem wischte er in einem ruhigen Zug das Pulver von Galwines Arm in das darunter gehaltene Glasgefäß der anderen Hand und verschloss selbiges mit dem Korken, den er bis dahin zwischen kleinem Finger und Ringfinger der linken Hand gehalten hatte. Anschließend verstaute Zarim das Papiertütchen wieder geschlossen an seinem Platz und warf den Spatel in eines in das Feuer, das in einem Steinkreis zur Rechten brannte.
    "Den Rest könnt Ihr Abschütteln.", sagte Zarim auf ein paar Brösel des Pulvers deutend, die auf Galwines rot gefärbtem Arm verblieben waren.
    "Vorausgesetzt, dieses Pulver bleibt, wie es ist, so kenne ich jemanden, der euch möglicherweise helfen könnte."
    Triumphierend hielt Zarim das Glas, in dessen Innern man einen fingerbreit des farblosen Pulvers sehen konnte in die Sonne über den Tisch und sein Gesicht wurde von einem breiten Grinsen gezeichnet.

  • Galwine hatte alles interessiert und ein wenig perplex über sich ergehen lassen. In der Tat war eines seiner dringendsten Anliegen, sich von einem hier allseits anerkannten Quacksalber oder Heiler bestätigen zu lassen, dass er nicht ansteckend war, doch an eine mögliche Heilung hatte er bisher nicht zu glauben gewagt. Er beschloss, sich nicht zu große Hoffnung zu machen, aber es freute ihn, dass Zarim so selbstverständlich seine Hilfe angeboten- nein, sie ihm ohne Weiteres zukommen gelassen hatte, oder das zumindest vorhatte.
    "Das muss ein weiterer großer Meister sein, wenn ihr ihm ein Wunder zutraut, das keinem der Quacksalber in der Grafschaft des Earl of Grey, aus der wir stammen, und auch in Forthington,von wo aus wir nach Mythodea gesegelt sind, vollbringen konnte. Wer ist es?"

    „Wenn Ihr es genau nehmen wollt: Man spricht es [ˈgal.vɪn]. Das e am Ende ist stumm.“ :exilia:

    Einmal editiert, zuletzt von Galwine ()

  • Durch leichte Schüttelbewegungen durchmischte Zarim das Pulver im Glas. Es schien absolut unverändert.
    Er war guter Dinge. Er glaubte nicht, das Valentin große Mühe haben würde das Phänomen zu beseitigen. Wer konnte schon wissen, was für unfähigen Hochstablern der Mann in der alten Welt begegnet war. Zarim selbst hatte in jüngeren Jahren viele von diesem Schlag getroffen.
    "Oh, da ist kein Wunder von Nöten, sondern lediglich ein wenig Wissensch..."
    Mitten im Wort hielt Zarim inne, stoppte die Schüttelbewegung und hielt das Glas näher an die Augen. Innerhalb der letzten paar Augenblicke hatte sich das unscheinbare Pulver tiefrot gefärbt. Ein Luftzug fuhr scharf durch Zarims Zähne.
    "Sieh mal!", murmelte er. Rasch entkorkte er das Glas erneut und goss aus einem weiteren Glasröhrchen eine trübe Flüssigkeit hinein. Als sie das Pulver berührte, begann der Verbund aus Pulver und Flüssigkeit zu schäumen. Zarim ließ etwas des hervorquellenden Schaumes in ein drittes Glas laufen und dickte es sofort mit einem mehligen aber eher ockerfarbenen Pulver aus seiner Tasche an.
    "Ich fürchte", sagte er den Blick wieder zu Galwine gewandt, "zumindest dieser Freund wird Schwierigkeiten haben Euer Problem zu beheben. Aber vielleicht..."
    Zarim drehte das Glas um und klopfte den Inhalt, der die Konsistenz einer Salbe hatte auf den Tisch. Mit einem Span, den er im nahen Feuer entzündetet hatte berührte er das Häufchen, das sofort Feuer fing und mit türkiser Flamme abbrannte. Augenblicklich verfinsterten sie die Züge des Alchemisten. Verärgert schlug er die Flamme mit der Hand aus und wischte die Reste in einem Schwung vom Tisch.
    Verbittert sah er Galwine an.
    "Welcher verfluchte Hexer hat Euch das beigebracht?"

