Die Nacht nach der Öffnung der Pforte

  • Alnock warf ihr einen überraschten Blick zu. Es war fast dunkel hier, und seine Nachtsicht war bei weitem nicht so gut wie die von Sheanna oder gar einem Elben, under fragte sich, ob sie ihn auf den Arm nahm.
    Warum sollte jemand eine so verständige und freundliche Person meiden?
    Dann rief er sich wieder ins Gedächtnis, was sie ihm von ihren Aufgaben erzählt hatte, und dass sie es vermochte, die Wahrheit aus Menschen heraus zu zwingen.
    Vielleicht war es nur natürlich, dass man sie dort, wo sie her kam, fürchtete und deshalb mied.


    „Vielleicht liegt es daran, dass Du hier nicht so anders bist als der Rest wie daheim“, mutmaßte er.
    Dann setzte er sich bequem zurecht und begann in seiner Erzählerstimme seine eigene Geschichte.


    „Ich wurde geboren in einer kalten Winternacht vor langer Zeit. Dies ist mein fünfundvierzigster Sommer.
    Der Ort, an dem ich geboren wurde, lag außerhalb der Reiche der Menschen. Es gab dort keinen Fürsten und keinen König, nur den Hof, den mein Urgroßvater Grimnock dort errichtet hatte.
    Unsere Freiheit war unser höchstes Gut. Grimnock hatte sie sich und all seinen Nachkommen verdient, und wenn dieses Leben auch hart und voller Arbeit war, so schätzten wir es doch sehr.


    Du würdest diesen Hof wahrscheinlich mit einem Gutshof vergleichen. Es lebten zu meiner Zeit vielleicht dreißig Personen dort, viele aus meiner Familie, aber auch andere, Nachkommen derjenigen, die mit Grimnock die Reiche der Menschen verlassen hatten.
    Mein Großvater starb jung, und auch mein Vater. Es gab kräuterkundige Frauen, aber keine echten Heiler oder gar Magie. Auch Götter waren uns fremd.
    Unfälle, Verletzungen und Krankheiten forderten ihren Tribut. Zwar war schnelles und leichtes Heilen ein Teil von Grimnocks Erbe, aber auch dieses konnte nicht verhindern, dass mein Großvater früh starb und sein Sohn nicht viel älter wurde als er.


    Ich war in meinem siebzehnten Sommer, als der Hof plötzlich an mich fiel. Ich war keine achtzehn Jahre alt, als ich zum ersten Male Vater wurde. Ich hatte mein sechsunddreißigstes Jahr gerade beendet, da hielt ich meine Enkeltochter auf dem Arm, den ersten weiblichen Nachkommen Grimnocks, der stark genug war, um zu leben.


    Ich hatte eine ganze Lebensspanne auf jenem Hof im Tal des Schwarzeichenflusses, ein paar Tage außerhalb der Mittellande.
    Es endete im folgenden Herbst. Ich kehrte von einem Jagdausflug zurück, der mich mehrere Tage in die Wildnis geführt hatte, und fand den Hof niedergebrannt. Es gab niemanden mehr, den ich retten konnte.“


    Er sagte es ruhig. Der Schmerz war noch da, aber er war alt, hatte seine Schärfe verloren.


    „Ich ging fort. Vielleicht hätte ich alleine überleben können dort draußen, aber es hätte mich doch nur zerstört, an diesem Ort zu bleiben.
    Drei Jahre lang irrte ich umher, ziellos, ohne Sinn. Kam ich in bewohnte Gebiete, so nahm ich jede Arbeit an, zu der ich in der Lage war. In der Wildnis lebte ich von dem, was ich mir erjagen konnte.
    Aber irgendwann hatte die Zeit ausgereicht, um die schlimmsten Wunden an meiner Seele zu heilen. Es war an der Zeit, den Wahn meiner Flucht zu beenden.
    An diesem Punkt traf ich die Zugvögel.“


    Die Erinnerung ließ ihn lächeln.


