Ein interessanter Gedanke

  • Vitus erwachte wie fast jeden Tag als die Sonne bereits durch ein Fenster direkt in sein Gesicht schien. Er hatte wieder, wie auch bereits viele Nächte zuvor, bis spät in die Nacht gearbeitet. Sein Schreibtisch sowie der halbe Boden seines Raumes waren übersät mit Papierbögen aller erdenklichen Größen. Viele davon waren Zeichnungen andere schnellen Notizen und einige einigermaßen ordentlichen Aufzeichungen.
    Vitus trat mit dem ersten Schritt aus dem Bett bereits auf eine Zeichnung, nahm sie sofort auf und setzte seine überlegende Miene auf, bei der er sich mit einer Hand am Kinn rieb und die Stirn in Falten legte.
    Gebannt auf die mit Feder gezeichnete Darstellung einer Pflanze blickend ging er zum Schreibtisch und legte die Zeichnung auf einen der drei Stapel, nahm sie wieder auf und wechselte den Stapel.


    Wie in Zeitlupe entspannte sich das grübelnde Gesicht nach und nach als Vitus bereits dabei war sich anzuziehen und nebenbei einen kleinen Kessel auf einer Laboraperatur platzierte.
    Er fuhr sich mit der ganzen Hand einmal durch sein Gesicht, griff einen Schwamm, der in einer Waschschüssel lag, und rieb sich das kalte Wasser auf den Kopf und sein Gesicht.
    Mit dem noch tropfenden Schwamm in der Hand blickte einige Augenblicke er ins Leere vor sich bis ihn ein hohes Pfeifen aus den Gedanken riss.
    Vitus goss das nun Kochende Wasser aus dem Kesselchen in eine große Tasse und legte ein paar an der Decke hängende Kräuter in das Wasser.
    Das Wasser färbte sich leicht grünlich und es begann nach einer Mischung aus Pfefferminze und Waldgräsern zu riechen.
    Vitus trank den Tee wärend er nach und nach die Zettel auf dem Boden auf die drei Stapel sortierte.


    Als die Papiere sortiert und der Tee getrunken war nahm Vitus einen Ledermantel von dem Haken neben der Tür und zog ihn sich wärend er schon auf dem Weg nach draußen war an.
    Vor der Tür blickte er sich um. Er konnte die Krankenstube und die Apotheke sehen. Ein vorbeigehender kleingewachsener Herr grüßte ihn mit einem Kopfnicken und dem etwas nasal formulierten Wort "Bruder"
    "Zum Gruße - einen schönen Tag!" erwiderte Vitus der mit dem linken Arm immernoch nicht ganz den Mantel bezwingen konnte.


    Nach ein paar Augenblicken hatte Vitus die Krankenstube erreicht.

  • Auf den Straßen Exilias herrschte bereits reges Treiben. So auch im Ehrenpreis, in dem die Krankenstube lag.
    Das Gebäude lag nahe des Brunnens am Baldrianring, an dem auf der anderen Seite die Alchemerey errichtet worden war. Es handelte sich um einen schlichten, zweistöckigen Bau der sich in das übrige Straßenbild eingliederte. Über dem Eingang hing ein Schild mit der Aufschrift „Krankenstube“.
    Das Eingangszimmer war fad beleuchtet und schien etwas düsterer als das draußen vorherrschende, winterlich bedeckte Wetter.
    Zu beiden Seiten standen lange Bänke an der Wand, auf denen die Wartenden üblicherweise Platz nahmen. Vitus am nächsten saß ein dümmlich aussehender Jüngling, dessen Hand in ein Tuch gewickelt war, welches stellenweise blutige Verfärbungen aufwies. Trotz der Schmerzen die der Junge hatte versuchte er Bruder Vitus möglichst breit anzugrinsen. Ihm gegenüber hatte eine ältere Frau Platz genommen die sich unter einem Hustenanfall krümmte. Dritter im Raum war eine kleinere Gestalt mit spitzen Ohren die unablässig auf und ab ging und sich dabei den bereits blutig gescheuerten Arm kratzte.


    Beim Betreten des Raumes schauten die drei Gestalten auf und grüßten Bruder Vitus, erfreut darüber jemanden zu erblicken, der unter den Siedlern bekannt war, nicht zuletzt wohl durch den Ruf seines Mitbruders, dem neuen Protektor Exilias.