  • "Sie wollte nur mein Bestes, glaube ich. Der Zauber war aber unvollständig und sie wurde kurz darauf verbrannt." Galwine versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Zarim hatte doch gerade offensichtlich angekündigt, weitere Freunde zu haben, die ihm vielleicht helfen konnten.

  • "Verbrannt, hm? Na wenigstens etwas", brummte Zarim. Selbstverständlich hätte er erkennen sollen, wie roh diese Antwort war, doch ging es um Magie - vor allem um solche, deren Folgen ihm Ärger bereitete - so fehlte ihm einfach das Feingefühl. Nachdem er seine verbliebenen Gerätschaften geordnet und wieder verpackt hatte, besann er sich und nickte Galwine freundlich zu.
    "Tut mir ehrlich leid", sagte er wobei niemand hätte sagen können, worauf genau sich das bezog. "Es gibt auf diesem Kontinent - vermutlich sogar hier im Norden - sicher einige Siedler, deren Wissen Euch dienen kann. Meines jedoch kann es nicht. Ich befasse mich nicht mit missratenen Zaubern. Die Alchemie muss sich ihrer eigenen Probleme annehmen, sie kann nicht auch noch hinter diesen Sprüchemurmlern aufräumen. Lasst Euch nicht entmutigen. Es scheint Euer Leben nicht zu bedrohen, nichtwahr? Ihr findet sicher Hilfe. Vielleicht fragt ihr Valentin, wenn ihr ihn in den nächsten Tagen seht. Wenngleich er euch vermutlich nicht selbst helfen kann, so kennt er vielleicht jemanden, der dessen mächtig ist."
    "Stört es euch" und dabei sah er wieder beide an, "wenn ich euch dennoch noch einmal nach Eurer sonstigen Geschichte frage?"