    „Sie sind ein wirrer Haufen, laut und manchmal grob, aber herzensgut.
    Ich beschloss, eine Weile mit ihnen zu reisen. Sie zogen umher, doch nicht ziellos, sondern im Kampf gegen das Übel. Und ich hatte die Idee, ich könnte ihnen helfen, die Welt ein Stück weit besser zu machen.“


    Er lachte in sich hinein.


    „Sie waren es, die mich mitnahmen in dieses Land. An ihrer Seite traf ich den Avatar Terras. Und in diesem Moment, vier Jahre ist es her, wusste ich mit vollkommener Klarheit, dass ich vor der Sendbotin meines Gottes stand, des Gottes, auf den ich mein ganzes Leben gewartet hatte.
    Und so blieb ich hier, als meine Zugvögel-Freunde das Land wieder einmal verließen.“


    Er zog die Stirn kraus und überlegte.


    „Ich kürze hier einmal ab, wenn Du es erlaubst:
    Es verschlug mich in den Westen, in die Hauptstadt. Ich bot meine Hilfe an, traf meine ersten Kelten und baute mit ihrer Hilfe eine Mühle in der Nähe der Stadt. Ich bin kein schlechter Handwerker, und es hat Vorteile, wenn man an einem Ort gelebt hat, wo man alle Arbeiten selbst ausführen musste.
    Im kommenden Sommer stand der nächste Feldzug an. Und die Sehnsucht, Terras Avatar wieder zu sehen, trieb mich aus dem Westen in den Süden.
    Es war mein Wunsch, mich ihr voll und ganz zu verschreiben. Ich war … wie entrückt, und wohl auch ein wenig verliebt.
    Dann traf ich Siobhán. Sie war der Westen, der mich so freundlich aufgenommen hatte, in dem ich mich zu Hause fühlen konnte, zumindest ein klein wenig. Ich wollte Ihr zurück geben, was Ihre Siedler mir geschenkt hatten.
    Als sie die Führer ihrer Siedler um Unterstützung bei einer Leibwache für sich bat, trat ich vor und meldete mich. Und als sie sagte, dass ich ja kein Siedler sei und sie mich gar nicht kenne, kniete ich vor ihr nieder und schwor ihr Treue, schenkte die Freiheit weg, die meine Ahnen so hoch geschätzt hatten.
    Und so wurde ich Siobháns Leibwächter, erst einer von mehreren, bis nur noch ich übrig blieb und plötzlich der war, der ihren Schutz führte.


    Zwei Jahre vergingen, und ich begann unruhig zu werden. Terra war gebannt, und mir kam es so vor, als gäbe es mehr, was ich tun könnte, als an Siobháns Seite zu stehen.
    Zwei Jahre lang hatte ich Terra und den Elementen gedient, indem ich Siobhán diente. Nun war es an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen.
    Ich hatte so viele Mächtige kennen gelernt, so viel Wissen angesammelt, so viele Kämpfe geschlagen, dass ich es als Vergeudung empfand, all das für eine Aufgabe zu verschwenden, die auch jeder andere Mann ausführen konnte, der kräftig genug war, einen Schild zu halten.
    Ich war, so denke ich, über das, was ich tat, hinaus gewachsen.
    Aber ich wusste nicht, was ich ansonsten tun sollte. Ich wusste, ich sollte einen Weg gehen, aber es war mir unmöglich, ihn zu finden.“


    Seine Hände führten kleine Gesten aus, während er redete. Sein Blick verließ Sylvanas Gesicht immer dann, wenn er nachdenken musste, kehrte jedoch sofort zurück, wenn er weiter erzählte.


    „Das war, als ich in den Osten ging. Ich dachte, Thorus könnte mir den Weg zeigen. Aber natürlich konnte er es nicht.
    Und er wusste es. Und wusste auch, dass ich Zeit brauchte.


