Alte Familie - Neue Familie

  • Liadan begann damit die Narbe abzutasten. Sie war nicht sehr tief und rührte von einem sauberen Schnitt her. Die Narbe schien dünner zu werden. Sie heilte tatsächlich nach so langer Zeit noch ab.


    "Habe ich das richtig verstanden, dein Vater hat mit dir trainiert und dir diesen Schnitt bewusst verpasst?"


    Das würde zu Donann passen. Er konnte es nie ertragen, dass sein Sohn anders war. Dies war auch der Grund warum er Cuilean ständig verprügelte, wenn er etwas falsch oder nicht so machte wie er es sich vorgestellt hatte. Als Liadan Donann darauf ansprach und ihm sagte, dass sie seine Erziehungsmethoden nicht tragbar fand, erwiderte er nur ‘Das bringt ihn schon nicht um es macht ihn nur stärker'.

  • Liadan runzelte die Stirn. Sie hatte vergessen wie mühsam es doch war mit ihm eine Unterhaltung zu führen. Daher konzentrierte sie sich zunächst wieder auf die Narbe.
    "Mit der Narbe ist sonst alles in Ordnung. Wenn sich etwas ändert sag es mir bitte. Du kannst natürlich auch direkt den Faun fragen ."
    Da ihr immer noch so viele Fragen durch den Kopf gingen fügte sie einer kurzen Pause hinzu :
    "Ich würde dich gerne noch einmal etwas über deinen Vater fragen, wenn es dir nichts ausmacht. "

  • Was hätte ihm anders übrig bleiben sollen als damit einverstanden zu sein?
    "Auf seine Art."
    Die Antwort ließ die Kälte von Donann spüren.
    "Warum sollte er wissen?"
    Vielleicht wusste Donann es, vielleicht wusste er es auch nicht, aber als Cuilean das Haus verlassen hatte, war er für sein Vater kein O'Liary mehr. Ein Königs Sohn, der kein Krieger wurde?
    "Was dich hat hier gehalten?"
    Cuileans Blick veränderte sich.

  • Liadan erschrak bei der Kälte in Cuileans Stimme. Was hatte Donann bloß aus ihm gemacht.
    "Warum sollte es Donann noch interessieren, da du ja die Schildträgerschaft abgelehnt hattest." Sagte sie mehr zu sich selbst.
    Und zu Cuilean, wobei ihr sein veränderter Blick nicht entgangen war: "Ich habe hier im Stamm Subhachas Keyll so etwas wie eine neue Familie gefunden. Menschen die mir wichtig, mir ans Herz gewachsen sind. Und natürlich weil sie meine Hilfe als Heilerin benötigen.
    Und jetzt wo du, Andra, Cailin und noch ein paar andere O'Liarys dazu genommen sind, habe ich noch einen Grund mehr zu bleiben."

    Sie lächelte während sie die letzten Worte sprach.
    "Kannst du das verstehen?"

  • Cuilean nickte bei ihren ersten Worten leicht.
    Doch als Liadan weitersprach schweiften seine Gedanken ab...
    Sie sprach von Familie - er dachte an die Schilde neben sich.
    Sie sprach vom Herzen - er dachte an das Blut, von sich, vom Feind, vom Freund.
    Sie sprach von Heilung - er spürte Energie... Er spürte... SCHMERZ!


    Cuilean rutschte von seinem Hocker auf die Knie. Sein Blick nach oben gerichtet. Die Augen wie in Trance verdreht. Seine Arme waren seitlich weggestreckt.

  • Sie hatte gesehen wie sich sein Blick veränderte, sich nach innen richtete, doch dann ging alles so schnell.
    Sie saß noch immer unmittelbar vor ihm, berührte ihn jedoch zunächst nicht sondern beobachtete ihn nur.
    Im Sommer hatte sie ihn schon einmal in einer ähnlichen Verfassung gesehen. Nachdem Cupa in der Kelriothar die wilde Jagd in ihn getrieben hatte, war der Rabe in ihm erwacht.


