[in der Großen Halle] Amtsräume

  • In dem geräumigen Zimmer des Senators brannte ein wärmendes Feuer im Kamin. Die Einrichtung bestand aus einem breiten Tisch, vereinzelten Holztruhen und zwei ledernen Sesseln nahe des Feuers. Unzählige massive Kerzenständer säumten die Ablageflächen. Neben dem großen Fenster hatte er schwere Vorhänge anbringen lassen mit denen sich bei Bedarf das gesamte Zimmer vollkommen verdunkeln ließ.


    Der Senator selbst stand am Fenster und sah hinaus. Neben einigen Wenigen genoss er das Privileg, dass die Räumlichkeiten in denen er arbeitete zur Meerseite hin lagen, was einen beeindruckenden Ausblick ermöglichte. Die aufgewühlte See peitschte gegen die Küste und bot ein imposantes Naturschauspiel.
    Doch am heutigen Tage konnte er sich nur wenig dafür begeistern, denn ihn plagten andere Sorgen.


    Obwohl es noch sehr früh am Morgen war hatte er einen der Schreiber ausgesandt um Zarim Duronius, dem obersten Alchemisten Exilias, davon zu unterrichten sich unverzüglich beim Senator zu melden.
    Nun wartete Helias Abalim, jedoch ohne den geringsten Hauch von Ungeduld zu zeigen.

  • Er war nicht gezwungen all zu lange zu warten. Bereits kurze Zeit, nachdem der Schreiber die Räumlichkeiten verlassen hatte stand er erneut in der Tür.
    "Senator - Herr Duronius, wie gewünscht."
    Zarim wartete nicht darauf in den Raum gebeten zu werden und schob sich an dem Schreiber vorbei.
    "Da wird man schon morgens aus dem Bett geholt", schimpfte er lachend. Dann sah der das Gesicht des Senators, in dem er keine Anzeichen darauf erkannte, dass Helias zum Scherzen aufgelegt war. Sofort passte er sich in die neue Situation ein.
    "Was kann ich für dich tun?", fragte er ernst.

  • "Setz dich, wir müssen reden"


    Der Senator deutete auf die beiden Sessel am Kamin und nahm selbst in einem Platz. Einen Moment lang herrschte Stille.


    "Ich will offen mit dir reden und ich erwarte von Dir dass du es ebenso mit deinen Antworten hälst." Er griff neben sich und holte zwei kleinere Kelche hervor die er mit einer bräunlich-gelben Flüssigkeit füllte und einen davon an Zarim weiterreichte. Helias nippte daran. Es schmeckte entfernt nach gesüßtem, kalten Tee.
    "Es geht um eine schwere Entscheidung, die ich allein zu treffen habe..." begann der Senator. Gedankenversunken starrte er in die Flüssigkeit, so als würde sie ihm Antwort geben, wenn er sie nur lange genug ansah.

  • Zarim hatte sich gesetzt und nahm den Kelch dankbar entgegen. Er hatte an diesem Tag noch nichts gegessen oder Getrunken und freute sich über die Stärkung.
    "Du weißt, dass du jederzeit offene Antworten von mir erwarten kannst."
    Vermutlich lag es an der Freundschaft, die Zarim und Helias verband, dass Zarim es wagte so frei zu sprechen. Die beiden Männer hatten es sich mit der Zeit angewöhnt - solange sie nicht Teil einer größeren Gruppe waren - fast so miteinander zu reden, als seien sie einander vom Range her ebenbürtig. Nur einige Gesten, wie das aufhalten einer Tür, oder wer schließlich das letzte Wort behielt, zeigte mitunter, dass Helias ein Senator und Zarim lediglich Berater war. Wenn auch einer, der innerhalb der Siedlung recht hoch gestellt war. Zarim vermutete jedoch, dass Helias gerade deshalb gern seine Meinung einholte: Er musste nicht befürchten, dass Zarim aus Angst vor seiner Reaktion eine unbequeme Meinung vorenthielt.
    "Worum geht es?", fuhr Zarim fort, "Um die Ernennung des Protektors? Harkons Brief? Etwas ganz anderes? Ich bitte dich - spann mich nicht noch länger auf die Folter."

