Ruhe in dem Sturm

  • Azrael zögerte. Es waren seine Gedanken. Aber vielleicht wurde es Zeit, diese auch mit jemandem zu teilen, der nicht daran beteiligt gewesen war. Der ihn erst kennen gelernt hatte, nachdem er den Orden verlassen hatte.


    "Das ist der Schlüssel zu meiner alten Kammer. Ich hatte angenommen, er hätte einen neuen Besitzer. Ich hatte angenommen, ein anderer Seraphim würde die Räume jetzt nutzen. Ich bin nicht sicher, was das bedeutet."


    Er seufzte.


    "Dieser Schlüssel weckt alte Erinnerungen. An den Abend, an dem ich ging. Es verlief..."


    Er stockte.


    "Es war verletzend. Für viele alte Freunde. Und ich habe meine Beweggründe selbst nie wirklich nachvollziehen können. Vielleicht war es die Enge die ich mir im Orden selbst auferlegt hatte, vielleicht waren es verletzte Gefühle, verletzter Stolz. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die Entscheidung nicht bereue. Nur die Art, wie ich sie traf und wie ich mich gegenüber einigen Menschen verhielt, macht mir nach wie vor zu schaffen."

  • "Was hast du denn getan? Ich meine, ich habe mitbekommen, dass du den Orden verlassen
    hast, aber warum? Warum hast du es denn getan? Warst du schon seit deinen Jugendjahren
    ein Teil von ihm? Und wie bist du gegangen?"

    Kahina hatte bisher nur sporadisch Gerüchte über das Geschehene gehört, Seitenbemerkungen
    einiger Seraphim, jedoch nie etwas konkrektes. Was war damals geschehen?


    "Weist du, auch cih muss meinen alten Orden verlassen und das wird auch nicht angenehm.
    Auch ich werde einige, wenige, Freunde vor den Kopf stoßen. Aber bei mir gibt es keine
    andere Wahl um den richtigen Weg zu gehen. Kannst du das auch von dir sagen?"


    Sie blickte ihn abwartend an.

    Wir brauchen nicht noch mehr Bestrafung, sondern Hoffnung und Vergebung.<br /><br />&quot;Is there anything you would not do for your family?&quot;

  • Azrael holte Luft. Die ganze Geschichte hatte er eigentlich nie erzählen müssen.


    "Ich bin in den Mittellanden das erste Mal der Mutter Konfessor begegnet. Sie war eine charismatische Frau, eine Anführerin und Lehrerin. Ich war gerade von zu Hause aufgebrochen, mein rebellischer Geist suchte Abenteuer und ein Lebensziel. Sie gab mir Aussicht auf beides. Aber ich habe bei meinem Aufbruch von zu Hause meine Ausbildung unterbrochen. Meine Ausbildung zum Ritter."


    Er machte ein kurze Atempause. Ein Gedanke an zu Hause.


    "Ich folgte also dem Orden der Seraphim, nahm ihren Glauben als den meinen an und trat ihm bei, zum Jahr der Prüfung. In dieser Zeit wird ein konvertierter geprüft und geformt. Nach einem Jahr wird er dann entweder vereidigt oder zurück in sein altes Leben geschickt. Ich stieg in der Rangfolge des Ordens bereits in diesem Jahr schnell auf. Vom Leichtgardisten zum Großgardisten, berufen zu Sylvanas Schildwache und als Waibelanwärter in Siegelstatt."


    Siegelstatt. Die Krönung Walays'.


    "Doch vor meiner Vereidigung entschied ich mich den Weg des Ordens zu verlassen. Mich irritierte die starke Zusammenarbeit mit Chaos und Drow, mich irritierte die ständige Präsenz der Avatare der Elemente und ich fühlte mich...ausgenutzt? Das ist der Teil, den ich selbst nicht ganz verstehe. Meine Gefühle wurden verletzt, aber ich weiß nicht genau wie. Ich hätte das vielleicht früher ansprechen sollen, aber mein Stolz verbot mir Schwäche zu zeigen...bis es zu spät war.
    Am Abend nach der Krönung von Walays bin ich zu ihm und Sylvana getreten und habe meinen Wappenrock abgelegt."