  • Galwine überlegte, ob er das Theama nocheinmal aufgreifen und Zarim darauf hinweisen sollte, dass er selbst soeben offenbar ungenau gewesen war. Soweit er wusste, hatte seine Mutter einen Trank gebraut, in den sie ihn hatte tauchen wollen, war bei dem Vorhaben jedoch gestört worden und hatte seinen Arm lediglich ein wenig mit dem Gebräu benetzen können. Es lag also auf der Hand, dass es sich um ein alchemisches Problem handelte. Er würde das vielleicht bei anderer Gelegenheit noch einmal zur Sprache bringen.
    "Ich wollte keineswegs von eurer ursprünglichen Frage ablenken", sagte er. "Ich dachte bloß, es ist auf diese Weise ein wenig anschaulicher. Euch dürfte bekannt sein, obwohl ihr offenbar eine löbliche Ausnahme seid, dass die Menschen gemeinhin mit großem Misstrauen und zum Teil auch Furcht auf alles reagieren, das ihnen fremd oder andersartig erscheint. Das gilt natürlich besonders für "Tieflinge". Ich bin ohne große Mühe in der Lage, ganz abgesehen davon, dass es in meiner ganzen Familie, soweit ich das sagen kann, ausschließlich Menschen gibt und es sich nicht um eine Folge meiner Geburt handelt, diese Absonderlichkeit zu verbergen. Damit bin ich vergleichsweise privilegiert. Das kann man von Neira hingegen offensichtlich nicht sagen." Er war froh, dass sie ihre Kapuze abgenommen hatte. Das erleichterte seine Erklärungen vielleicht ein wenig, doch er hoffte, dass sie ihm den letzten Kommentar nicht übel nahm. Er hatte sie nicht beleidigen wollen und obwohl sie bereits so lange gemeinsam auf Reisen waren, geschah es bisweilen, dass sie ihn durch eine völlig andere Sicht auf die Dinge überraschte. "In der Grafschaft in der alten Welt, in der wir bis zu unserem Aufbruch lebten, sieht man zwar nicht sehr selten Mischwesen, doch die Ressentiments der Leute gegen sie, sind recht hoch. Ich war der Verwalter des Grafen, wie mein Vater vor mir und das bewog die Leute mit der Zeit, über meine Entstellung hinwegzusehen. im letzten Winter gab es, nachdem der Graf von Unbekannten bei einem Ausritt erschlagen wurde, einige politische Querelen, an deren Ende sein jüngster Sohn die Macht an sich riss. Wir kennen uns seit Kindertagen und er hat mich, soweit ich sagen kann, seit jeher gehasst. Als Kind war ich für ihn ein gruseliges Monster, das man an die Kette legen sollte. Ich habe versucht auch unter seiner Herrschaft, die ja eigentlich nur von kurzer Dauer sein sollte und zwar so lange bis sein älterer Bruder von einer langen Reise zurückgekehrt wäre, meinem Amt mit größter Verlässlichkeit gerecht zu werden, doch Richard - dieser räudige Hund von einem Ersatzgrafen...", er unterbrach sich, sammelte sich sehr schnell und fuhr fast ohne Pause fort: "meinte in seiner Wut und Verblendung eine Kollektivstrafe für alle seine Untertanen sei genau das richtige Mittel, sie künftig von Gewalttaten, wie sein Vater ihnen zum Opfer gefallen war, abzuhalten. Naja, mir ist irgendwann der Kragen geplatzt, wie man so sagt, als er gerade eine absolut ungerechte Strafe gegen eine vermutlich unschuldige, der Wilderei angeklagte Dörflerin - das war Neira- aussprechen wollte. Da hat er mir einfach so, vermutlich weil er endlich eine Gelegenheit dazu hatte, die Hälfte ihrer Strafe auferlegt. Ich konnte nichts dagegen tun und wurde öffentlich gedemütigt. Ich hab daraufhin mein Amt für die Dauer seiner Regierungszeit niedergelegt und mich in das Heimatdorf meiner Familie zurückgezogen. Dort tauchte Neira wenig später auf, um mir zu sagen, dass Richard nach mir suchen ließ. Sie selbst wollte zu diesem Zeitpunkt bereits nach Mythodea auswandern. Mit ihr bin ich in die Hafenstadt Forthington gezogen, wo ich mich sicher fühlte, bis Richard ein Kopfgeld von beträchtlicher Höhe auf mich ausgesetzt hatte, kurz bevor Neiras Schiff auslief. So habe ich mich entschlossen, mit ihr hierher zu kommen, auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und in der Hoffnung, dass man hier einen aufrechten und ehrlichen Mann auch als solchen erkennt, selbst wenn sein Äußeres etwas... absonderlich erscheint. Unsere Reise auf diesem Kontinent hat mir bisher zumindest deutlich machen können, dass wir hier in der Masse seltsamer Geschöpfe überhaupt nicht auffallen und alles was man hört, soll das ganz besonders für Exilia gelten.
    Aber ich greife vor und rede lang... "
    . Er wandte sich an Neira: "... magst du nicht von dir oder ein wenig weitererzählen?" Wieder an beide gerichtet fuhr er fort: "Ich schätze,ich könnte noch einen weiteren Schluck Wasser vertragen." Er ging hinüber zu dem Brunnen, füllte seinen Becher und kehrte zu ihnen zurück.

  • Dem aufmerksamen Leser wird sicher der Fehler aufgefallen sein, der Zarim unterlief, als er die Flechte auf Galwines Arm als das Produkt magischen Wirkens analysierte. Nun ist ja - wie vermutlich jedem, der sich einmal mit den Ansätzen der Alchemie beschäftigt hat klar ist - die Feststellung ob eine Erscheinung durch magisches oder alchemisches Zutun hervorgerufen wurde gewissermaßen ein Kinderspiel. Ein routinierter Alchemist, wie Zarim einer war, erledigt eine solche Analyse sicher in weniger als einer halben Minute. Man könnte nun mutmaßen Galwine selbst wisse nicht ausreichend über den Vorfall um ihn treffend als "alchemisches Problem" zu klassifizieren. Jedoch muss man, so naheliegend sie auch sein mag, diese Theorie letztlich als unrichtig verwerfen.
    Wie also kam es, das Zarim ein so gravierender Irrtum unterlaufen konnte? Und gravierend war er. Dies zeigt sich bereits in dem Umstand, das Zarim - hätte er ein alchemisches Wirken angenommen - den Effekt vermutlich zwischen Mittags- und Abendmahlzeit hätte beheben können. So jedoch, sollte es noch einer langen Zeitspanne bedürfen bis der arme Galwine endlich Hilfe erhalten würde.
    Der Grund des Irrtums, letztlich, ist banal und schnell erklärt: Der selbe Gehilfe Zarims, der am Morgen Exilias Labor unbenutzbar gemacht hatte, hatte zwei Tage zuvor bei der Herstellung eines Analysepulvers statt eines Destillats die aufgefangene Flüssigkeit weiterverarbeitet und auf diesem Wege ein völlig unbrauchbares Mittel erstellt. Als er nun am Nachmittag des unglücklichen Tages das Rezept zur Bevorratung ein weiteres Mal anwendete erinnerte er sich seines Fehlers und tauschte das Mittel in Zarims Tasche heimlich aus, noch bevor dieser eine weitere Analyse damit durchführte.
    Dem unseligen Gehilfen (der im Labor erst seit kurzem zur Hand ging) sei zugute gehalten, dass sein Versagen ihm ein mahnendes Beispiel wurde und er sich im Folgenden immer um Pflichterfüllung bemühte. Wie es jedoch das Schicksal wollte, fiel ihm - noch bevor Galwine eines Tages tatsächlich Hilfe erfuhr - bei einem nächtlichen Waldspaziergang ein vom Winde gelockerter Ast aufs Haupt, was seine von Schuldgefühlen geplagte Seele vorzeitig entleibte.

