[Arklant] Die Chronik Kieselheims

  • Nach mehreren Tagen kräftezehrender Reise kommt die kleine Gruppe Reisender aus Paolos Trutz mehr oder weniger wohlbehalten in ihrem Dorf an. Wobei: »Dorf« ist angesichts des Zustandes, in dem sich das ehemalige As’bruna befindet, so sehr euphemistisch, dass eine Gesellschaft, die unter Werbung mit diesem Begriff Aktien ausgäbe, schneller wegen Betruges aufgelöst würde, als die Tinte auf dem ersten Wertpapier trocknen könnte. Von der Siedlung übergeblieben sind einige eingewachsene Trampelpfade, dazu wenige Grund- und noch weniger Außenmauern. Ein Gebäude, das noch alle vier Außenmauern besitzt und zudem unterkellert ist, wird fürs Erste als Unterkunft auserkoren; eine mitgebrachte Plane dient als provisorisches Dach, und zum Glück spielt das Wetter mit, sodass die fehlenden Fenster und Türen keine Probleme darstellen. Diverse wertvolle Habseligkeiten, darunter einige Säcke Geld, die mit drei fliegenden Möwen geschmückt sind und verdächtig nach Guano riechen, werden vergraben oder versteckt. Nach einem reichhaltigen Abendmahl, dessen Hauptspeise aus dem nahen Bach gefangene Forellen bilden, bettet man sich und schläft bald ein.


    Am nächsten Morgen werden Aufgaben vergeben: Unkraut wird gerodet, die Gegend erkundet, ein liebevoll gemaltes Holzschild mit der Aufschrift ›Kieselheim‹ und dem Wappen Arklants in den Boden getrieben, verbliebene Bauten untersucht und vermessen, und schon bald spannen sich zwischen den Ruinen von angespitzten Pflöcken in der Erde ausgehend ordentlich weiße Schnüre, die die neugezogenen Grundstücksgrenzen markieren. All dies wird fein säuberlich in ein Kataster angelegt, und Yaëlle beginnt, die ersten Blätter des Grundbuches zu beschriften. Weiterhin wird ein Bürgerregister aufgesetzt, das sogleich sechs Einträge erhält. Am frühen Abend wird eine erste Versammlung des Bürgerrates abgehalten, die alle Anwesenden nach Designation in ihre Ämter wählt: Carni wird zum Marschall und damit zur obersten Führung des Heeres gewählt, Colgan zum Kommandanten der Stadtwache und damit zu Carnis Gegenpart im Inneren. Yaëlle wird zum Kanzler gewählt, Tom zum für Wirtschaft und Entwicklung verantwortlichen Magistraten, Frederick zum Kämmerer, der die Gelder verwaltet. Zu guter Letzt wählt man Ffalmir zum Fauth, der die Freie Stadt repräsentieren soll und die Sitzungen des Bürgerrates zu leiten. Sogleich beginnt man, den Fauth Ffalmir Ffharranddhor als ›die heiligen drei F‹ zu veräppeln, was dieser notgedrungen über sich ergehen lässt.


    Der zweite Morgen in Kieselheim beginnt laut: Ein großer Karren nähert sich, der dem Klang nach mit einer Vielzahl von Töpfen, Pfannen, Metallgeschirr und gluckernden Fässern beladen ist. Und tatsächlich erkennt Frederick schon aus einiger Ferne seinen Bekannten Bentley Schwarzbart, der die örtliche Taverne übernehmen möchte, auf dem Bock. Mit Bentley reisen seine Frau Gellana und ihr Koch Johann Schwoaf an. Ihnen wird nach einem Eintrag in das Bürgerregister ein Gebäude zugewiesen – eines jener, bei denen abgesehen von einem Keller, in den sofort eine notdürftige Leiter hinabgezimmert wird, nur noch die Grundmauern stehen –, worauf sie ihr Zelt errichten. Man erhält Kunde, dass weitere Siedler aus Drachenstein schon auf dem Weg seien und in wenigen Tagen eintreffen würden.


    Die nächsten Tage verlaufen arbeitsreich; die noch bezugsfähigen Häuser werden unter den Bewohnern aufgeteilt respektive zur Kämmerei, zur Stadtwache, zur Kanzlei und dergleichen ernannt und entsprechend mit Zeltplane abgedichtet und bezogen. Krude Fenster, Tische, Betten und Türen werden gezimmert, Feuerholz gesammelt, Tiere gejagt und Beeren und Kräuter gesammelt. Die Taverne hat trotz der geringen Bürgerzahl schon guten Betrieb und wird zum kühlen Treffpunkt der Gemeinschaft – die ersten Tage über zahlt der Bürgerrat stets die Zeche als Lohn in Naturalien, nachdem von der Kämmerei ein erster Kredit bei der eiligst von Ffalmir etablierten Kieselheimer Bank aufgenommen wurde.


    Bald schon kommen weitere Siedler aus Drachenstein an, angeworben von den Schwarzbarts. Nach neun Tagen zählt das Bürgerregister sechzehn, nach elf schon zweiunddreißig Einträge. Parzellen werden zugewiesen, und die Neubürger entsprechend ihrer Befähigungen in die Arbeit eingewiesen: Bauern beginnen, geeignete Orte für Felder zu erkunden und von Bewuchs zu befreien, Tischler und Zimmermänner widmen sich (nach einigem Kopfschütteln über die notdürftige Arbeit der ersten Tage) dem Aufbau der Gebäude. Kräuter- und Gemüsebeete werden angelegt, Zäune errichtet, Bäume gefällt und Wildkaninchen, Hasen, Fische und Krebse gefangen, und jemand beginnt sogar, regelmäßig die Hauptstraße zu fegen. Mit den ersten Siedlern kommen die ersten Hühner und Ziegen und sogar die ersten Kühe, und bald schon kommt ein Schäfer mit einer kleinen Herde in Kieselheim an, der sogleich zur Aufklärung wieder ins Gelände geschickt wird. Eine Schmiede wird eröffnet, und innerhalb weniger Tage folgen ein Schuster und ein Kürschner. Die ersten Streitigkeiten über ausgeleerte Nachttöpfe und Kinder, die wegen des Tavernenlärms nicht schlafen können, kommen auf und werden mehr oder minder erfolgreich geschlichtet.


    Dem Reisenden bietet sich das Bild eines Ortes, dem die Bewohner sich mühsam, aber mit viel Hingabe ein neues Leben abtrotzen. Kieselheim mag noch ein Flecken Dreck sein, aber es ist ein Flecken Dreck, der sehr geliebt wird.

  • Man hat sich schnell entschieden, dass es ein mächtiges Zeichen der Loyalität Arklants zu seinem Siegel wäre, würde die gesamte Staatsführung mit nach Kel’riothar reisen. Vor der Abreise werden deshalb diverse Vorkehrungen getroffen, um die Verwaltung sicherzustellen. Da der Bürgerrat mittlerweile zu einer eingespielten Institution geworden ist, ist es ein leichtes Unterfangen, geeignete Hilfskräfte zu benennen. Diplomatische Ziele für den Feldzug werden benannt und noch ein paar Grundstücke an Neuankömmlinge vergeben. Schnell ist gepackt. Der in der Anzahl überschaubaren Dorfjugend wird unter ihrem Widerwillen aufgetragen, beim Beladen zu helfen, und eines Morgens bricht die Gruppe auf, noch bevor die Sonne am Horizont zu sehen ist.