Alte Familie - Neue Familie

  • Liadan war erleichtert. Er war hier in guten Händen. Untersuchen konnte sie ihn später immer noch. Hauptsache er war bereit ihr zuzuhören.


    Sie folgte Cuilean und setzte sich wieder neben ihn auf den Boden.


    "Du wirfst mir vor, dass ich dich verlassen habe. Doch das tat ich nicht aus freien Stücken. Dein Vater wollte mich, nachdem dein Onkel gestorben war, mit seinem ersten Krieger verheiraten. Du kennst ihn und du weißt das ich das nicht tun konnte. Weil ich mich weigerte hat er mich aus dem Stamm verstoßen und du weißt genau was das bedeutet. Ich wollte dich mitnehmen, doch das hätte er niemals zu gelassen. Es zerriss mir das Herz."


    Sie machte eine kurze Pause, denn allein darüber zu reden schnürte ihr die Brust zu. Cuilean war wie ihr eigener Sohn. Er war außerdem der Grund warum sie gehen musste. Denn Donnann, ihr Stammesoberhaupt und Schwager, billigte ihre Einmischungen bezüglich der Erziehung seines Sohnes und sonstigen Belangen des Stammes nicht. Er konnte Liadan nicht ertragen und wollte sie daher mit seinem ersten Krieger verheiraten um sie zu zügeln.


    "Es tut mir so leid."


    Während sie das sagte beobachtete sie Cuilean. Konnte er es verstehen und was noch viel wichtiger war konnte er ihr verzeihen?

  • Cuilean hörte zu, während er den inzwischen kalten Rest aß.
    Den Tag als er erfuhr, dass Liadan nicht mehr da war, würde er nie vergessen. Er wollte ihr davon erzählen, dass er bald bei den Jungen Kämpfern aufgenommen werden würde. Doch sie war nicht da.
    Sein Vater wollte nicht drüber reden.
    Nach ein paar Monaten zog Cuilean dann zu den Jungen Kämpfern.


    Cuilean schaute Liadan an. Er hatte ihr nie verziehen und würde ihr wahrscheinlich auch nie verzeihen. Warum ich gekommen hier?
    "Leben hart... Ich härter."
    Das war vermutlich der einzige Trost, den Liadan von ihm erwarten konnte. Sie würde sich sein Vertrauen wieder hart erarbeiten müssen.
    Es war das erste Mal seit der Kelriothar, dass sie mit ihm sprach. Dachte sie tatsächlich es würde alles direkt wie früher sein?

  • Liadan nickte schweigend. Ja das Leben war hart, das hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen. Doch wie musste es für ihn gewesen sein? Er war viel zu schnell erwachsen geworden. Was hatte sie erwartet? Sie hatte die ganze Zeit den Gedanken an ihn und die Vergangenheit in ihrer alten Heimat verdrängt. Vermutlich war das auch der Grund warum sie Cuilean bisher aus dem Weg gegangen war. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen. Zuerst verlor sie ihren Mann und ihre Söhne in einem dieser Kriege und dann auch noch Cuilean. Und als Donanns Entscheidung gefallen war, dass sie den Stamm verlassen musste, hatte niemand zu ihr gestanden.


    "Ich verstehe dich und ich habe gesehen wie viel du aushalten kannst. Auch wenn du es mir vermutlich nicht glaubst, ich bin sehr stolz auf dich und was du alles alleine erreicht hast. Du bist ein sehr guter Kämpfer. Ich bin so froh, dass du hier bist."


    Sie versuchte ihm dabei in die Augen zu schauen. Sein Blick war hart, fast Ausdruckslos.


    "Was hat dein Vater dir erzähl als ich auf einmal fort war?"

  • "Er hat nicht gesprochen."
    Die Schüssel war inzwischen leer, sodass Cuilean sie wieder auf den gleichen Platz wie vorher stellte.
    Danach schaute er sich die größer-werdenden Blauenflecken an seinem Oberarm und am Bauch an - nur halb so wild.
    Allerdings machte das Drehen des Kopfes ein wenig Schmerzen. Doch ließ er sich das nicht anmerken.
    "Ich auch nicht lange mehr war bei ihm."

  • Das hatte Liadan schon befürchtet. Donann war froh das sie fort war, warum sollte er noch über sie reden.


    Sie bemerkte wie Cuilean sich seine blauen Flecken anschaute. Ihr war nicht entgangen, dass sie sich vergrößerten und die Farbe änderten. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.
    "Darf ich mir deine blauen Flecken genauer anschauen?"