  • Neirànya hatte still zugerhört, während Galwine ihre Geschichte erzählte. Sie wusste, dass es nicht klug gewesen war, die Ereignisse vergessen zu wollen, das merkte sie jetzt an dem kleinen Dolchstoß, den die Erinnerung an den Grund ihrer Abreise ihr versetzte. Doch sie ließ sich nichts anmerken, setzte sich nur wieder aufrecht und straffte die Schultern ein wenig, um dann ruhig mit der Geschichte fortzufahren.
    "Es gibt nicht viel, was ich diesem Bericht hinzufügen könnte - außer vielleicht, wie es zu der Anklage gegen mich kam. Ich war die Tochter des Leutturmwärters", sie schaute kurz gen Himmel, nicht, dass sie sich je viel Gedanken über das Vorhandensein eines Gottes gemacht hatte, eher hatte sie die fromme Dorfbevölkerung für ihren Aberglauben belächelt, aber dennoch. Immerhin diesen Blick war sie ihrem Vater schuldig. "Sein einziges Kind nach dem Tod meines Bruders, und so war ich die einzige, die ab und zu den Leutturm verließ um unsere Vorräte auf dem Markt zu besorgen. Bei einem dieser Ausflüge lernte ich den Sohn des Jägers kennen, der mich das Bogenschießen lehrte." Bei dem Gedanken an ihn wurde ihr unwohl und sie beschloss unbehaglich, ihren Bericht abzukürzen, "ich war unbedacht, ich war dumm und so war er es ebenfalls. Als ich ohne meine Zustimmung", sie brachte es nicht über sich, gegen meinen Willen zu sagen,"verlobt wurde, hat er mir nicht verziehen. Er intrigierte gegen mich, ich wurde der Wilderei angeklagt. Alles weitere ist nicht von Belang. Ich kann nur sagen, dass ich unschuldig war und Galwine somit Recht mit seiner Vermutung hatte. Sonst kann ich es nicht bekräftigen, ihr könnt es mir glauben oder es nicht tun." Zu ihrem eigenen Erstaunen verspürte sie jähe Verzweiflung bei dem Gedanken, er könnte tatsächlich Zweifel an ihren Worten haben. Sie mochte es hier und sie war das Misstrauen leid, mit dem ihr stets begegnet wurde.
    "Nun ja - ich hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, das Land zu verlassen und als mein Vater, wie ich nach verbüßen meiner Strafe feststellte bei einem Unfall", sie betonte das Wort so, dass es keinen Zweifel an ihrem Unglauben ließ, "starb, sah ich keinen Grund mehr noch länger zu warten. Auch ich hoffe, hier neu beginnen zu können. Mehr will ich nicht", schloss sie und setzte sich wieder angenehmer auf der Bank zurecht.