    In der Grauen Stadt, im Süden, offenbarte sich mir schließlich mein Weg. Ich verdanke es Elen, und ich werde sie dafür stets schätzen.
    Ich nahm Terras Essenz auf, die aus dem Schwert weichen musste, damit es sphärisch werden konnte. Magica nutzte mich, um Faryanne die Botschaft des Landes zu überbringen, sandte mir die Vision von Orphaliot, seiner Frau und ihrem Neches’Re Jevahis, der sie niederstreckte. Und der Untod fand mich und drohte mir mit Vernichtung, wenn ich weiter darauf bestand, in Terras Namen zu streiten.


    Es war an diesem Punkt, dass ich begriff, wirklich zum ersten Mal völlig begriff, dass die Elemente, nicht nur Terra, meine Götter sind. Dass ich ihnen gehöre und es mein Weg ist, ihre Wege zu achten und ihren Geboten zu folgen. Dass der Rest meines Lebens darin bestehen würde, sie zu preisen und die Aufgaben zu erfüllen, die sie mir auftrugen.
    Ich verstand, dass ich mich an das alte Leben klammerte, immer noch, indem ich immer darauf bestand, doch nur ein Bauer zu sein. Es war an der Zeit, loszulassen und sich den Elementen hin zu geben, sie entscheiden zu lassen, was ich sein sollte.


    Danach … als das Goldene Kind erschien …
    Ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dass sie mich fragen würden. Ich hätte nie daran geglaubt, dass ich würdig sein könnte. Aber als sie mich vor die Almahandra führten und sie in meine Seele blickte und mich fragte: „Bist Du bereit?“, da antwortete ich: „Ich werde nie mehr bereit sein als in dieser Stunde.“
    Und so tat ich den Schwur.“


    Er spreizte die Finger beider Hände.


    „Und mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger.“

  • Sylvana konnte nicht umhin sich einzugestehen, dass gerade der letzte Teil seiner Geschichte sie tief in ihrem Inneren schmerzte. Sie alle hatten eine Wahl... sie nicht... beziwhungsweise, die hatte sie schon, nur gab es zuviel das es zu bedenken galt, als das sie frei wie ihr Herz es wohl in jenem Augenblick gesagt hätte, entscheiden konnte.


    Vielleicht war das alles aber auch vorherbestimmt. Vielleicht sollte sie zwischen dem Orden und den anderen stehen und vermitteln... vielleicht... hatte das alles einen guten Grund.


    Nachdenklich hatte sie seiner Geschichte gelauscht und bei den Worten die er sprach seine Körpersprache beobachtet. Als er geendet hatte schloss sie die Augen und lächelte still.


    "Ja... die Geschichte passt zu dem was ich von dir weiß und kenne..." sagte sie dann leiser.

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Ebenfalls leise und irgendwie sanft antwortete er:
    "Weißt Du, ich hätte es lieber gehabt, wenn ich dieses Land hätte heilen können. Aber ich kann es nicht.
    Ich schmeichele mir jedoch immer noch damit, dass ich ein Beschützer bin. Kein Zerstörer. Allerdings werden die Kreaturen der zweiten Schöpfung es wohl anders sehen."

  • "Dieses Land heilen... ich bin mir gar nicht so sicher ob es dazu bestimmt ist." sagte sie fast ein wenig abwesend.


    Beschützer, Zerstörer, Wächter, Hüter... diese Worte begegneten ihr immer häufiger.


    "Vielleicht sind wir auch hier, damit das Land leben kann. Auch wenn es von Krieg verwundet ist... Vielleicht sind es gar nicht unbedingt wir die etwas brauchen, einen Weg, ein Ziel oder eine Aufgabe... vielleicht ist es dieses Land und jene die darüber herrschen die uns brauchen. Und ich meine damit nicht Nyame oder Archon..."


    Sie spielte mit einer Haarsträhne.

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Wie es Alnocks Art war, dachte er einen Moment über diese neue These nach.


    "Ich kann es Dir nicht beantworten", äußerte er sich schließlich.
    "Ich weiß mittlerweile Vieles, wenn auch längst nicht genug. Ich weiß, dass es Notwendigkeiten gibt. Das Entstehen eines Grauen Avatars zum Beispiel war eine davon. Vielleicht ist unsere Anwesenheit hier ebenfalls eine Notwendigkeit."