  • Liadan stand sofort auf und begann systematisch seinen Oberkörper abzutasten. Diesmal war sie voll und ganz Heilerin. Sie begann an den Armen, konnte jedoch außer ein paar Prellungen nichts feststellen. Als sie von den Schultern über den Hals tastete bemerkte sie sofort eine starke Verspannung und einen Wirbel der sich verschoben hatte. "Ich muss dir den Halswirbel einrenken sonst kannst du deinen Kopf nicht mehr richtig drehen. Du musst jetzt ganz locker lassen!" Mit der linken Hand unter dem Kinn und der rechten den Hinterkopf stützend bewegte sie den Kopf zunächst langsam und dann etwas ruckartiger einmal nach links. Man konnte ein leises knacken hören. Dann tauschte sie die Lage ihrer Hände und wiederholte das Prozedere nach rechts. Auch diesmal war das Geräusch deutlich zu vernehmen. Liadan nickte ohne etwas zu sagen und massierte noch eine Weile seine Hals-und Schulterpartie. Danach schaute sie sich seinen Rücken genauer an. Dieser war übersäht mit unterschiedlich alten Blutergüssen. Sie schüttelte den Kopf. 'Er hat wohl die letzten Tage nur im Ring verbracht.'
    Dann betrachtete sie seine Brust und den Bauch.
    "Steh bitte auf damit ich den Bauch besser abtasten kann."
    Auch Brust und Bauch waren mit unterschiedlich alten Blessuren übersäht. Doch sie konnte keine besorgniserregenden Verletzungen feststellen.
    "Du solltest dir heute Abend vor dem Schlafen gehen warme Umschläge auf deinen Hals und Nacken legen. Und heute nicht mehr in den Ring steigen, damit der Wirbel nicht wieder heraus springt.
    Wenn du willst kann ich deine blauen Flecken mit einer Kräutersalbe behandeln, damit sie besser und schneller abheilen."

    Mit ihren Heilsteinen brauchte sie bei ihm erst gar nicht anzufangen. Das würde mehrere Stunden Ruhe bedeuten und die hatte er schon als Kind nicht aufbringen können.

  • Das hatte sie schon fast erwartet.


    "Wie du willst. Du solltest dir deine Tunika wieder anziehen!" Mit diesen Worten schaute sie sich um und entdeckte die Tunika auf dem Weg zum Ring auf der Erde liegen. Sie ging los sie zu holen.
    Auf dem kurzen Weg zurück zu Cuilean kam auch das besorgte Gefühl der Mutter zurück. Was sollte sie bloß tun, um sein Vertrauen wieder zu erlangen?


    Mit langem Arm streckte sie ihm die Tunika entgegen.
    "Kann ich im Moment sonst noch etwas für dich tun?"


    Eine weitere Frage bewegte sie noch "Warum bist du mit hier her gekommen, obwohl du wusstest das auch ich hier sein werde, wenn du so wütend auf mich und so enttäuscht von mir bist."


    Erwartungsvoll schaute sie ihn an und hoffte, dass sie mehr als nur ein Schulterzucken als Antwort bekommen würde.

  • Cuilean nahm von Liadan die Tunika entgegen und zog sie an.
    Er schaute sie eine Weile an. Dann zog er die Schultern in einer Geste der Unwissenheit hoch. Das wusste er ja nicht einmal selbst.
    Vielleicht war es, weil er bald zu alt für die Jungen Kämpfer geworden wäre. Die anderen mit denen er angefangen hatte, hatten sich schon anders orientiert. Für ihn sah das aber nicht ganz so leicht aus.

  • Und das war sehr beeindruckend.
    "Hat dein Vater dich jemals so kämpfen gesehen?"
    Liadan wusste, dass diese Frage sehr heikel war. Doch sie wollte einfach wissen wie Donann reagiert hatte, als Cuilean zu den jungen Kämpfern gegangen war.

  • Liadan nickte und setzte sich vor ihn auf den Boden. Sie schaute ihm direkt in die Augen.
    Vielleicht würde er ihr noch mehr erzählen.
    Ihr gingen so viele Fragen durch den Kopf, doch sie wollte Cuilean nicht überfordern.
    Sie hatte Zeit.

  • Das Warten hatte sich gelohnt.
    "Du hast mir gesagt, dass sich die Narbe anders anfühlt seit der Faun dich berührt hat. Ich habe eine Vermutung warum sie sich verändert. Cupa hatte deine Verletzungen mit Magie geheilt, dies hat wohl auch eine Auswirkung auf deine Narbe.
    Um sicher zu gehen würde ich mir die Narbe gerne genauer ansehen."

    Mit diesen Worten stand sie auf, in der Hoffnung, dass er ihre Berührung im Gesicht zulassen würde.
    "Während ich die Narbe untersuche könntest du mir noch einmal erzählen, wie du sie bekommen hast? Diesmal aber etwas ausführlicher, wenn du das kannst."
    Liadan schaute Cuilean die ganze Zeit an um seine Reaktion nicht zu übersehen. Meistens konnte sie durch seine Mimik mehr erfahren als durch seine Worte.

  • Cuilean ließ die gewähren.
    Er musste jedoch ein wenig überlegen bevor er die Geschichte erzählte.
    "War bei Übung mit Schild. Ich noch sehr jung und ohne Kraft. Donann schlägt Schild gegen Brust und Klinge."
    Seine Hand imitierte die Klinge, als er sich damit über die Narbe fuhr.
    "Ist Zeichen für nicht sein schwach."
    Die letzten Worte waren vom Sinn her, die Worte die sein Vater ihm dazu gesagt hatte.