Besuch aus Firnhaven

Das Spitzohr nickte.

"Wir treiben im Strom, und ich versuche das auch hier zu tun. Zuviel zu wollen und zuviel zu verändern - das hat diesen Kontinent in Krieg und Hass gestürzt !

In der Geschichte meiner Art haben wir die gleiche Erfahrung miteinander vor sehr, sehr langer Zeit gemacht ... auch damals haben wir überdauert , so sie uns nicht umgebracht haben ! Es war die einzige Möglichkeit , um zu überleben . Auch bei mir ist es ähnlich - ich bin noch hier, während die großen Zielesetzer vernichtet wurden ... am Ende aller Tage wird es keine Rolle mehr spielen , was welcher Mann oder welcher Stamm im kurzen Augenblick seiner Existenz geleistet hat - nur diejenigen , die mit dem Strom der Welt treiben , werden überdauert haben !

Seht euch die Ratio an! Meint ihr , selbst wenn sie alles andere Leben auslöschen könnten - dass sie unverändert , ungeteilt und rein das Ende der Zeit erreichen ?! Sie werden von ihrer falschen , frevelhaften Sucht , die Dinge zu ändern , im letzten Schluss sich selbst verlieren ..."

Nairas Stimme war dunkel und langsam geworden. Sie klang jetzt tatsächlich nicht mehr menschlich; ein seltsames Kratzen schwang in ihrem Ton mit .

Man möchte meinen, dass die meisten Menschen deshalb aktiv gestalten wollen, weil ihnen das lieber ist, als dass andere für sie gestalten und damit über sie bestimmen. Denn nur wenige Menschen sind in der Lage, über andere so zu bestimmen, dass es zu aller Vorteil oder gar Zufriedenheit ist. Deshalb ist der Mensch am liebsten seines eigenen Glückes Schmied. Und dass der Mensch zu seiner Zufriedenheit von etwas gelenkt werden könnte, diese Erfahrung muss er erst noch machen. Das hat Euer Volk den Menschen gewiss voraus.

"Es geht ja nicht darum , NICHTS zu tun - aber... wie soll ich es erklären ... nicht auf kurze Sicht zu handeln ! Und wenn etwas sich ändern muss, auf den richtigen Moment zu warten - zu verstehen , auf wie vielfältige Weise sich die Veränderung auswirken wird .... nicht nur von dem einen kleinen Platz aus zu denken , auf dem man steht - sondern die Welt weiter , auch auf lange Zeit hin zu erfassen!

Der Feind vernichtet jeden Ort, den er vorfindet ! Er verdreht jede Kreatur. Kann ein einziger von ihnen behaupten , im Einklang mit den Sternen , dem Wald oder dem See zu leben ? Nein ! Er ist ein Fremdling in dieser Schöpfung der Elemente !"

Den meisten Menschen ist schon daran gelegen, das Große Ganze zu sehen, in Zusammenhängen zu denken und für die Zukunft zu gestalten. Nun ja... sagen wir einigen Menschen. Vielleicht werden Menschen einfach nur nicht alt genug, um ein mit Elfen vergleichbares Verständnis für die großen Zusammenhänge zu entwickeln. Deshalb nimmt Geschichtsschreibung einen so wichtigen Stellenwert bei uns ein.

Obwohl einige behaupten, Geschichtsschreibung sei nur eine Ablenkung für die Gelehrten, damit sie die Regenten nicht mit Ideen über die Zukunft verwirren, die eigentlich nur in der Gegenwart herrschen wollen.

Naira runzelte die Stirn.

"Seltsame Ansicht über Geschichtenerzähler!" meinte sie. "Dumm! Sehr dumm! Aber ich werde die Najorim vermutlich nie verstehen."

Ihr Blick ging zu Helrik, der schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt hatte.

"Jetzt, wo du mehr über die Weltenwächter weißt - hast du vor, dich zu binden und die Prüfungen anzufangen? Oder wirst du für uns Wissen sammeln, damit wir besser verstehen, wie wir diese Kraft einsetzen können?"

Naira nickte.

"Ich habe diese Wahl nicht gehabt. Für mich war es Alnock, nicht Steinvater! Aber -- inzwischen denke ich, dass es nicht nur wegen der Vergangenheit wichtig ist, dass ICH zu Steinvater sprechen kann. Seine Schwäche ist die Mildherzigkeit. Das ist nicht unbedingt MEINE Eigenschaft... Vielleicht teile ich eher die Schwäche Windbringers.

Als Sprechende bin ich zwar keine Beraterin, sondern ich bringe nur Fürbitten und Mitteilungen vor den Weltenrat. Trotzdem würde es mir vielleicht eher auffallen, wenn die Schwäche Steinvaters zu Tage treten sollte!

Noch ist es nicht wichtig - aber wer weiß, eines Tages wird es vielleicht darauf ankommen, gemeinsam mit dem Weltenrat etwas zu beschließen!

Womit ich mir das nicht anmaßen möchte, und trotzdem... auch für mich persönlich hilft es mir, an Steinvaters Stärken zu denken, die nicht unbedingt MEINE sind... ich kann Steinvater versuchen nachzukommen, aber weder werde ich mich dabei verlieren noch hätte er in mir bloß eine widerspruchslose Dienerin...

