Die Botin des Sturmes

  • Der kalte Luftzug, der durch den dunklen Gang zwischen den Offizierskajüten zog lies
    Caroline frösteln und sie zog sich die Decke enger um die Schultern. Im flackernden
    Schein ihrer Laterne konnte sie die Salzkrusten erkennen, die ihre Langen bleichen Finger
    wie Eisblumen an den Wänden entlang streckten und nach ihr zu greifen schien. Ein
    mulmiges Gefühl ergriff von ihr besitz doch sie konnte nicht anders als zu lächeln. Es war
    wie damals als ihre Mutter sie in den Schlaf gesungen hatte; sie hatte sich immer vor den
    Schatten der Bäume gefürchtet, deren tiefes Schwarz im fahlen Licht des Mondes über
    ihre Fensterschwelle leckte.
    Sie erstarrte für einen Moment, als die Dielen laut knarrten und das Schiff von einer
    starken Böh erfasst, einen Wellenberg erklomm.


    'Caroline!'


    rief sie sich innerlich wieder zur Ruhe und horchte ein letztes mal an der Tür. Durch das
    stetige Rauschen des Nachtwindes konnte sie ein leises Scharchen vernehmen. Larson
    war eingeschlafen, dessen konnte sie sich sicher sein.
    Caroline schritt leise den Gang entlang, die Laterne vor sich haltend. Am Ende des
    Ganges konnte sie eine Tür ausmachen unter der noch Licht hervorschien und die
    unebenen Bodendielen aussehen ließ, als wären sie mit einer feinen Schicht aus
    glänzendem Gold überzogen. Bevor sie sich überlegt hatte was sie überhaupt sagen
    wollte hatte sie schon leise geklopft. Die Zeit schien unglaublich langsam zu vergehen
    ohne dass sich etwas tat. Ihr Herz begann schneller zu klopfen.


    'Wie sehe ich überhaupt aus, in eine Decke gewickelt stehe ich vor seiner
    Tür, was wird er nun von mir denken. Ich hätte vielleicht besser drüber schlafen
    sollen'


    Doch dafür war es nun zu spät.
    Gerade als sie sich wieder umdrehen wollte, da sie nicht den Mut aufbrachte ein zweites
    mal zu klopfen, öffnete sich die Tür und Gawrok schaute sie mit einem überraschten Blick
    an.


    "Caroli..."


    weiter kam er nicht, da sie ihren Zeigefinger auf seine Lippen legte, sich vergewisserte
    dass sie keiner Beobachtete und ihn vor sich her in das Zimmer zurückschob. Sie schloss
    die Tür hinter ihnen und drehte sich wieder zu Gawrok um.


    "...ne"


    brachte Gawrok noch heraus und schaute sie so Perplex an dass sie lachen musste. Man
    konnte ihn also doch aus der Fassung bringen den Herzog und so schwer war es garnicht.
    Sie schritt an ihm vorbei und nahm auf der Bank an dem Kleinen runden Tisch platz,
    welcher über und über mit Karten bedeckt war, auf die schon das Wachs unzähliger
    Kerzen getropft sein musste. Über ihr schaukelte bedrohlich stark eine flackernde
    Öllampe, die das Licht des Raumes fast lebendig erscheinen ließ. Als sie wieder zu
    Gawrok aufsah, hatte der bereits seine Fassung wiedergefunden und nahm auf dem Stuhl
    ihr gegenüber platz.


    "Ich nehme an es ist wichtig"
    sagte er ruhig und schaute ihr dabei direkt in die Augen.


    Sie wurde rot als sie sich bei dem Gedanken ertappte, dass sie gerne noch ein wenig mit
    ihm gespielt hätte, doch ermahnte sich, dass es einen Grund gab weshalb sie hier war.


    "Larson misstraut euch und scheint fast Besessen von dem Gedanken das in
    euch etwas Schlummert was unser aller Untergang sein könnte"

    begann sie.