    Er sah ihr in die Augen.


    "Der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Nach dem entbehrungsreichen Tagen und Wochen, dem Ringen um das Amt des Archonten hätten die Seraphim den Trost gebraucht, eine Feier zu ehren ihres Ritters, der nun Archon war.
    Aber ich und einige andere zerstörten diesen kurzen Moment des Glückes. Und ich in meiner Mutlosigkeit und dem Wissen um was ich anrichtete, in den Herzen meiner Freunde, verließ ohne weitere Worte des Abschiedes den Orden, das Lager und meine einstigen Freunde.
    Ließ sie einfach im Stich und machte mich auf den Weg nach Hause."

  • "Schlecht gewählt?!" Die Halbelfe zog ihre Hand zurück.
    "Du hast sie im Stich gelassen! Du hast sie bei dem wichtigsten Moment im Stich gelassen!"


    Sie atemte tief aus, beruhigte ihr Innerstes wieder.

    "Es gibt vieles, dass wir nicht verstehen. Aber warum hast du nie mit jemandem gesprochen.
    Etwa der Ehrwürdigen Mutter. Du warst doch ihre Schildwache. Ich bin mir sicher, dass sie
    jederzeit ein Ohr für dich gehabt hätte."


    In den erdfarbenen Augen lag ein Schein des Verständnisses, doch etwas anderes, für
    Azrael nicht erkennbares. Ein tiefer, dunkler Glanz.


    "Es gibt vieles in dieser Welt, dass wir nicht verstehen. Doch du sagst du folgst Ignis."
    Sie legte ihre Hand auf das Sonnenemblem an ihrem Gürtel, dass dem seinen so glich.
    "Warum verwirrt dich dann die Anwesenheit des Avatars und der Elemente?
    Ist es nicht viel eher ein Segen wenn etwa Ignis Avater bei uns ist?
    Ausgenutzt. Hm...
    Ich würde es eher Möglichkeiten für neue Wege nennen. Oder hat man dir nur Aufgaben gestellt
    und dir nie eine Belohnung dafür zukommen lassen?"


    Ihr Blick erwiderte den seinen.


    "Vielleicht warst du dir bewusst, dass diese Bindung an den Orden ein Leben lang
    halten würde. Vielleicht warst du dafür noch nicht im Glauben zu tief verankert.
    Es obliegt mir nicht darüber zu urteilen. Rede mit der Ehrwürdigen Mutter, vielleicht findest
    du eine Antwort darauf warum du gegangen bist. Möglicherweise solltest du bei ihr nach den
    Antworten der Fragen suchen, welche du vor Monden schon hättest stellen müssen."


    Ihre Stimme war sanft, der Blick sah an ihm vorbei.


    "Du hattest wenigstens die Möglchkeit offen den Weg der Engel bis in den Orden hinein zu gehen."

    Wir brauchen nicht noch mehr Bestrafung, sondern Hoffnung und Vergebung.<br /><br />&quot;Is there anything you would not do for your family?&quot;

  • Sie zog ihre Hand zurück.


    Wie symbolisch...


    Er lächelte traurig und nickte.

    "Die fehlende feste Verankerung im Glauben war vielleicht der Grund für meine Irritation in Bezug auf die Avatare. Sie sehen wirklich nicht aus wie Engel, oder? Mittlerweile aber habe ich meine Einstellung dazu weiterentwickelt. Ich habe die Schriften studiert und vieles gelernt.


    Das Gespräch mit der Mutter Konfessor hatte ich bereits, einige Monate nach dem Feldzug. Viel zu spät eigentlich, doch vieles wichtige wurde gesagt."


    Er erinnerte sich an das Gespräch auf der Ruine, mitten im Schneegestöber. Es war bitterkalt gewesen, aber sie hatten trotzdem lange miteinander gesprochen.