    Er lächelte ein wenig traurig.


    "Ist Dir aufgefallen, dass die Elemente Möglichkeiten zulassen und dann warten, welche dieser Möglichkeiten sich durchsetzt?"

  • Sylvana hob sachte die Schultern.


    "Da greift wieder das Beispiel mit den Eltern, oder nicht? Mein Vater hat mir immer Optionen dargelegt und dann gewartet welche ich wie genutzt habe. Er hat meinen Charakter geprüft, oder war neugierig bezüglich der Entwicklung."


    Einige Zeilen aus einer alten Schrift über die drei Zeitalter kamen ihr in den Sinn und verschwammen vor ihrem inneren Auge zu einem Meer aus alter dunkler Tinte.

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • "ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, ganz so sind sie nicht."


    Er sprach langsam, so als überlege er vor jedem Wort, welches er benutzte.


    "Ich denke, dass ihnen unser Charakter völlig egal ist. Es kümmert sie vielleicht nicht mal, wenn wir Frauen verprügeln, beim Spielen schummeln oder unseren Herrn bestehlen.


    Alles, was sie kümmert, ist, ob wir ihren Geboten folgen, ob wir ihr Werk tun. Ich denke sogar, dass ihnen unsere Moralvorstellungen völlig fremd sind.
    Ich denke nicht, dass sie uns beständig prüfen, weil sie wissen wollen, wer wir sind. Sie sind einmal verraten worden, aufs Schlimmste, und dieser Verrat teilte die Schöpfung.
    Ich kann verstehen, dass sie nun nicht mehr so leicht vertrauen."

  • "Ich sage ja auch nicht, dass sie unseren Charakter prüfen. Das hat mein Vater getan als ich ein Kind war... Ich denke unser Stand ist derzeit schwierig. Aber Tatsache ist, ganz ohne uns geht es nicht. Wobei... vermutlich schon, nur gewiss nicht so wie sich die Elemente das vorstellen."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • "Wusste er es? Dass aus Dir eine Konfessor wird, meine ich? War er auch einer?"


    Es war ein Themawechsel, und ein abrupter dazu, und Alnock gab sich nicht die Mühe, zu überspielen, dass es ihm besser gefiel, über Persönliches zu sprechen als sich so weit in Gefilde zu wagen, die er nicht verstand.
    Fast schien es, als wären ihm die Mutmaßungen unangenehm.

  • "Es gibt nur weibliche Konfessoren. Und ja, er wusste es... deswegen hat er mir solange so viel Freiheit ermöglicht wie es ihm möglich war. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich heute jene bin die ich bin... ihm und einem alten Freund. Mein leben, geprägt durch meinen Vater und jenen Freund hat es möglich gemacht, dass die Seraphim in den Norden gehen konnten und sich nicht dem Osten angeschlossen haben."


    Sie lachte leicht und gelöst.


    "Heute würde mir kaum noch jemand glauben, dass wir einmal ähnlich den Bärensteinern waren."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • "Ja. Ich hörte davon. Und es macht mir Mut. Wenn Ihr Euch wandeln konntet, dann können sie es auch. Und im Osten wärt Ihr nur ein Orden unter Vielen gewesen. Im Norden jedoch seid Ihr ... zu etwas wie einem Anker geworden."


    Er dachte kurz nach.


    "Wenn es nur Frauen sind, warum heißen sie dann nicht die Konfessorinnen?"

  • "Weil das Wort Konfessor eine Entität bezeichnet, einen Richter und weder männlich noch weiblich konnotiert ist. Man galt als Konfessor nicht als Frau, sondern nur als eine Wesenheit mit einer besonderen Fähigkeit. Es hat einmal männliche Konfessoren gegeben... aber... das waren schreckliche Zeiten. Man weiß nicht genau woran es liegt, aber dem Mann fehlt etwas, dass ein konfessor braucht um der eigenen Macht nicht zu verfallen. Die wenigsten Männer mit Aussicht auf Macht wollen ein Land schützen, sie wollen es beherrschen."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Alnock zog seine Augenbrauen hoch und blickte Sylvana eine längere Zeit stumm und vorwurfsvoll an.
    Dann lächelte er.