  • '... Neu beginnen ... mehr will ich nicht', hallte es in Zarims Kopf wieder. Für wahr, dies war ein Anliegen, das viele Exilianten mitgebracht hatten.
    Nachdenklich starrte Zarim vor sich hin. Er fand beide Besucher durchaus vertrauenswürdig. Im Prinzip hätte Zarim es guten Gewissens verantworten können, Av'Sha zu empfehlen die beiden (wenigstens probeweise) aufzunehmen. Ihre Geschichte klang plausibel, ihr Wunsch verständlich und sie machten insgesamt einen vertrauenserweckenden Eindruck. Vermutlich wussten sie weniger was sie von ihm halten sollten als umgekehrt. Und doch - irgendetwas in Zarim sträubte sich. War nicht Vorsicht angebracht? Würde man sich nicht im Fall eines Irrtums später große Vorwürfe machen?
    Behutsam griff Zarim in die Umhängetasche, die von seiner rechten Schulter getragen an seiner linken Seite hing. Kurz suchte die Hand blind, fand dann was sie suchte. Zarim hatte es erst an diesem, Morgen kurz bevor er sie abgeholt hatte, aufgrund einer Vorahnung dort hineingelegt. Er zog ein kleines Fläschchen heraus, dass er entkorkte und in die Mitte des Tisches stellte.
    Er musterte beide eingehend.
    "Ich kann es Euch glauben oder es nicht tun?", wiederholte er Neirànya zugewandt. Es brauchte keinen Hellseher um festzustellen, dass es die junge Frau bedrückte, ihre Unschuld beteuern zu müssen und doch nichts zu ihrer Bestätigung in der Hand zu haben.
    "Ich glaube Euch. Schließlich habe ich keinen Grund euch zu misstrauen. Aber wir werden dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit Eurer Geschichte nicht von Vertrauen allein Abhängt."
    Zarim deutete auf das Fläschchen, dass noch immer unberührt in der Mitte des Tisches stand.
    "Trinkt das."
    Zarim hatte es freundlich gesagt. Jedoch ließ sein Tonfall keinen Irrtum darüber zu, dass dies kein Angebot war über dessen Umsetzung Neirànya selbst entscheiden sollte.

  • Neira zog kurz die Augenbrauen hoch, nahm das Fläschchen jedoch und hob es vor ihr Gesicht. Etwas in ihr sträubte sich bei dem Gedanken, es einfach so zu trinken. Immerhin kannte sie den Mann, der sie so unmissverständlich dazu aufforderte erst seit wenigen Stunden. Jedoch war sie auch neugierig. Sie hatte die Wirkungen der Mittel des Alchemisten schon bei Galwines Arm interessiert beobachtet und nun fragte sie sich, was nun dieses zur Folge haben würde.
    Immernoch misstrauisch roch sie an dem Flascheninhalt, konnte jedoch nicht sicher auf etwas ihr Bekanntes schließen. Dann gab sie sich einen Ruck - wie konnte sie Vertrauen erwarten, wenn sie ihm selbst keines entgegenbrachte, sah Zarim kurz in die Augen und trank.

  • Die Flüssigkeit, die Neirànyas Zunge berührte fühlte sich kalt an und als sie sie schluckte, hatte sie das Gefühl, dass die Kälte nicht ihre Kehle hinunter rinne sondern sich vom Hals ausgehend in Schultern und Kopf ausbreitete. Dieses Gefühl hielt einen Kurzen Augenblick an, bevor es sich rasch wieder verflüchtigte und kein auffallendes Gefühl zurückließ.
    [Effekt: Wahrheit]


    Zarim lächelte sie an.
    "Ich nehme an, Eure Geschichten entsprechen - soweit Ihr Neirànya das beurteilen könnt - der Wahrheit und es gibt auch nichts, dass Ihr oder Galwine wissentlich verschwiegen habt, wenngleich es unsere Entscheidung euch aufzunehmen beeinflussen könnte. Habe ich recht?"
    Interessiert sah er Neirànya an, erwartete jedoch nicht von der Antwort überrascht zu werden.