  • Resignierend nickte Helias und fixierte seinen Freund.
    "Es steht außer Frage, dass wir Harkon helfen werden und dies so bald wie irgend möglich. Bloß trifft dieser Hilferuf uns in einer äußerst ungünstigen Lage:
    Der Druck in und auf Exilia wächst zunehmend. Bisher hielt ich es für angebracht mit der Ernennung eines neuen Protektors zu warten, bis sich die Wogen hier im Norden geglättet hätten. Doch es scheint so, als würden die Spannungen sich zunehmend verstärken. Alles Warten hilft nicht mehr und nun kommt auch noch der Auszug Venyas mit ihren Verschwörern hinzu...
    Ich will nicht verheimlichen, dass ich so etwas Ähnliches bereits geahnt habe. Als Kires Vertraute ist sie von dessen Tod dermaßen geblendet, dass sie mir vorwirft Kire verraten zu haben. - Aber was hätte ich denn tun sollen?"

    Falten legten sich auf seine von glattem Haar gezierte Stirn.
    "Was geschehen ist ist geschehen - doch hat diese Trennung innerhalb der Festung Dinge angestoßen die ich nicht länger zu unterdrücken vermag: Exilia darf nicht länger ohne einen Protektor sein. Das ist mir nun endgültig bewusst geworden. Und ganz gleich, wer der Nachfolger Kires wird - Er wird sich auf turbulente Zeiten gefasst machen müssen."
    Helias erhob sich aus dem ledernen Sessel und ging hinüber zu seinem Schreibtisch. Er öffnete eine der Schubladen und holte einige Blatt Papier heraus. Er überflog zur Sicherheit noch einmal die Zeilen und setzte sich wieder zu Zarim ans Feuer.
    Prüfend sah er seinen Freund an.
    "Mal ehrlich: Keel war schon immer mehr Hauptmann denn Diplomat und seit seinem Fortgang kommt er ganz sicher nicht mehr in Frage. Av'Sha ist eine fähige Verwalterin wenn es darum geht die Essensrationen für die Siedlung festzulegen, aber ich scheine sie mit den übertragenen Aufgaben überfordert zu haben."
    Er leckte sich über die spitzen Zähne und lächelte gezwungen.
    "Doch all das ist dir ja nicht neu, wir haben schon früher darüber geredet…“
    Das brennende Holz im Kamin knackte vernehmlich.
    „Auch über Valentins Kandidatur weißt du, als unser beider Freund, bescheid. Und doch lies ich dich zu dieser Stunde zu mir kommen, weil ich dich erneut um deinen Rat bitte:
    Trotz deiner Fürsprache bin ich mir noch immer nicht sicher, ob Valentin tatsächlich für die Rolle des zukünftigen Protektor Exilias bereit ist. Damit zweifle ich nicht an deinem Urteil über ihn – Ich will dir jedoch meine Bedenken diesbezüglich offenbaren.
    Ich kenne Valentin nicht so gut, wie du und muss letztlich auf deine Einschätzung vertrauen.
    Meine erste Begegnung mit dem jungen Ceride fand statt, kurz nachdem ich selbst nach Exilia kam. Das muss nun schon ein paar Jahre zurückliegen, wenn ich mich nicht täusche, dann muss der Kuttenträger gleich nach dir zu den Exilanten gestoßen sein. Damals war eine Delegation im Gasthaus nah der Hauptstraße untergebracht. Keel Windkling stellte Valentin damals auf die Probe: Er sollte einen Anschlag auf mich verüben und mich umbringen - Du kannst dir vorstellen wie das für ihn geendet hätte –„