    "Vielleicht hast Du sogar Recht. Aber wenn das stimmt, bin ich nicht wie die meisten Männer."

    Ernst betrachtete er sie noch einmal, so als sähe er sie zum ersten Mal.


    "Einer Frau ihre Weiblichkeit absprechen. Das ist ... in meiner Heimat hätte es niemand verstanden. Männer sorgen dafür, das Essen auf dem Tisch steht. Aber eine Frau bedeutet Leben. Fünfzig Männer können Bedeutendes schaffen, doch ohne Frauen bleibt nach ihrer Lebensspanne nichts davon zurück."


    Er zögerte kurz.


    "Ich nehme an, das ist der Grund, warum ich nicht aufhören kann, alle Frauen um mich herum beschützen zu wollen."

  • "Bei Konfessoren ist das... ein spezielles Thema. Wir bedeuten in meiner Heimat nicht Leben oder Zukunft... Konfessoren sind verpflichtet starke Konfessoren zur Welt zu bringen, demnach wählen sie einen entsprechenden Mann... und dies meist, ohne Rücksicht auf Verluste oder eventuell bereits bestehende Familien. Man fürchtet und verachtet uns dafür... Im Grunde... ist es Selbstschutz, Erhaltung der Art und hat damit zu tun, dass wir unsere Gefährten nicht lieben dürfen."


    Sie schwieg eine Weile und dachte nach, dann lächelte sie. Sie dachte nicht mehr oft über die Einsamkeit nach die mit ihrem Dasein Hand in Hand ging.


    "Hier ist das anders... hier bin ich freier als jeder Konfessor es jemals war."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Nun schüttelte er ablehnend den Kopf.


    "Mag ja sein, dass ich reichlich müde bin, aber wenn das einen Sinn ergibt, dann erschließt er sich mir nicht.
    Sicherlich muss man nicht lieben, um Kinder zu zeugen. Ich habe erst hier gemerkt, dass das, was ich für meine Frau empfunden habe, nicht weit davon entfernt gewesen ist, aber nie Liebe war.
    Aber nicht lieben dürfen ... entweder ich bin zu dumm, um es zu begreifen, oder Du hast einen Teil der Geschichte ausgelassen."

  • "In meiner Heimat, dort wo unsere Kräfte auch so wirken wie es angedacht ist... verändern wir den Mann an unserer Seite auf eine Weise die ich persönlich nicht ertragen könnte wenn ich ihn lieben würde. Das ist der Nachteil den unsere Gabe fordert... aber vielleicht muss ich dafür etwas weiter ausholen... Möchtest du diese Geschichte hören? Ich hoffe nur, dass sie das Bild das du von mir hast nicht ins Negative zieht."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Sylvana sah in den Himmel. Kein Mondlicht... das bedauerte sie. Sie schlug die Beine so unter, dass sie im Schneidersitz saß und legte ihre Hände in ihrem Schoß ineinander. Für eine Weile ging ihr Blick ins Leere, irgendwohin, an einen Punkt den nur sie kannte.


    "Es heißt in so vielen Geschichten, dass nichts stärker ist als der Glaube oder die Liebe. Beides kann in Hingabe münden und Dinge bewegen, die sonst unmöglich scheinen. Der Zirkel der ersten Ordnung, ein Kreis von mächtigen Magiern an deren Größe bis heute keiner der unseren wieder herankam waren es die die erste Frau auswählten die sie zum Gefäß der Kraft eine Konfessors machen wollten. Sie hatte durch Intrige, ug und Trug ihren Mann verloren und wünschte sich nichts sehnlicher, als eben jene Person zu sein, die allen ohne Zweifel zu sagen vermochte, dass ihr Mann unschuldig hingerichtet worden war und der Schuldige, ein hoher Herrscher, immer noch auf dem Thron saß. Das Vorhaben gelang und sie wurde die Erste, jene die das Geschlecht der Konfessoren begründete."