  • "Seid gegrüßt!"
    Vitus begutachtete nacheinander die Sitzenden.
    Zuerst bat er die rastlose, sich kratzende, Gestalt Platz zu nehmen und nickte ihr freundlich zu.
    Er Schlug seinen Mantel zurück und drehte eine seiner Taschen die er am Gürtel trug nach Vorne.
    "Seit wann plagt euch dieser Husten?"
    Wärend aus den Wortfetzen der hustenden alten Frau langsam eine Antwort entstand begann Vitus das Tuch des verletzten Jungen abzuwickeln und aus einer weiteren Tasche ein silbenes Fläschchen hervorzuholen.
    "Wie hast du das denn angestellt?"
    Vitus blickte den Jungen an.

  • Der dümmlich aussehende Junge erhob sich und folgte Bruder Vitus in eines der anliegenden Behandlungsräume. Seinen Arm hielt er dabei angewinkelt und nahe am Körper. Kaum hatte sich die Tür geschlossen drang erneut ein Husten aus dem Vorzimmer.
    Der Raum in dem Vitus und der Junge nun standen war deutlich heller als der Vorherige. Tageslicht drang durch große Fenster hinein, Leuchten an den Wänden und der Decke sorgten für zusätzliches Licht. In der Mitte stand eine hölzerne Pritsche, an den Seiten waren größere Schränke und Ablageflächen auf denen medizinisches Besteck, sowie eine Vielzahl von Flaschen und Fläschchen bereitstanden. Eine andere Person hatte erst vor wenigen Augenblicken eine Salbe angerührt: Die Utensilien und zerhackte Kräuter lagen noch immer auf einem der Tische herum.
    Der Junge setzte sich auf die Pritsche und während Bruder Vitus den Arm von dem blutigen Tuch befreite begann er zu erzählen:
    „Ich bin der Gunni, Sohn von Fridmut dem Schreiner.“, verkündete er stolz. „Ich arbeite ganz neu bei den Schreinern in der Werkstatt.“
    Die unteren Lagen des Tuches waren blutgetränkt und klebten am dürren Arm des Jungen. Dieser verzerrte zwar ab und zu das Gesicht, schien jedoch mehr interessiert denn schockiert von der Wunde zu sein.
    „Mutter sagt, dass ich noch zu jung wär‘ um zu arbeiten, aber Vater hat mich gleich mitgenommen - damit ich was tücht‘ges lern‘ sagt er.“
    Das rote Tuch war nun vollständig abgewickelt und wurde in eine Schüssel getan, die neben der Pritsche bereitlag. Der Junge hob den Arm etwas um sich ein eigenes Bild der Wunde zu machen.
    „Tja, da hab ich wohl nicht richtig aufgepasst mit der Säge.“ Ein dümmliches Grinsen breitete sich erneut auf dem Gesicht aus. Blut rann den Arm Richtung Ellenbogen hinab sammelte sich dort für einen Moment um anschließend als Tropfen hinab auf die Hose des Jungen zu fallen. Hatte sich das Blut einmal seinen Weg gebahnt tropfte es anschließend in immer kürzer werdenden Abständen.
    Die Wunde selbst war gut einen Zeigefinger lang und nicht besonders breit, doch hatte die scharfe Säge sich tief ins Fleisch des Armes gegraben. Ob Wichtigeres verletzt worden war lies sich auf den ersten Blick nicht erkennen.