  • Neirànya schüttelte sich kurz, ein wenig wie ein Vogel, der ein paar Wassertropfen aus dem Gefieder schüttelt, doch das seltsame Kältegefühl verflüchtigte sich rasch und die Flüssigkeit hinterließ nicht einmal einen Nachgeschmack.
    So antwortete sie Zarim ohne Umschweife.
    "Ihr habt recht. Alles, was wir Euch erzählten ist wahr und nichts haben wir verschwiegen, das, wie ich meine, für Eure Entscheidung von Wichtigkeit gewesen wäre." Ihr Mund verzog sich wieder zu einem ihrer immer ein wenig spöttisch anmutenden Lächeln. "Und da habt Ihr nun dieses Serum verschwendet, ohne dass es eine erkennbare Wirkung gehabt hätte - oder soll sie noch eintreten und ich habe es nicht bemerkt?" Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich glauben sollte, dass es Elexire gab, die das Denken und Antworten verändern konnten. Irgenwie empfand sie die Möglichkeit doch als beunruhigend, obgleich sie sie auch nicht wirklich anzweifelte. Wer konnte schon wissen, was nicht alles möglich war in diesem Land.

  • Zarim konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
    "Nein", sagte er, "eine Wirkung ist bereits eingetreten oder wird es auch nicht mehr."
    Zarim stand auf und befüllte seinen Becher mit frischem Wasser. Anschließend setzte er sich wieder.
    Er schätzte Neirànya als deutlich zu unerfahren ein, als dass ihr Geist sich einem solchen Trank hätte widersetzen können. Der Umkehrschluss lag auf der Hand: Es war nur vernünftig die Glaubwürdigkeit der beiden anzunehmen.
    Gedankenverloren nahm Zarim ein dünnes Holzstäbchen aus seinem Mantel und rührte damit eine Weile in dem klaren Wasser, nahm es heraus und drehte es einen Augenblick zwischen den Fingern. Eine Angewohnheit die er selbst - gerade hier in Exilia - als albern empfand. Sobald er sich dabei ertappt hatte, steckte er das Stäbchen rasch zurück an seinen Platz.
    "Nun", setzt er nach einer kurzen Pause erneut an, "ich denke ich habe vorerst alles gehört, das notwendig war um mir einen Eindruck zu verschaffen. Gibt es vielleicht etwas, dass Ihr gerne wüsstet, oder etwas, dass Ihr gerne sehen würdet? Der Tag ist schließlich noch jung..."

  • Galwine lehnte sich lächelnd ein wenig vor: "Das ein oder andere gäbe es da schon: aus unserer Perspektive sieht ein Leben in Exilia attraktiv aus. Das beruht vor allem auf dem, was uns die Leute erzählten, die uns den Weg hierher wiesen, das sich aber im Wesentlichen durch "Geht dort hin, da kann man seine Ruhe haben, die nehmen jeden auf, ohne groß nachzufragen und sind ansonsten auch ziemlich undurchsichtig" zusammenfassen lässt. Außerdem haben wir von diesem Ort gesehen, woran Ihr uns heute vorbeigeführt habt und was gestern Abend noch zu erkennen war, haben ausgesprochen gute Verpflegung und angenehme Gastfreundschaft erlebt...", er lächelte bei diesen Worten noch ein wenig mehr. "Was uns meiner Meinung nach vor allem noch fehlt, ist die Einschätzung eines Exilanten: Warum sollten wir hierher kommen? Was macht das Leben in Exilia aus? Warum lebt Ihr hier?
    Auch hätte ich persönlich nichts dagegen, noch ein wenig mehr von diesem Ort und seinen Bewohnern zu sehen. Bei diesem Licht betrachtet wirkt er trotz der hohen Mauern sehr interessant und einladend.
    Wenn Ihr die Muße habt, uns etwas über die derzeitige Lage Exilias, die Politik Mythodeas und besonders natürlich des Nordens, hiesige Bräuche oder anderes, das Ihr für relevant haltet, zu erzählen, so würde uns das sehr freuen."
    Er suchte wortlos Neiras Zustimmung und fuhr fort: "Ihr erinnert euch sicherlich, wie es euch erging, als Ihr vor zwei Jahren hierher kamt. Wenn Ihr zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gerade auf diesem Kontinent angekommen seid, so könnt Ihr unsere Lage sicherlich gut verstehen."
    Er lehnte sich nicht zurück, doch mit einem Mal wurde ihm klar, dass er zwar neugierig war und nichts gegen einen Spaziergang einzuwenden gehabt hätte, doch hier noch eine Weile sitzen zu bleiben und sich gesättigt und fast wohlig warm noch ein wenig Zeit zu lassen, erschien ihm fast verlockender.