    Auch Walays war dort gewesen, hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er seine Entscheidung respektierte.


    "Aber was ein Gespräch betrifft, was ich vor meiner Entscheidung hätte führen müssen, so gebe ich dir auch in dieser Beziehung recht. Doch es lief auf dem Feldzug vieles drunter und drüber, und im Nachhinein kann ich selbst nicht sagen, wieso es nie zu einem Gespräch zu diesem Thema kam."


    Er wirkte auf einmal distanziert. Er kannte die Ablehnung ihm gegenüber. Viele Seraphim trugen sie ihm gegenüber offen zur Schau. Es verletzte, aber er hatte es nicht anders verdient. Also versuchte er es nicht an sich heran zu lassen, Distanz zu wahren.
    Er wusste, warum er es eigentlich nicht erzählen wollte. Nun war es zu spät.

  • Es war Verrat gewesen. In Kahinas Augen hatte er sie im Stich gelassen. Aber tat sie nicht
    ähnlcihes. Wie konnte es ihr zustehen, über ihn so ein Urteil zu fällen, wenn sie selbst dabei
    war genau diesen Schritt zu tun. Nur weil sie es für richtig hielt und es bei ihm für falsch.
    Die Halbelfe seufzte, schloss kurz die Augen, ehe sie ihre Hand erneut auf seinen Arm legte.


    Du bist der Blinde, dein ist die Rückkehr...


    Auch wenn sie kaum Wissen über die Schriften hatte, diesen Aspekte begann sie gut zu verstehen.

    "Danke, dass du es mir erzählt hast. Es... es steht mir nicht zu darüber zu urteilen was du getan hast.
    Wie gesagt, sprich vor deiner Abreise noch einmal mit der Ehrwürdigen Mutter und vielleicht,
    um zu verstehen, suche doch die Räumlichkeiten auf, zu welchen dieser Schlüssel führt. "


    Sie blickte ihn an.


    "Es ist nur ein Rat, mehr nicht. Das ist das, was ich tun würde. Ich habe ähnliches zu tun.
    Auch wenn ich von mir sagen kann, dass ich es für richtig halte. Andere werden das nicht so sehen."

    Ihre Augen, welche nun wieder warm schienen, sahen ihn an.


    "Wenn du reden möchtest, du weist, dass ich immer ein Ohr für dich habe mellon nin."


    Ja es war Verrat gewesen. Ja, Kahina hasste Verrat. Ja, Azrael war von seinem Weg abgekommen.
    Aber war es nicht eine Überlegung ihm, ähnlich wie vielleicht die Mutter Konfessor es versuchte,
    ein Licht hinzuhalten, mit welchem er den Weg zurück finden konnte?

    Wir brauchen nicht noch mehr Bestrafung, sondern Hoffnung und Vergebung.<br /><br />&quot;Is there anything you would not do for your family?&quot;

  • Azraels Augen waren noch immer kalt. Resigniert, distanziert.


    Nein, es stand ihr nicht zu, zu urteilen. Nur die Engel hatten das Recht dazu. Aber er hatte es ihr erzählt. Und damit hatte er doch ihr Urteil erwartet. Und das Urteil hatte ihn nicht überrascht.


    Er legte seine Faust auf sein Herz und neigte leicht den Kopf.


    "Ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen. Ich denke, ich brauche jetzt ein wenig Zeit allein.


    Hannon le, Mellon-nin."

  • Sie spürte die Distanzierung seinerseits.

    "Ich verstehe."


    Sie streckte den Rücken gerade, die Hände griffen vor ihrem Körper ineinander.
    Mit langsamen Schritten verließ sie Azrael, wandte sich jedoch noch einmal um.


    "Übersehe nicht alle Lichter, welche dir ein Wink in der Dunkelheit sein wollen.",
    meinte sie und neigte verabschiedend den Kopf.

    Wir brauchen nicht noch mehr Bestrafung, sondern Hoffnung und Vergebung.<br /><br />&quot;Is there anything you would not do for your family?&quot;