  • "Du solltest wohl beim nächsten Mal die Hände von der Säge lassen.. überhaupt von solch gefährlichen Werkzeugen."
    Vitus nahm eine Flasche und tränkte ein Tuch mit der darin befindlichen Flüssigkeit.
    "Halte deinen Arm so still wie nur möglich. Auf drei wird es etwas brennen.. Eins,
    Schon bei der Zahl Zwei Tupfte Vitus mit dem Tuch die Wunde ab. Der Junge verzerrte das Gesicht und zuckte am Arm doch Vitus hielt den Arm im festen Griff.
    Er säuberte die Wunde zügig bis er sehen könnte wie tief sie war und was verletzt wurde.
    "Da hast du aber ein verdammtes Glück gehabt mein Junge! Einen halben Finger tiefer und du hättest dir vermutlich eine Aterie aufgesägt."
    Der Junge wurde blass und nickte nur langsam.
    Vitus nahm eine Pinzette und holte einige Sägespäne aus der Wunde. Zwischendurch tupfte er die Wunde mit dem Tuch ab.
    "So. Wenn du dir das nächste mal fast dem Arm absägst nimmst du bitte eine saubere Säge."
    Er lachte und klopfte dem Jungen vorsichtig auf die Schulter.
    Die Blutung hatte mittlerweile nachgelassen.
    Der Junge grinste. "So jetzt versuch bitte mal deine Finger zu bewegen." Es bewegten sich alle Finger mit leicht zittrigen Bewegungen gefolgt von einem scharfen Lufteinziehen des Jungen.
    "Aha! Funktioniert ja alles noch." Vitus begann grinsend das Näh-Besteck vorzubereiten.
    Er desinfizierte eine dünne Spitze Nadel mit Alkohol und fädelte den Faden ein.
    "Schaffst du es mit deiner anderen Hand hier mal zusammen zu drücken?.. Ja genau.. Sehr gut und jetzt halten."
    Vitus setzte einen Stich nach dem anderen in einem sehr sauberen Muster die Wunde entlang zwischendurch träufelte er in gleichmäßigen Abständen eine bläuliche Tinktur auf die Wunde.
    "Das fühlt sich kalt an.", sagte der Junge erstaunt.
    "Das ist ein gutes Zeichen."
    Die Wunde war komplett verschlossen und Vitus wischte die letzten Blutrückstände am Arm des Jungen ab.
    "Du solltest in nächster Zeit mit diesem Arm nicht viel machen. Am besten gar nichts.
    Der Junge nickte und stand auf.
    "Setz dich erstmal irgendwo hier an die Luft .. ich sage dir bescheid wenn du gehen kannst."
    Vitus ging zur Tür und blickte zu der alten Frau die nach wie vor Hustete. Er ging zu ihr, half ihr aufzustehen und brachte sie in den Behandlungsraum.
    "Setzt euch."
    Vitus räumte das vorherig benutzte Besteck auf einen kleinen Beistelltisch.

  • "Ach Herr Vitus is jeht zu Ende mit mir."
    Mit zittriger Stimme gefolgt von einem erneuten Hustenanfall, der die Frau zusammenzucken ließ, berichtete die Frau dem Heiler von ihrem Leiden: Vor zwei Jahren sei sie mit ihrem Sohn und dessen Familie nach Exilia gekommen und hatte mit dem Spinnen von Wolle ihr Brot verdient. Schon damals habe sich ein Hustenreiz eingestellt, der selbst von der frischen Seeluft nicht hatte kuriert werden können. Bruder Valentin habe ihr damals geraten Spaziergänge an der Promenade der Unsterblichen zu machen, doch seit dem die Schmerzen in der Seite nicht nachlassen wollten könne sie kaum mehr gehen.
    Aus dem Gesicht der Frau war das Leid vieler Jahre abzulesen. Hätte sie in der Alten Welt weniger schwere Arbeit verrichtet und hätte sie nicht so Vieles auf sich genommen um schließlich nach Mitraspera zu gelangen, so hätte man ihr vielleicht helfen können. Nun war sie jedoch alt geworden und ihr schwacher Puls verriet jedem kundigen Heiler, dass man zwar die Symptome bekämpfen und ihre Leiden mildern, nicht jedoch das Unvermeidbare aufhalten konnte: Sie würde innerhalb des nächsten halben Jahres gen Norden gehen.

  • Vitus erinnerte sich an ein Gespräch mit Bruder Valentin in dem es unter anderem auch um jene Frau drehte.
    Er setzte sich neben die blasse Frau und legte seine Hand auf ihre, welche sie zitternd auf ihrem Knie abgelegt hatte.
    Er sprach mit ruhiger und entspannender Stimme.
    "In dem Kloster in dem ich viele Jahre lebte gab es einen sehr alten Mönch, Bruder Veltar. Er kümmerte sich seit unzähligen Wintern und Sommer um den Kräutergarten. Er liebte die Natur. Und er sagte immer, dass das Ende eines Lebens wie wir es kennen der Zeitpunkt ist an dem die Seele Ruhe findet an dem Wort den wir am meisten Lieben. Als er nach und nach immer älter wurde und nicht mehr die Kraft besaß sich um die Pflanzen zu kümmern saß er trotzdem jeden Tag bei Wind und Wetter auf einer Bank im Innenhof des Klosters mit Blick auf den Kräutergarten und immer wenn er sah dass jemand etwas falsch machte raffte er sich auf und kam gestützt auf einem Stock an und machte es selbst."
    Vitus hielt einen Moment inne und Blickte aus einem Fenster.
    "Als er eines Tages von uns ging war er sich sicher, und das bin ich mir ebenfalls, dass der Eyne für jeden von uns einen ganz besonderen Platz freihält in dem wir die ewige Ruhe finden werden. Seine letzten Worte zu mir waren: "Ich hoffe nur, dass der Eyne einen Kräutergarten hat"."
    Vitus lächelte beim Gedanken an Bruder Veltar.
    Die alte Frau blickte nun auch aus dem Fenster.