  • "Und", Neira lehnte sich gleichfalls etwas vor und beschloss, Galwines Redeschwall noch etwas hinzuzufügen, bevor Zarim darauf antworten konnte, "erzählt uns darüber, welche Rechte Frauen in Exilia haben. Bis her schienen sie mir in keiner Weise benachteiligt", nun da sie es aussprach, wurde ihr das volle Ausmaß dieser Feststellung zum ersten Mal richtig bewusst und sie sprach schneller und erregter weiter: "Mir schien sogar, ich hätte bei unserer Ankunft gerüstete Frauen von Euren Wehranlagen herabsteigen sehen. So dürfen sie Waffen tragen und diese auch in den Dienst der Verteidigung des Landes stellen?". Neirànyas Augen leuchteten und sie konnte ein hoffnungsvolles Lächeln nicht unterdrücken.

  • In diesem Moment bot sich den Neuankömmlingen ein faszinierendes Bild:
    Ein riesenhafter Laufvogel, am ehesten mit einem Vogelstrauß zu vergleichen, jedoch an Statur ungemein kräftiger, näherte sich der Gruppe mit schnellen Schritten. Auf dem Rücken des Tieres thronte eine in grau gekleidete Gestalt.
    Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich die Bestie von Reittier der kleinen Gruppe genaht und kam durch einen kräftigen Ruck an den Zügeln zum Stehen. Wären die Straßen nicht gepflastert hätten sich die scharfen Krallen des Ungetüms sicherlich in den Boden gegraben - den Fremden wurde augenblicklich bewusst, dass die Spuren, die sie tags zuvor erblickt hatten von diesem Tier kommen mussten.
    Der Körper des Vogels schien aus purer Kraft zu bestehen: Die messerscharfen Krallen, sehnige schlanke Beine, muskulöse Oberschenkel saßen an einem breitgebauten Rumpf, der von einem teils schuppigen, teils federigen Panzer geschützt wurde. Die Flügel lagen an den Seiten an darüber waren Tragegürtel gespannt worden. Der lange Hals streckte sich gen Himmel und überragte selbst die größten Menschen. An dessen Ende ruhte ein schnabelbesetzter Kopf, mit großen, unruhig flatternden Augen.


    Der Reiter trug eine graue Uniform, darüber ein Kettenhemd. Er stand mehr im Sattel als dass er saß, was sowohl der Körperform des Reittieres als auch der Form des Sattels geschuldet war. Um seine Hüfte schlangen sich mehrere Gürtel mit zahlreichen Taschen daran, die vielen Verbände zeugten von dessen Profession. Um den Hals trug er zwei Ketten, deren Anhänger sanft vor Brust pendelten: Ein hölzernes Kreuz und einen klauenähnlichen Reißzahn. Auf dem Kopf trug der junge Mann einen Eisenhut, darunter eine Haube.
    Wer genau hinsah hätte bemerken können, dass der junge Mann unter seinen von der zügigen Reise beschmutzten Gewänder leicht zitterte, ob nun vom kühlen Wind oder aus Unsicherheit konnte man jedoch nicht sagen.Sein unruhiger Blick suchte Zarim und als er ihn fand huschte ein kurzes Lächeln über seine unnatürlich rastlosen Züge.


    „Heda Zarim!“


    Beim Absteigen blieb er mit seinen Reiterstiefeln in einem der Steigbügel hängen. Sein Schwung erlaubte es ihm nicht sich auszubalacieren und er schlug der Länge nach hin. Der riesenhafte Vogel schien sich nicht sonderlich darum zu scheren und trottete unruhig auf der Stelle.
    Schnell hatte sich der junge Mann wieder gefangen, raffte sich auf und hielt die Zügel sogleich fest in der Hand.


    „Av’Sha schickte mich hierher. Außerdem sagte sie es gäbe Besuch?“


    Bei dem letzten Wort schien er das erste Mal Kenntnis von Galwine und Neiranya zu nehmen. Seine verhärteten Augenringe sprachen von zahlreichen durchwachten Nächten, dennoch lächelte er sanft und nickte den Fremden freundlich zu.
    Er mied es Neiranya länger als den Bruchteil eines Augenblicks anzusehen.