Vielleicht brauchen uns die Weltenwächter auch dafür, dass wir vorsichtig sind - und dass wir eine andere Sichtweise haben als die Quihen Assil! Wie die neue Stabilität der Welt aussehen wird, wird maßgeblich auch von den Menschen entschieden werden. Deswegen würde ich dir empfehlen, nicht nur nach deiner Ähnlichkeit zu gehen - sondern nach dem, was du unterstützenswert findest!

Nimm nur einmal an, es würde einer oder mehrere Weltenwächter irgendwann aus dem Rat vertrieben - welcher Weltenwächter sollte deiner Meinung nach unbedingt im Rat verblieben? Wem traust du am meisten?"

Nicht, dass ich von der Angelegenheit viel verstehen würde, aber wäre es nicht von strategischem Vorteil, wenn der Norden zwei verschiedene Weltenwächter anrufen könnte?

"Naja..." Naira überlegte. "Einerseits ist es in der Spiegelwelt wichtig gewesen, die Macht von allen vier Wächtern anzurufen. Sowas geht aber auch grundsätzlich schlecht mit vier Leuten unsererseits! Es waren sehr viel mehr Leute erforderlich, um den Spiegelpunkt zu weihen. Und solche großen Aktionen stehen ja meistens im Mittelpunkt. Daher IST es ja so bedenklich, dass wir so wenige Sprechende sind!

Andererseits glaube ich, dass wir die Macht des Weltenrats in Zukunft auch auf Mythodea sehr viel häufiger einsetzen werden... Diese Zeit gehört besonders den Sterblichen, den Siedlern, verkündete uns eine Weissagung. Und das kann aus meiner Sicht nur bedeuten, dass wir uns mit denen verbinden, die wir da hochgeschickt haben und die uns andere Möglichkeiten geben, als diejenigen, die wir schon früher hatten und die unabhängig von uns waren. Die Macht des Weltenrats kann ja nur wirken, wenn wir ihn anrufen - er ist abhängig von uns wie wir von ihm!

Und wenn du diesem Gedankengang folgst, kann es sein, dass auch einmal nur EIN Weltenwächter angerufen werden wird. Die Siedler neigen dazu, sich auf EINEN Aspekt zu konzentrieren, so war es auch schon bei den Elementen! Wir sprachen davon. Schließlich bindet man sich auch nur an einen.

Jetzt kannst du sagen: Dann sollten wir am besten jeweils zu ALLEN Weltenwächtern mindestens eine Person haben. Da stimme ich dir zu! Trotzdem können wir es nicht leugnen, dass sich so etwas wie eine Bindung vor allem über das Gefühl entscheidet! Kalkül ist ein schlechter Ausgangspunkt, um Sprechender zu sein! Es wird nicht genügen, um die Prüfungen zu bestehen! Du musst das Vertrauen zu dem Weltenwächter in deinem Herzen spüren."

"Für die Prüfungen musst du ohnehin sie alle vier gut kennen. Jede Prüfung versucht einen der vier Weltenwächter zu repräsentieren. Welche würdest du zuerst angehen?" fragte Naira ernsthaft.

Interessiert hatte der Pater das Gespräch verfolgt. Es waren also vier Weltenwächter und vier Prüfungen.

Sagt, würdet Ihr uns erklären, welcher Art diese Prüfungen sind?

"Gerne. Die Prüfung für Windbringer nehmen die Naldar ab. Du musst dich aber vorher erkundigen, wer unter den Naldar es genau ist. Denn die haben meine Prüfung abgenommen, akzeptiert und dann hinterher widerrufen, weil sie gar nicht zuständig waren... obwohl ich extra gefragt hatte, ob sie sich sicher sind! Das ist öfter so und du kannst den Ouai in dieser Hinsicht auch nicht trauen!"

Naira hätte fast den Faden verloren, denn die UNMÖGLICHEN Ouai, die sie bei jeder Gelegenheit ungerecht behandelten und sogar schon nachweislich angelogen hatten! regten sie fast genauso auf wie der Feind...

"Die Naldar möchten, dass du mit ihnen in den Kampf gegen die Ratio ziehst. Sie beurteilen nicht, wie gut du gekämpft hast oder wie viele Feinde du erledigst, sondern nur DASS! Das bedeutet, du kannst dir Prüfung nur da ablegen, wo es zugleich Naldar und Ratio gibt! In Holzbrück war es also nicht möglich - aber unter den neuen Umständen..."

Der Pater grübelte und strich sich dabei über den Bart.

Die Naldar sind ein Volk Aeris. Man möchte meinen, dass sie vorzugsweise gegen die Leere ins Feld ziehen würden, nicht gegen die Ratio. Die Ratio ist das Verfehmte Gegenelement Terras. Ist mir etwas entgangen?

Der Pater schmunzelte. Der junge Gardist kannte sich also aus. Wenn er die Prüfungen bestehen wollte, musste er sich allerdings auch auskennen.

Aber auch der Untot ist nicht die Leere.

"Du veralberst doch nur!"

Naira sah den Pater kopfschüttelnd an.

"Nicht gegen die Ratio?!"