    Sie ließ den Anfang der Geschichte in der Luft schweben bevor sie weitersprach.


    "Die Kraft die nun ihr eigen war hatte Auswirkungen die jene die nicht der Wahrheit folgten Furcht einflöste. Durch eine Berührung ist ein konfessor in der Lage jemandem alles zu nehmen was ihn zu einem Individuum macht und füllt diese Leere mit nur noch einem einzigen Gefühl. Hingebungsvolle Liebe zu eben jenem Konfessor. Dieser Zustand ist endgültig, außer der Konfessor stirbt bevor der Gewandelte es tut. Das geht so weit, dass man ihm befehlen kann, sein Herz möge aufhören zu schlagen und es wird geschehen. Dadurch brachten die Konfessoren Frieden über das Reich. Eine mächtige Gabe. Aber wie es so ist mit Gaben oder Magie, fordert sie meist einen Preis. Es... es ist so, das die Kraft immer da ist, niemals ruht... stetig beobachtet und kontrolliert werden muss. So als halte man den Finger auf ein Leck in einem Weinfass. Deswegen muss ein Konfessor immer bei klarem Verstand sein, darf keinen Alkohol oder berauschende Mittel zu sich nehmen. Es würde das Risiko bestehen, dass man die Kontrolle über die Kraft verliert und sie wahlos ihre Kreise zieht."


    Sie nestelte leicht an den Bändern ihres Kleides herum, wickelte das weiche Band um ihren Finger, strich es dann wieder glatt und tat es dann erneut. Sie sprach nicht oft darüber, vor allem deshalb nicht, weil es kaum noch geborene Konfessoren gab und es auch nur in Samar eine wirkliche Rolle spielte...


    "Wenn ich nun mit jemandem mein Lager teile... nun... ich würde das durchaus unter gewissen Umständen als Kontrollverlust bezeichnen. Würde ich mein lager mit jemandem teilen den ich liebe, besteht das Risiko, dass ich ihn wandle, ihm das nehme was ich an ihm liebe... sein Selbst, das was ihn ausmacht. Alles was bliebe wäre immer noch Liebe, aber sie wäre anders. Es ist Konfessoren untersagt die Männer die sie wählen zu lieben, um sich selbst zu schützen. Vor dem Kummer, dem Schmerz, dem Verlust. Ich könnte es nicht ertragen wenn der mann den ich liebe vor mir auf die Knie gehen würde und mich willenlos Herrin nennt."


    Sylvana schluckte einen Moment. Erst als sie Ignis begegnet war, war ihr wieder bewusst geworden wie grausam ein Leben ohne ehrliche Liebe war.


    "Konfessoren wird ein Gedanke anerzogen der einer Zucht gleich kommt. Der Mann muss stark sein und klug. Er muss starke Kinder zeugen können, damit starke Konfessoren geboren werden. Man hat über die Jahrhunderte auch nicht davor zurückgeschreckt Familien die Väter zu nehmen, weil sie gute Heerführer oder Krieger waren. Das sind alles Dinge wofür wir gehasst und gemieden, sowie auch gefürchtet werden. Sieht man einen Konfessor durch ein Dorf reisen, fürchten Frauen um ihre Männer, Kinder um ihre Väter. Wenn wir jemanden berühren und wir erfahren er war unschuldig ist seine Seele dennoch verloren, außer wir sterben. Es gab Zeiten in denen wir gejat und getötet wurden, Zeiten in denen männliche Konfessoren die Erde die macht an sich zu reißen suchten... und leben nun in Zeiten wo jene die mit dieser Gabe geboren wurden kaum noch zu finden sind und man den Konfessor zu einem Titel mit Macht machen will."


    Sylvana sah ihn weiterhin nicht an.


