Die Nacht nach der Öffnung der Pforte

  • Alnock zog die Brauen zusammen. In seinem Gesicht arbeitete es, als er verschiedene Ansätze, all das zu äußern, was auf ihre Frage hin in seinem Kopf aufgetaucht war, gegeneinander abwägte.
    Schließlich schien er sich genügend gesammelt zu haben.


    "Zunächst: Es tut mir leid um Deine verlorene Liebe, und um Dich. Ich weiß nicht, ob ich so ruhig davon erzählen könnte."
    Er streckte die Hand aus und berührte sie für die Länge eines Lidschlages an der ihren.
    "Doch zu Deiner Frage: Ich bin sicherlich kein Mann, der viel Erfahrungen mit derlei Dingen hat. Dennoch habe ich eine Meinung.


    Die Wahrheit ist die Wahrheit, ob sie nun ausgesprochen oder verschwiegen oder gar geleugnet wird.
    Es mag verschiedene Gründe geben, sie nicht auszusprechen. Meist ist es Angst vor Zurückweisung, denke ich. Dann vielleicht der Versuch, es sich selbst nicht einzugestehen."


    Er warf die Arme in die Luft.


    "Es ist schwierig, Sylvana. Liebe macht uns alle wieder zu dummen Kindern, irgendwie, egal wie weise wir auch sonst sein mögen.
    Meine Meinung ist, dass man es zeigen sollte, es sagen sollte. Denn es nicht zu tun ist nichts anderes, als zu lügen.
    Liebe ist ein besonderes Geschenk, und indem man es wegsperrt und verheimlicht, macht man es kaputt.
    Natürlich kann man zurückgewiesen werden. Und das tut weh.
    Doch genau so gut kann man angenommen werden.
    Oder erst überhaupt ins Blickfeld rücken."


    Er zuckte mit den Schultern.


    "Feigheit ist immer einfacher als Mut. Aber es ist immer besser, sich dem zu stellen, was man fürchtet, statt den Rest seines Lebens in Angst zu verbringen."

  • Sie dachte über seine Worte nach.


    "Und wenn... man es weiß? Es einfach so ist ohne das es der eine oder der andere ausgesprochen hat? Als Konfessor sage ich, es ist erst dann vollständig wenn es ausgesprochen wurde... als Frau... bin ich mir da nicht sicher."


    Sie kam sich vor wie eine junge Novizin und das war ihr beinahe peinlich, aber es half ja nichts...


    "Ich weiß nur... dass ich es einmal nicht getan habe... und ich mir diese Frage ob ich es hätte tun sollen eigentlich nicht noch einmal stellen möchte."


    Ihr Kopf neigte sich zur Seite. Eigentlich hatte sie schon eine Antwort auf diese Frage, schon länger... doch sie hatte das Gefühl, dass auch sie manchmal... Bestätigung brauchte, ohne einfach zu handeln.
    Sie musste leise lachen.


    "Entschuldige... das muss gerade sehr albern klingen."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • "Mann muss es nicht aussprechen, damit es wahr ist. Zwei Menschen können sich auf ewig aneinander binden, ohne ein Wort zu sagen. Das zumindest ist, was ich fest glaube. Weil ich es glauben will."

    Alnocks Tonfall war weich, väterlich. An seinem Tonfall, seiner Mimik und Körperhaltung waren kein Spott und keine Mißbilligung zu erkennen.


    "Aber wenn beide es wissen, kann man es genau so gut aussprechen.
    Ein wenig hast Du Recht, denke ich. Solange man es nicht gesagt hat, ist da immer noch ein wenig Freiheit, aber auch Unsicherheit.
    Und wenn man es nicht ausspricht, wird der Andere irgendwann anfangen, sich im Stillen nach dem Grund dafür zu fragen. Und Du weißt, dass gerade diese Gefühle in uns ein fürchterliches Durcheinander anrichten können, dass Freude und Leid, Jauchzen und Weinen dicht beieinander liegen, wenn wir verliebt sind."


    Er schloss die Augen und öffnete sie erst nach ein paar Herzschlägen wieder.


    "Es gibt keine Ratschläge, die für jedes Paar und jede Lage passend sind. Irgendwo findet sich immer der eine Fall, bei dem ein eigentlich guter Rat ein fürchterlich schlechter ist.
    Doch Du wolltest meine Meinung hören. Und meine Meinung ist, dass man sich berühren und sogar das Lager miteinander teilen kann, ohne sich seiner oder der Liebe des anderen sicher zu sein.
    Erst wenn man es ausgesprochen und der andere es erwiedert hat, ist der Pakt besiegelt und die Unsicherheit besiegt."

  • "Ja. Tu das."


    Er griff zur Seite nach seiner Waffe und erhob sich langsam und ächzend in eine hockende Position.


    "Aber vergiss dabei nicht, dass ich vielleicht nicht der beste Ratgeber bin, den man zu dieser Sache finden kann."

  • Sie sah mit geneigtem Kopf zu ihm auf, dann erhob sie sich ebenfalls und strich das Kleid an ihren Hüften glatt.


    "Jedes Wesen das fühlt und weiß was Liebe ist kann mir auf eine solche Frage antworten... Ob gut oder schlecht... ich messe es nicht. Wenn man nach Gefühlen fragt, sollten es auch gefühlvolle Antworten sein. Das ist es was zählt..."

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.

  • Nacheinander knackten Alnocks Knie, als er sich ganz erhob. Er verzog schmerzhaft das Gesicht und stampfte ein paarmal mit jedem Fuß auf.


    "Dann hoffe ich, dass meine Antworten von der Art waren, wie Du sie erwartet hast."

    Noch einmal blickte er in den Himmel, an dem man nun bereits erkennen konnte, dass es am Tag wieder kaum Wolken geben würde.


    "Ich danke Dir, dass Du mir so viel Zeit gewidmet hast. Und ich danke denen, die auf Dich acht geben, dass sie so viel Geduld hatten.
    Ich denke, ich werde versuchen, doch noch ein wenig zu schlafen. Mein Geist ist durch unser Gespräch ruhiger, und mein Körper sagt mir mit lauter Stimme, dass ich mich ausruhen sollte."


    Er deutete eine Verbeugung in Sylvanas Richtung an.


    "Mögen die Elemente über Dich wachen."

  • "So auch über dich und jene die dich geleiten, Alnock. Wir werden uns vor Doerchgaardt wieder sehen... und wenn es dich nach einem Gespräch verlangen sollte... du bist mir immer willkommen."


    Sie legte ihm kurz sachte eine Hand auf die Schulter, dann wandte sie sich ihrem Lager zu.

    Nur indem wir unser eigenes Licht ohne Angst scheinen lassen geben wir anderen Menschen die Erlaubnis und den Mut, das Gleiche zu tun.