    Helias grinste belustigt.
    „Doch falls er sich geweigert hätte wollte Keel ihm eigenhändig den Kopf abschlagen. – Valentin entschied sich damals für die märtyrerische Variante und fiel vor dem Heerführer auf die Knie und bat darum mein Leben zu schonen, obwohl er mich nicht einmal kannte. Ich weiß noch, wie wir uns damals vor Lachen gekrümmt haben, weil Valentin sich beinahe eingenässt hat. – Aber diese Zeiten sind nun vorbei…“
    Der Senator nahm einen großen Schluck und betrachtete einen Moment lang das Spiel des Feuers.
    „Er hätte sein Leben für das Meinige gegeben…“
    Dann wanderte sein Blick wieder zurück zu seinem Freund.
    „Nach dem Sommerfeldzug bei Siegelstadt legte ich Valentin nahe seine Ausbildung als Heiler an der Akademie in Selfiran fortzusetzen. Dort konnte er seine Talente am Besten weiterentwickeln, obwohl er dafür nach Selfiran ziehen musste. Er nahm an und steht nun, wie du weißt, kurz vor der Prüfung zum Arzt und plant nach, langer Abwesenheit, endgültig nach Exilia zurückzukehren.“
    Den Becher legte er für einen Moment auf den Beistelltisch ab. Kurz schwieg er.
    „Ich glaube, dass Valentin noch nicht sehr erfahren ist im Umfeld der Politik. Zwar genoss er das Vertrauen Kires und auch Keels, doch vermag ich nicht zu sagen wie sehr er in deren Gunst stand.
    Als Kire mich zum Senator ernannte war ich selbst nicht politisch vorgebildet, ich diente als Schildknappe und nun bin ich zur mächtigsten Persönlichkeit Exilias herangewachsen. Doch traue ich denselben Wandel auch Valentin zu?
    Er hat sich, so wurde mir berichtet, im Lagerrat nicht nur Freunde gemacht. Engagiert wie er nun einmal ist hat er wohl zu häufig zu laut für seine Sache gesprochen, wobei er wohl Einigen auf die Füße getreten ist.
    Zudem trägt er den Diplomatenzahn Kires um den Hals, ein zweifelhaftes Symbol, wenn man überlegt, woher es stammt. Zwar hat Valentin mir versichert, dass er ihn nur innerhalb Exilias tragen würde und das auch nur um dem Vermächtnis Kires zu gedenken, doch gerade in der für Exilia politisch brisanten Lage ist etwas mehr Fingerspitzengefühl nötig, so wie ich sie an den Tag lege. In diesen Tagen dürfen wir nun mal nicht allzu stolz über die Errungenschaften Kires für Exilia reden.
    Wir müssen gemeinsam das Ansehen Exilias wieder herstellen und das wird nicht gerade einfach.


    Auf der anderen Seite sehe ich natürlich auch die Qualitäten Valentins: Er ist äußerst fleißig und engagiert. In der kurzen Zeit in der ihn Kire als Diplomat im Lagerrat eingesetzt hat war es ihm möglich einige Kontakte zu schließen, außerdem könnten seine Nähe zu dem vom Archon geschätzten Protektorat Selfiran durchaus nützlich auch für den Ruf Exilias sein.
    Hier und da beweist dieser junge Ceride Führungsqualitäten, obwohl er nicht einmal dazu ausgebildet wurde. Neben dir, als einen gewichtigen Unterstützer, schart er mittlerweile Anhänger um sich, die seine Kandidatur unterstützen.
    Nach dem Auszug Venyas traten sogar einige Siedler an mich heran und forderten ein neues Banner für Exilia, nachdem Valentin das Alte vom Fahnenmast gerissen hatte. Auch wenn ich Valentins Aktion für eigenmächtig und überstürzt halte, so muss ich zugeben, dass ich durchaus nicht abgeneigt gegenüber dem Gedanken bin: Das Banner zu wechseln, nun da die Gelegenheit günstig scheint, und somit einen Neuanfang zu markieren.“