    "Meine Mutter sagte immer: Konfessoren kennen keine Liebe, nur die Pflicht... Unser Leben gehört dem Volk das uns fürchtet oder hasst."


    Dann schaute sie zu ihm hinüber und lächelte vorsichtig.


    "Das Leben eines Konfessors ist nicht so schlimm wie es sich anhört, man wird erzogen und hinterfragt nicht, also vermisst man auch nichts. Bei mir jedoch, war das anders... Ich habe meinem Vater zu verdanken, dass ich dieses Leben anders begonnen habe... und Ignis verdanke ich die Erkenntnis, dass auch ich lieben darf..."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Nachdenklich rieb Alnock mit der flachen Hand über sein stoppelkurzes Haar. Die Bewegung verursachte ein Schabendes Geräusch, welches bis zu Sylvana zu hören war, und wirkte alles andere als sonderlich intelligent.


    "Das klingt alles so, als wären die Konfessor nicht wirklich glückliche Menschen. Die Pflicht steht über Allem, und all das Ansehen und alle Macht wird erkauft damit, dass sie ausgeschlossen werden. Ein Orden von Wächtern, vielleicht notwendig für die Gesellschaft, aber kein Teil von ihr."


    Er wirkte sehr nachdenklich.


    "Es muss ein seltsames Land sein, aus dem Du kommst. Ich ... ich glaube nicht, dass ich die volle Tragweite dessen, was Du erzählst, begreifen kann. Aber ich sehe vor meinem inneren Auge eine lange Reihe von traurigen Geschichten über Menschen, die daran zugrunde gehen, nicht lieben zu dürfen - oder es zu tun, obwohl es verboten ist.
    Und diesen Teil mit der Zucht ... ich bin sicher, es hat seine Gründe, doch als der, der ich bin, kann ich derartiges nicht gutheißen.


    Hier jedoch ist es anders, ja? Ich habe Dich Personen berühren gesehen. Kannst Du hier Deinen Gefühlen freien Lauf lassen? Oder ihnen zumindest Ausdruck verleihen?
    Es wäre grausam, von Ignis berührt zu werden und dann gezwungen zu sein, all das, was diese Berührung brachte, unterdrücken zu müssen."


    Er seufzte.


    "Habt Ihr Verbindung in Eure Heimat? Wissen die dort, dass hier alles anders ist?
    Ist es nicht so, dass sie beschließen könnten, dass Du zurück musst? Was wirst Du dann tun?"

  • Viele Fragen... viele sehr gute Fragen, so einfach einige von ihnen waren.


    "Ja, das kann ich. Mehr als zu Hause zumindest. Ich muss alelrdings noch herausfinden wie meine Kräfte hier wirken. Ich bin mir sicher, dass ich hier niemanden wandeln kann so wie es in meiner Heimat der Fall ist. Aber die Gabe ist da, die Frage ist nur, welchen Weg sie hier über die Elemente gehen wird. Solange ich das nicht weiß, bin ich vorsichtig damit anderen nahe zu sein."


    Sie lächelte wieder.


    "Konfessoren können jemanden berühren ohne das es ihnen schadet, die Angst vor uns ist es eher, die sie vor uns zurückschrecken lässt. Es gibt Personen, wie Vorn zum Beispiel, für die Berührungen so oder so schon bedrohlich genug sind, und dennoch darf ich es..."


    Er hatte ähnliche Schlüsse über die Schwesternschaft gezogen wie einst Vorn und auch er lag damit nicht wirklich falsch... Sie seufzte leise in sich hinein, nicht betrübt, eher erleichtert. Auch wenn er besonders mit sienen letzten Worten ein sehr prikäres Thema ansprach.


    "Sie können es verlangen, ob ich dem nachkomme steht auf einem anderen Blatt. Es ist sogar so, dass man mich bereits freundlich gebeten hat, bald wird man es fordern... doch selbst wenn ich wollte... ich könnte nicht zurück nach Samar. ich würde daran zerbrechen. Und andere... vermutlich auch."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.