  • Überrascht sah Zarim, der gerade auf den Wust von Fragen hatte antworten wollen, auf. Zwar hatte er Valentin erwähnt, nicht jedoch damit gerechnet ihn noch am selben Tag zu sehen. Freude war Ausdruck seines Gesichtes.
    "Valentin - schön dich zu sehen! Was verschafft uns das Vergnügen? Wie ich sehe, hast du dich ans Reiten gewagt. Mutig, mutig. Mit diesen Larks ist wirklich nicht zu spaßen!"
    Amüsiert betrachtete Zarim die Absteigeversuche des Freundes und dachte zurück an das letzte Mal, als er zusammen mit Valentin gen Exilia geritten war. Wie lange war das nun schon her? Eine Ewigkeit. So kam es ihm zumindest vor. Sanft tätschelte er den Hals des Larks, der seinen Kopf drehte, antäuschte Zarims Hand abzubeißen und erst im letzten Moment innehielt, um sich anschließend wieder um seich selbst zu kümmern. Ein schönes Tier. Zarim hatte den Eindruck, es sei noch etwas gewachsen seit er es das letzte mal gesehen hatte.
    "Das Av'Sha dich schickt, ist gut, denn ich denke wir können ihr auch etwas schicken. Wobei 'etwas' vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist.", mit einer Bewegung seines Kopfes deutete Zarim auf seine Gäste. "Das ist Galwine und daneben Neirànya. Sie kommen aus der alten Welt und werden verfolgt, die Armen Dinger."
    Zarim zwinkerte Valentin zu. "Ich denke du stellst dich am besten selbst vor. Vielleicht magst du dich einen Augenblick dazusetzen? Wenn du möchtest bringe ich deinen Lark in die Stallung."

  • Valentin winkte Zarims Angebot ab.


    "Nein, nein das besorg ich schon selbst, danke. Hast du die Gäste denn schon herumgeführt? Warum nicht Eins mit dem Anderen verbinden?"


    Die Zügel nochimmer fest in seiner rechten Hand haltend deutete er eine knappe Verbeugung an.


    "Ich darf mich vorstellen: Bruder Valentin mein Name. Ich bin schon bald zwei Jahren ein Siedler dieses Protektoriats, jedoch zwang mich mein Studium meinen Wohnsitz nach Selfiran, dem Protektoriat der Heilerakademie, zu verlegen. Ich bin trotz meines jungen Alters ein brauchbarer Heiler und hoffe in nicht allzuweiter Ferne meinen Abschluss machen zu dürfen."

  • "Nungut", sagte Zarim, der unverzüglich aufstand "Ich glaube, das Interesse an einer etwas ausgedehnteren Führung bestand ohnehin."
    "Eure Fragen", hierbei wandte er sich wieder an Galwine und Neirànya, "Können wir auch unterwegs beantworten. Seid ihr mit dem Plan einverstanden?"
    Nach kurzem Überlegen wandte sich Zarim Neirànya zu und sprach mit etwas gedämpfterer Stimme.
    "Ich bin mir nicht sicher, ob ich Eure Züge bei Eurer letzten Frage richtig deutete, doch drängte sich mir das Gefühl auf, Euch gefalle die Vorstellung hier Waffen tragen zu können. Ich kann euch versichern, dass Ihr es nicht nur dürft, sondern unter Umständen schneller als erwartet auch müsst. Dort wo Ihr herkommt mag es nicht angenehm gewesen sein und mein Herz hängt ohne frage fest an diesem Land. Ich möchte Euch jedoch nicht vorenthalten, dass es auf keinen Fall ein Paradies ist: Im Westen und Osten stehen Heerscharen willenlos und perfekt geschaffener Krieger. Leichname drohen sich postmortem gegen die eigene Sippschaft zu wenden und die Heere der Siedler werden wo immer sie sich lagern durchzogen von Krankheit und Pestillenz. Seid froh wenn ihr jenen Kreaturen begegnet, gegen die Euer Schwert überhaupt eine Wirkung hat und die nur Euren Körper angreifen anstelle Eurer gesamten Existenz."
    Er hatte möglicherweise ein wenig übertrieben. Natürlich existierten all diese Gefahren. Jedoch war Mythodea an vielen Stellen ebenfalls ein Ort, an dem die Kultur blühte und an dem es sich gut leben ließ. Zarim schenkte Neirànya ein lächeln um ihr klar zu machen, dass all dies kein Grund war den Mut zu verlieren.