    "Er hat mich immerwieder vor euch gewarnt und nicht nur mich, er hat Einfluss
    auf alle anderen Anhänger der Bruderschaft. Ich habe es abgestritten doch er glaubt das
    ihr mich unter Kontrolle hättet und schrie mich förmlich an. Ihr hättet mich blind gemacht
    für das Offensichtliche, waren seine Worte. Ich konnte ihn wieder beruhigen und er
    entschuldigte sich bei mir für das falsche Misstrauen, doch in seinem Blick konnte ich
    sehen, dass er es nicht so meinte. Bitte nehmt euch in acht Gawrok, ihr seid ein großer
    Mann und Tavernia braucht euch, doch auch ihr seid nur ein Mensch und so verwundbar
    wie jeder andere."

    Edler Ducan Gesandter der Bruderschaft von NOD<br />Bürgermeister von Pravda aus dem Herzogtum Tavernia im Landstrich Freyenmark<br />Mitglied des Diplomatischen Korp der Freyenmark

  • Caroline hielt inne und für einen Moment war es still im Raum. Keiner der Beiden sagte etwas und selbst der Wind schien den Atem anzuhalten, lediglich das Schiff knarrte weiterhin im behäbigen Takt der Wellen.
    Plötzlich begann Gawrok zu grinsen, was Caroline verwirrte und durchbrach die Stille:


    "Habe ich eigentlich schon die Geschichte meiner Unsterblichkeit erzählt?"


    Jetzt war es an ihr komplett fassungslos zu sein.


    'Unsterblich? Nein das war nicht möglich... aber was wenn doch?'


    "Euren offenen Mund deute ich als ein 'nein'"


    fuhr er fort


    "Vor langer Zeit, in einem Land weit jenseits des Horizontes und dem Horizont dahinter lebte ein einfacher Bauer. Er hatte seinen Lebtag nicht anderes gemacht als tagaus tagein jeden Morgen noch vor dem ersten Sonnentrahl auf dem Feld zu stehen und sich am Abend, nachdem der letzte Hauch des Tages verweht war in sein Bett zu begeben. Er hatte nie etwas anderes kennen gelernt aber das was er hatte reichte ihm. Nun kam es das der König des Landes starb und das Erbe an den Erstgeborenen überging. Dieser war, wie sein Vater, ein Mann voll Weisheit und Güte unter dessen Hand das Land in immerwährendem Frühling erblühte. Der zweitgeborene des Königs jedoch war ein Mann der das einfache Volk mit Ekel betrachtete und getrieben von seinem Neid auf den Erstgeborenen, das Land mit einem Krieg um die Krone überzog. Mit Trommeln und frohem Flötenspiel kamen die Männer des Zweitgeborenen nun auch in das Dorf des Bauern und drückten jedem, der dem Kindesalter entwachsen und noch nicht greise war ein Schwert in die Hand. So wurde auch der Bauer in den schier endlosen Heerwurm eingereiht, der sich durch das Land fraß wie eine Made durch den Apfel. So brach dann auch der Winter über das Land. Der Bauer jedoch, der noch nie zuvor den Winter miterlebt hatte war geblendet vom Schnee und überwältigt von seiner Pracht. Sie kamen durch Städte, eine größer als die andere und dem Bauer wurde klar wie klein doch die Welt war in der er gelebt hatte. Er fühlte sich frei wie ein Vogel der begiff dass er sein Leben in einem Käfig verbracht hatte, aus dem er nun entflohen war."


    Gawrok hielt inne und betrachtete Caroline die ihm gebannt lauschte. Ernst fuhr er fort:


    "Doch der Winter brach schlussendlich mit all seiner Macht herein und forderte bald die ersten Opfer. Noch eh er wusste wie ihm geschah, riss die Klinge des Feindes dem, von Eindrücken verzauberten Bauern das Herz aus der Brust. Niemand weiß genau warum, vielleicht konnte er nicht sterben bevor er nicht die Welt in ihrer ganzen Pracht gesehen hatte, vielleicht war der Bauer aber auch einfach zu verträumt um mitzubekommen dass er hätte tod sein müssen, aber sicher war dass er einfach weiterlief und fortan ohne Herz weiterkämpfte. Genauso wenig ist überliefert wer den Krieg gewann, aber das war auch nicht wichtig, denn auf Krieg folgte Frieden und darauf wieder Krieg. Auf einen König folgte der nächste, Menschen kamen und gingen wieder, wurden geboren und starben, aber die Erde drehte sich unaufhörlich weiter. Der Bauer jedoch lebte immernoch, er wurde nicht älter und konnte auch im Kampfe nicht mehr fallen. Der Tod hatte ihn einfach vergessen. Anfangs genoss er seine neu gewonnene Freiheit, doch schon bald hatte er alles gesehen und wurde der Ewigkeit müde, der er nicht mehr entfliehen konnte. Eines Tages ließ er sich der Wanderei überdrüssig an dem Ufer eines Sees niedersinken und da sah er sie, ein Frau, eine Lichtgestalt schöner als die Sonne selbst. Er verliebte sich sofort in sie, denn er hatte noch nie etwas schöneres auf der Welt gesehen. Fortan galt sein Leben nur noch ihr, er umwarb sie und hielt Jahr um Jahr um ihre Hand an. Am Ende gab sie Nach und schenkte ihm ihr Herz. Er verbrachte noch viele Jahre mit ihr, doch da er nun wieder ein Herz hatte wurde auch der Tod wieder auf ihn aufmerksam und nahm ihn eines Tages mit sich. Der Bauer starb mit einem erfüllten Lächeln auf dem Gesicht, denn er war der Ewigkeit endlich entkommen."


    Gawrok machte eine Pause und schaute Caroline tief in die Augen


    "Doch der Fluch war nicht geschlagen. Jahrhunderte später am anderen Ende der Welt, stand nun sein Urururahne in einer erbitterten Schlacht einem Gegner gegenüber, der nicht von Menschenhand besiegt werden konnte. Er focht tapfer, doch eh er sichs versah brach ihm der gewaltige Streitkolben direkt in die Brust. Als er wenig später inmitten eines von Leichen übersähten Schlachtfeldes wieder zu sich kahm war an der Stelle wo sein Herz hätte sein sollen nur noch eine Kuhle in der Brust, doch er lebte noch und so wie die Erde sich dreht, nahm auch der Fluch dort seinen erneuten Lauf."


    Gawrok ließ die Geschichte einen Moment wirken, bevor er mit einem breiten Grinsen hinzufügte


    "Der Urururahne bin übrigens ich. Ich wurde vor einigen Jahren einmal von Argus verprügelt, doch er konnte mich nicht töten und hat sein Ende nun zwischen den Zelten meiner Männer gefunden."


    Gawrok nahm sanft Carolines Hand und führte sie an seine Brust. Und tatsächlich, dort wo das Herz sein sollte klaffte eine tiefe Kuhle. Caroline schaute ihn erstaunt an, nicht in der Lage einen Ton von sich zu geben.


    'das konnte nicht sein, der Herzog... er war wirklich...'


    Lautes Gelächter unterbrach sie in ihren Gedanken, als Gawrok sich in die Stuhllehne zurückfallen ließ und sie laut prustend fragte:


    "Ihr habt den Unsinn doch nicht ernsthaft geglaubt oder?"


    Carolines Kopf lief so rot an wie eine Tomate, sie hätte es tatsächlich fast geglaubt. Doch dann musste auch sie lachen bis ihr die Tränen kamen.



    Als beide nach einiger Zeit zu erschöpft waren um weiter zu lachen, begannen sie wieder über einfache Dinge zu reden. Sie lachten noch oft in dieser Nacht und als die Kerzen heruntergebrannt waren und sich am Horizont bereits das erste Grau des neuen Tages zeigte, schlich sie sich lächelnd zurück auf ihr Zimmer. Für diese Nacht waren ihr die Sorgen genommen und ihr lächeln blieb auch noch im Gesicht als sie schlussendlich der Schlaf übermannte.