    Er verharrte weiter in dieser Position und schien große Schmerzen zu haben, auch sein Gesichtsausdruck hatte sich wieder deutlich verändert. Daher beschloss Liadan ihn zurück zu holen, von wo auch immer er gerade war. Sie befürchtete das Schlimmste - Kelriothar. Doch wie sollte das möglich sein?
    Sie kniete sich vor ihn, legte ihre Hände auf seine Schultern, so wie sie es damals getan hatte und in einem beruhigenden Tonfall sagte sie "Ich bin hier Cuilean, hier bei dir und ich lasse dich nicht allein. Komm zurück - komm zurück mit mir." Gleichzeitig schickte sie Terra-Energie in ihn, in der Hoffnung ihn im Hier und Jetzt zu erden.

  • Der Wind umspült seine Flügel. Der dumpfe Schmerz eines fernen Körpers pochte in seinem Kopf. Unter ihm sah er das Schlachtfeld, den Splitterpunkt in dem die Naldar Aeris genossen.


    Cuilean erlebte in seiner Trance jenen Moment erneut. Aeris-Energie durchfloss ihn erneut.


    Eine Energie, wie ein Fels, zog ihn herunter - dem Schmerz entgegen. Ein Pochen in seinem Rücken. Ein Brennen in seinem Gesicht. Er vernahm sanfte Stimmen aus weiter Ferne.


    Liadan war zu sehr damit beschäftigt Cuilean mit Energie zu erden, sodass sie nicht bemerkte wie seine Narbe sich veränderte - wie sie kleiner wurde.

  • Liadan spürte die Energie die ihn durchströmte, die versuchte ihn weiter fort zu ziehen. Doch sie spürte auch den Schmerz in seinem Rücken. Es fühlte sich genauso an wie damals als der Faun Cuilean berührte. Sie erinnerte sich an seine Worte 'Halt ihn gut fest. Und du wirst alles spüren was er spürt. Bist du dazu bereit?' Ja sie war bereit. Sie hielt ihn weiter an den Schultern fest und versuchte seine Aeris -Energie mit ihrer Terra-Energie auszugleichen.
    "Cuilean komm zurück. Ich bin hier bei dir, komm zurück mit mir, komm zurück- zurück zu mir." Sie wiederholte die Worte immer wieder, in der Hoffnung, dass er sie hören konnte.

  • Liadan traf sein Gewicht mit voller Wucht. Sie hielt ihn jedoch fest in ihren Armen. Er atmete schwer, aber gleichmäßig. Langsam ließ sie ihn zu Boden sinken und legte ihn neben sich auf den Boden. Sie nahm ihre Wasserflasche und goss ihm vorsichtig etwas Wasser über Kopf und Gesicht. Erst da bemerkte sie, dass die Narbe deutlich kleiner geworden war. Erstaunt untersuchte sie sie und strich ihm die nassen Haare aus dem Gesicht. "Cuilean kannst du mich hören? " Fragte sie besorgt.

  • Fasziniert beobachtete sie wie die Narbe mit jeder ihrer Berührungen kleiner wurde und allmählich verschwand.
    Erleichtert holte sie tief Luft, als er die Augen aufschlug. Sie hatte es geschafft. Er war zurück.
    Sie stützte ihn und half ihm dabei sich langsam aufzusetzen. Dann bot sie ihm wortlos die Wasserflasche an.
    Nach einer Weile frage sie "Wie fühlst du dich? "

  • Sie hatte also richtig vermutet, er war mit dem Raben geflogen. "Du hast also alles noch einmal durchlebt. Das erklärt so einiges."
    Liadan griff nach der Wasserflasche und nach der Hozschale. Jetzt hatte auch sie Hunger und Durst, denn sie hatte einiges an Energie verbraucht. "Wir sollten etwas essen. Wo finde ich denn den Koch?"