    Erheitert griff der Senator erneut zum Becher und nahm einen kräftigen Schluck. Er schenkte erst sich selbst ein, dann bot er Zarim noch etwas von der süßlichen Flüssigkeit an.
    „Letztlich sind dies alles wohl keine bahnbrechenden Neuigkeiten für dich, doch sollen meine Überlegungen dir näherbringen, warum ich bisher nicht Valentins Bitte nachgekommen bin und ihn trotz deiner Fürsprache noch nicht zum Protektor ernannt habe.“
    Draußen verdunkelten graue Wolken den Himmel, auch am heutigen Tage wäre man gut damit beraten zu Hause zu bleiben.
    „Viel Verantwortung liegt in meiner Entscheidung wer der neue Protektor Exilias wird. Eine Entscheidung die ich gedachte weiter aufzuschieben, bis mich dieses Schreiben ereilte.“
    Er nahm eines der Papiere zur Hand und reichte es an Zarim weiter. Es war der Brief des Archons, der den Senator zum Palasthügel einlud.
    „Darin bittet er mich, wie du bereits weißt, darum einen Kandidaten für das Amt des Protektors zu benennen – Wir werden uns schon sehr bald nach Paolos Trutz aufmachen.“
    „Ich gedenke jedoch nicht, wie bisher geplant, als unsicherer Bittsteller vor dem Archon aufzutreten. Meine Entscheidung muss feststehen, andernfalls würde dies, das ist mir nun klar, ein negatives Licht auf Exilia werfen. Den Weggang Venyas und Ihresgleichen kann als Chance für die Hinterbliebenen genutzt werden: Wenn wir dem Archon glaubhaft versichern, dass die nahsten Anhänger Kires nun die Siedlung verlassen haben, dann wird sich der Verdacht hinter Kires Taten gestanden zu haben nicht länger aufrecht erhalten lassen.“
    Seine Züge erhellten sich merklich und er griff wieder zu seinem Becher.
    „Ich habe dich zum Cubitor Exilias ernannt, da du durch deine Taten für die Siedlung diesen Ehrentitel verdienst. Du standest mir oft genug als Berater, als Freund, zur Seite. Dein Rat ist mir viel wert.
    Auch Valentin ist Cubitor Exilias. Er hat sich als Diplomat für Exilia verdient gemacht, hat sich offen an mich gewandt und sich um die Stellung als Protektor beworben. Neben euch Beiden gebührt lediglich dem Hauptmann die Hochachtung sich mit diesem Namen schmücken zu dürfen, niemand außer euch hätte bessere Voraussetzungen und Aussichten auf den Posten. Ich zweifle nicht daran, dass ihr diese Titel unverdient führt. Auch zweifle ich nicht an der Rechtschaffenheit Valentins, noch an seinen ehrlichen Absichten – und doch…“

    Helias suchte nach weiteren Worten doch er vermochte keine zu finden die seine Zweifel näher beschrieben. Nie war eine Begebenheit so naheliegend und ihm doch so fremd erschienen.
    Der durchdringende Blick des Senators ruhte forschend auf Zarim.
    „In den vergangenen Tagen haben wir bereits darüber geredet. Du hast mir deine Ansichten über die Kandidatur Valentins näher gebracht und ich habe dir meine Zweifel dargelegt. Heute bin ich mir über manche Dinge klarer geworden, ich habe weitere Erkundigungen eingeholt aus denen neue Überlegungen gewachsen sind.
    Ich werde als Senator, als Patron Exilias, letztlich selbst eine Entscheidung treffen müssen, doch vorerst möchte ich dich noch einmal anhören, Cubitor.“

  • Helias Blick wanderte für einen kurzen Moment zu den restlichen Papieren, die er aus der Schublade gezogen hatte.


    Dann faltete der Senator die Hände und legte sie in seinen Schoß. Er atmete ruhig und gleichmäßig, ließ ein paar Atemzüge verstreichen und fixierte seinen Gegenüber mit der Hartnäckigkeit eines Zwergen gegenüber einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis. Seine Augen durchschnitten förmlich den fragenden Blick Zarims.
    Eine gefühlte Ewigkeit später setzte er zu einer Frage an:


    "Wenn du ich wärst, wie würdest du dich entscheiden, Zarim?"