Der gute Drow

"Und wie soll ich mich dazu verhalten? Weißt du, als ich meine Prüfung, meine Jagd, abgelegt hab, da hab ich GESPÜRT, was geschehen müsste. Ich bin fortgegangen von meinen Leuten und hab mich vorbereitet im Tempel. Mahrukkaa und Alnock waren meine Wächter, Wesen von Licht und Finsternis haben mich geprüft. Jetzt, wo ich erwachsen bin, hab ich mich vereinigt, und nun müssen mir nur noch >Licht< und >Finsternis< ihren Segen geben und mich loslassen. Zumindest Creo hat das schon getan."

Das Spitzohr ging bei den letzten Sätzen langsamer und schien einen Moment in Gedanken zu versinken. Die Tatsache, dass die Finsternis sie eben noch nicht losgelassen hatte, beunruhigte sie von Neuem. Ihr Brustkorb fühlte sich so seltsam an. Vielleicht kam das davon, dass der Wahnsinn ihres Gefährten sie wieder an das Dunkle erinnert hatte?

"Aber bei euch weiß ich nicht, wie diese Jagd ablaufen muss. Ich hab den Eindruck, ihr habt da auch gar keine Tradition, oder? Oder nicht alle kennen sie. Ich weiß nicht, ob ich mit ihm sprechen darf, ob ich mitgehen soll oder was überhaupt seine Beute sein wird. Ich weiß gar nichts darüber! Denn du sagst ja: Man kann nicht auf einem fremden Boot treiben! Und wenn ich jemandem vorschlagen würde, eine Jagd zu suchen wie bei den Lethi, dann würde es bestimmt Ärger geben! Sie sind ja sowieso schon zornig, weil durch den Jagddrang nicht mehr alle gleich sind im Stamm. Ryzzil sagt, ich würde Chaos verursachen! Dabei glaub ich gar nicht an das Chaos!"

Sie blickte zu ihm hoch. Es war selten, dass sich jemand dafür interessierte, welche Kultur IHR Volk hatte. Sonst war immer sie diejenige, die zu lernen hatte.

"Wir suchen einen neuen Weg, damit wir auf unserem Pfad weitergehen können. Also müssen wir dorthin, wo alle Wege enden. Wo es am gefährlichsten ist. Wenn du spürst, dass du zurückscheust - dass du dich selbst nicht überwinden kannst, etwas zu tun - dann hast du deine Beute gefunden! Für uns Lethi ist schon die Veränderung an sich schwierig. Und ausgestoßen zu sein während unserer Jagd. Wir haben überhaupt sehr oft Angst - wir gehen gern langsamer - deshalb ist es etwas Besonderes, die GRÖSSTE Angst zu finden..."

Sie versuchte sein Gesicht zu lesen, aber seine Maske verhinderte es.
"Könnte es sein... Meinst du, es ist für euch Drow am gefährlichsten, einen eigenen Willen zu haben?", fragte sie vorsichtig.

Die Elbe blickt nachdenklich vor sich beim Gehen und nickte gedankenverloren. Ihr Blut wurde bei seinen Worten wieder ruhig und die Kälte der Umgebung legte sich wohltuend um ihren Kopf.
Das hatte noch nie jemand gekonnt; nur der Meanor hatte ähnliches bei ihr bewirkt, aber mit ganz falscher Magie.
Allmählich formte sich bei Naira ein Bild, wie sie Tarabas erfassen konnte...

"Es läge mir wirklich SEHR fern, die Drow vergessen lassen zu wollen, woher sie kommen", fing sie nach einer Weile wieder an. Und einen Moment lang huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. "Und vom Sich-selbst-Verlieren halte ich bekanntlich auch gar nichts! Dass man sich hier und da ein wenig anpassen muss, sich öffnen muss, gerade wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, ist aber meiner Meinung nach für alle wichtig."

Sie seufzte.
"Ich nehme an, das Misstrauen mir gegenüber hat also doch etwas damit zu tun, dass ich eure Gebräuche nicht kenne! Ich würde gern von Euch lernen, Tarabas. Ich muss wissen, wie sich eine Gefährtin verhält, damit das Ganze nicht blutig endet. Ich hab nicht geahnt, dass die Vereinigung bei Eurem Volk den Männchen soviel Macht verleiht - und Andere sich beleidigt fühlen könnten! Das macht mir Sorge. Nicht um das, was er tun könnte, aber was sein Volk tun könnte, um ihn wieder unterzuordnen!"

(PM)

Leiser ergänzte sie:
"Bei den Orks ist es anders, wenn sie jemanden gern haben. Wenn keiner hinsieht, drücken sie sich die Pfoten oder riechen aneinander. So wie Creo das mit Naira tut. Aber die Drow tun so etwas wohl nicht, oder? Ist das, weil sie einander nicht wirklich gern haben?"

"Den Wert beweisen, ach, schon wieder...", murmelte das Spitzohr mokant.

Sie dachte aber ernsthaft über seine Ansicht nach.

"Und wie passt das dazu, dass bei euch die Weibchen das Sagen haben? Hast du mir das nicht so erklärt? Und sollte er es nicht verstehen, wenn ich zuerst von dem das Wort hören möchte, der mich zu einer Erwachsenen gemacht hat? Wenn er die Klinge sein will, die mich leitet, müsste er sich doch ein bisschen vernünftiger verhalten und auch MEINE Riten ehren!"