  • Nachdem Bruder Vitus ihr ein kleines Fläschchen gereicht hatte, die ihr Leiden lindern würde, erhob sich die alte Frau, bedankte sich und verließ auf einen Stock gestützt die Krankenstube. Auch wenn der Heiler sie nicht hatte kurieren können, so war es ihm dennoch gelungen der alten Dame eine Zufriedenheit zu schenken, die sie entlastete um beruhigt ihrem Ende entgegen zu gehen.


    Als letztes war schließlich noch die unruhige Gestalt im Flur geblieben, die mittlerweile wieder aufgesprungen war und auf und ab ging. Dabei kratzte er sich unablässig den Arm.

  • Vitus nickte und untersuchte den Arm.
    Es sah ganz danach aus als hätten ein paar Insekten den Arm sowie die Schulter der Gestalt völlig zerstochen.
    "Ihr habt wohl in etwas feuchter Luft geschlafen nehme ich an."
    Vitus ging zu einem kleinen Schrank und durchsuchte ein paar Gläser mit Aufschriften.
    "Es wundert mich etwas, dass zu dieser Jahres Zeit noch Insektenstiche auftreten. Oder habt ihr eventuell in Stroh geschlafen?"
    Vitus ging mit einem Glas wieder zu der Gestalt.
    Er öffnete jenes und entnahm mit einem Holzstäbchen eine etwa erbsengroße Menge Salbe.

  • "Ich schlafe jede Nacht auf Stroh." Es klang geradezu so, als sei dies ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem, worauf er viele Jahre davor täglich geschlafen hatte. "Insektenstiche? Nein, nein: Von Insekten lasse ich mich nicht stechen. Das tut nämlich weh!" Erfreut darüber seine Entdeckungen mit dem Heiler teilen zu können wiederholte er den letzten Teil noch einmal mit erhobenem Zeigefinger.

  • Vitus nahm den Arm und untersuchte die roten Stellen mit einem Vergrößerungsglas.
    Er Strich nun die entnommene Salbe auf die Stelle und verrieb sie Großflächig.
    "Es sollte jetzt gleich etwas brennen und dann abkühlen."
    Die Gestalt verzog in genau diesem Moment das Gesicht.
    "Sag ich ja. Der Juckreiz wird gleich nachlassen und die Stellen sollten schnell ausheilen." Vitus nickte und grinste.
    "Ich gebe euch etwas von dieser Salbe mit und ihr schmiert sie euch vor dem Schlafen gehen auf die Stellen. Achtet darauf das viel Luft an den Arm kommt und versucht euch so wenig wie nur möglich zu kratzen."
    Vitus füllte ein kleines Fläschen mit der Salbe und gab reichte sie der gebannt auf den Arm guckenden Gestalt.

  • "Ich denke ich weiß von wem ihr sprecht.
    Macht euch wegen der Farbe keine Sorgen.
    "

    Vitus verrieb mit einem Tuch eine weitere Salbe auf dem Arm.
    "Der Heilerschüler von dem ihr sprecht hat die besagte Salbe noch nicht komplett ausgereift. Aber macht euch keine Sorgen diese Salbe hier," Vitus deutete erst auf das Fläschchen und dann auf den Arm. "ist absolut tadellos. Entschuldigt bitte die Unannehmlichkeiten. Die Schüler versuchen ihr Bestes und bis auf diese Salbe ist Solon ein sehr guter Schüler."
    Vitus nickte mit gutheißendem Blick.
    Er nahm nocheinmal das Vergrößerungsglas zur Hand und sah sich nach und nach die schlimmsten Stellen des Arms an welche bereits anfingen ihre rote Farbe zu verlieren.

  • Die Gestalt mit den spitzen Ohren zuckte gleichgültig mit den Schultern und ließ den Heiler seine Arbeit verrichten. Nachdem dieser beendet war sprang er munter auf und verabschiedete sich: Er hatte vermutlich nichts Spannendes mehr in dem Raum entdeckt und machte sich nun auf neue Dinge zu erforschen.


    Bruder Vitus blieb allein im Behandlungsraum zurück. Im Wartezimmer hatte unterdes niemand mehr Platz genommen.