"Aha!", sagte sie schnippisch und sah ihn mit einer Empörung an, die ahnen ließ, dass da mehr in dem Spitzohr vorging, als sie nach außen zeigen wollte.
"Kenne ich das nicht schon?! Dasselbe ist es bei den Orks! Naira ist ein Snagga, und jeder, der sich mit ihr abgibt, wird ebenfalls ein Snagga! Deshalb darf das keiner wissen, und wenn jemand hinschaut, schleift man Naira am Handgelenk herum und schleudert sie zu Boden!"

Sie stampfte fast mit den Füßen auf, so stark brandete der Zorn auf.
"Aber Mahrukkaa hat gesagt, dass das jetzt vorbei ist! Jetzt bin ich eine Maah, ich habe WÜRDE!"
Beinahe verschluckte sich die Lethi an ihren eigenen Worten.

"Und außerdem: Was glaubst du denn, warum ihr denkt, dass alle anderen minderwertig sind? Woher kommt denn das?!"
Sie riss an ihrem Gewand, das ihr in diesem Moment besonders hinderlich erschien.

"Wer sagt denn, dass ich nicht MICH entwürdige, indem ich mich mit euch jungen Kreaturen einlasse?!", brüllte sie fast. "Meinst du, mein Vater hätte zugestimmt?!
Du sagst, man wählt einen Gefährten nach seinen Eigenschaften, die er auf das Kind übertragen soll! Erstens: Naira will jetzt überhaupt kein Kind, Lethi brauchen sich nicht vermehren wie die Menschen! Zweitens: Was könnt ihr Illi-hiri denn schon bieten?! Ihr wollt MEIN Blut, ihr wollt nicht mal zuhören! Vielleicht war es ein Fehler, ein ganz ganz großer Fehler, mit euch zu reden!"
Sie schnaufte und er konnte hören, dass Tränen in ihrer Nase brannten.

Das Spitzohr antwortete zuerst nicht, sondern schien damit beschäftigt, die andrängenden Tränen herunterzuschlucken.

"Doch, bei uns wär es genauso...", murmelte sie etwas später mit belegter Stimme. "Für die Lethi seid ihr sowas wie... wie Katzen. Ihr werdet bei meinem Stamm für Tiermischlinge gehalten. Außer den Teleutai-i - zu denen die Lethi gehören - gibt es für sie nur noch die anderen beiden Hochelbenvölker. Und die haben sich eben gemischt, was sehr sehr schlecht ist... Mein Volk sieht sich als die Vollkommenen, so nennen sie sich auch. Weil da kein anderes Blut in uns ist. Es wäre eine Schande, sich mit etwas anderem zu mischen..."

Sie schniefte und schien wieder frei atmen zu können. Aber Bitterkeit lag in ihren Worten.
"Jetzt hab ich mich gemischt und bin wahrscheinlich für ALLE ein Snagga - sogar für mein Volk... und es gibt kein Zurück mehr für mich."

"Hm?", machte das Spitzohr, überrascht über seine Frage.
Sie besann sich einen Augenblick, während dem sie ihre interkulturellen Probleme auszublenden versuchte.

"Es fühlt sich RICHTIG an!", sagte sie dann bestimmt. "Als wäre etwas abgefallen, was mich klein gemacht hat. Ich bin jetzt so, wie ich sein sollte - ich fühle, dass ich meine Macht jetzt frei berühren und lenken kann."
Sie sah zu Boden, weiterhin nachfühlend.
"Nur, mir fehlt das Dunkel... das gute Dunkel. Es fühlt sich an, als würdet ihr mich nicht hineinlassen."

"Es ist deshalb wichtig, weil es immer darum geht, zu wem man gehört! Weil man gar nicht anders leben kann, als irgendwo dazuzugehören!", sagte die Lethi aufgeregt.
"Du sagst doch auch, ich muss meinen Wert beweisen, um akzeptiert zu werden - und dann wieder sagst du, dass ich NIE akzeptiert werden kann! Oder nur von einigen, und die müssen sich dann gegen ihre Leute entscheiden.... Ich meine... ich komme aus dem Dunkel, ja? Das Dunkel schützt. Es ist wichtig, dass man geborgen ist. Die von Terra sagen, dass Naira immer wieder dorthin zurückkehren wird. Aber das Dunkel, das ich bei euch gefunden habe, das ist kalt und Tod! Ich möchte geborgen sein, aber es stößt mich weg. Und trotzdem ruft es mich. Das brennt im Brustkorb!"
Sie rieb sich mit der Hand über das Herz, während sie weiter eifrig voranstapfte und dabei zu Boden sah, ihren Gefühlen nachjagend.

Sie war nicht überzeugt und das zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
"Ach...", sagte sie zögernd. Dann seufzte sie.
"Weißt du, vielleicht ist das auch nur wegen Creo... weil ich ihre Schwäche in mich aufgenommen hab, damit sie überlebt."

Sie ging einen Moment schweigend weiter, drehte sich dann zu ihm, um ihm in die Augen zu sehen beim Gehen, und sagte mit wieder ruhiger Stimme:
"Trotzdem bin ich der Meinung, dass dieses Dunkel nicht so ist, wie es sein sollte und wie es auch selbst eigentlich sein will... Versteht mich nicht falsch, Tarabas, ich möchte nicht unhöflich Euch gegenüber erscheinen, aber könnte es nicht sein, dass Euer Drow-Dunkel nicht mehr ganz vollständig ist? Ich meine, Euer Volk strebt nach der alten Unsterblichkeit und nach der alten Macht - würdet Ihr selbst sie wirklich in dieser Kälte verbringen wollen, in diesem Tod? Oder würde es nicht erfordern, das alte Dunkel ebenfalls aufzusuchen? Das, was tiefer geht als Eure Wohnstätten?"