Beiträge von Schwester Assiah

    Als sein Keuchen an ihr Ohr drang, verzog sie gequält das Gesicht. Rasch beugte sie sich vor und küsste ihn sacht auf die Stirn.


    "Ich beeile mich, euch beide wieder hinzubekommen."


    Der Blick, den sie Argol anschließend im Vorbeigehen zuwarf, spracht mindestens von ebenso großer Sorge, wie der seine. Dennoch zeichnete sich der Versuch eines aufmunternden Lächelns auf ihren Zügen ab als sie schnellen Schrittes weiter ging, hinüber zu Liandra.


    Als sie die Verletzungen der Heilerin, die reglos auf dem Boden lag, endlich genauer sah, verstand sie, was Argol gemeint hatte und sog zischend die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Sie würde vorsichtig und akurat vorgehen müssen, gerade was ihre linke Kopfseite betraff. Schlimmstenfalls würde sie nach Hilfe schicken müssen, denn sowohl Anzahl als auch Umfang der Verletzungen würden einiges an Zeit verlangen. Zeit, die ihr für Theyben fehlen würde...


    Assiah ließ sich neben Liandra auf den Boden sinken und stellte ihre Utensilien neben sich ab. Dann warf sie einen kurzen Blick über Argols Werk, um zu sehen, ob und in wie weit die Verbände sich bereits mit Blut getränkt haben mochten, um Einschätzen zu können, ob der Verlust weiter anhielt. Schließlich beugte sie sich über Liandra, betrachtete die große Wunde an der linken Seite genauer und begann mit beiden Händen, vorsichtig von Stirn über Schläfe, die Wangenbeine bis schließlich zum Kiefer hinab, ihren Kopf abzutasten.

    Theyben's Lächeln erwidernd, stützt sie zumindest seinen Kopf und seine rechte Schulter.


    "Sei vorsichtig und beweg dich nicht allzuviel, sonst verlierst du noch mehr Blut", antwortete sie ihm leise.
    "Es wird unangenehm werden, aber drück das auf deine Schulter", sprach sie ruhig weiter und hielt ihre Gugel hoch, die sie bereits zu einem handlichen Packet zusammengelegt hatte. Sie war wenigstens groß genug, die Schulterwunde komplett abzudecken und den Blutverlust zumindest ein wenig zu stoppen.


    "Argol? Lass uns die Plätze wechseln. Verbinde bei Theyben die größten Wunden, ich seh dann nach Liandra...", rief sie dann rüber.

    Nur allzu gerne hätte sie ihn gestützt und aufgefangen, doch das hätte seine Schmerzen, schlimstenfalls gar seine Verletzungen nur vergrößert. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich neben ihm auf die Knie fallen zu lassen. Kritisch beäugte sie seine Verletzungen. Besonders die Schulter würde mehr als unangenehm werden. Sie müsste sie reinigen, die Knochensplitter entfernen und den allgemeinen Blutverlust unterbinden. Während sie seinen geschundenen Körper betrachtete, griff sie bereits nach ihrer Tasche und begann, Wasser, Alkohol, Verbände und Nahtmaterial herauszufördern als Argols Stimme herüber klang.


    Unwillig verzog sie das Gesicht, weil sie genau wusste, dass Argol's Einschätzungen kaum keiner Übertreibung unterlagen. Schlimmstenfalls würde sie sehr schnell handeln müssen. Oder sich entscheiden... Ein mürrischer Ton drang aus ihrer Kehle und sie schob den letzten Gedanken als nicht in Erwägung zu ziehen beiseite.


    "Was genau meinst du mit schlimm? Wo ist sie verletzt und wie steht es um ihren Herzschlag? Ihren Atem?" Rief sie hinüber und riss, einer Ahnung folgend, ihre Gugel vom Hals.

    Warm erwiderte sie sein Lächeln, welches nur noch breiter wurde als sie seine förmliche Art zu reden hörte.


    "Dafür gibt es nichts zu entschuldigen. Aber wir waren bereits beim Du angelangt, wenn ich mich recht erinnere."


    Dann schüttelte sie den Kopf.
    "Freunde kommen nie ungelegen. Wobei kann ich helfen? Sollen wir hier weiterreden oder wollen wir ein Stück gehen?"

    Assiah's Blick, den sie Argol zwischenzeitlich zuwarf, zeigte das ganze Ausmaß ihrer Sorge. Diese Auseinandersetzung war schrecklich weit gegangen, doch auf die Distanz hatten sie nicht genug sehen, nicht genug einschätzen können, was passiert war. Nur das Blut, welches feucht glänzend die über beide Körper rann, sprach eine deutliche Sprache.


    Als beide fielen, Liandra schließlich still lag und Theyben sich taumelnd von ihr zurückzog, verfiel sie in einen Laufschritt. "Sieh du zuerst nach Liandra, ich werde sofort nachkommen.", rief sie an Argol gewand über ihre Schulter und überbrückte schnellen Schrittes die letzten Meter, um nachzusehen, wie stark seine Verletzungen waren.

    Assiah hatte den Boten nach Erhalt der Nachricht fortgeschickt. Er kam unerwartet, war aber gewiss nicht weniger erfreulich.


    Sie legte ihren Umang über die Schultern, denn die letzten Tage waren bedauerlicherweise bereits ein wenig kälter und noch unerfreulicher, auch nasser gewesen. Mit der Kapuze über das lange Haar geworfen, machte sie sich auf den Weg, um Hendrick an seinem Warteplatz abzuholen.


    Dort angekommen, grinste sie ihn breit an. "Man sagte mir, jemand möchte mit einer gewissen Sylvana von Tiefwasser sprechen. Ich hoffe, eine Assiah ist ebenso recht?"

    Es hatte eine Weile gedauert, ehe Assiah und Argol zu den beiden kämpfenden aufgeschlossen waren. Assiah hatte nicht vor sich einzumischen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Von daher achtete sie sorgsam darauf, den Abstand so groß wie ihrer Meinung nach notwenig zu halten.


    Erst als Theybens Brüllen an ihr Ohr drang, beschleunigte sie ihren Schritt merklich und schien auch nicht mehr unbedingt auf Argol zu achten.


    Dennoch zwang sie sich dazu, die Distanz nicht zu gering werden zu lassen. Dies war nicht ihre Angelegenheit. Noch nicht. Und so ging sie in ein wenig Entfernung in die Hocke und beobachtete zunächst den blutigen Reigen der beiden Wölfe.

    Mit leicht geneigtem Kopf beobachtete sie die Situation und spürte die beinahe greifbare Anspannung, die in der Luft lag.
    Ihr Blick wanderte von Theyben und Liandra hinüber zu Argol und Nathae. Die Illithiri war ihr noch ziemlich unbekannt, aber die Körpersprache derer, die sie kannte, reichte ihr gänzlich aus, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.


    Offenbar wollten die beiden sich vom Rest separieren und Assiahs Blick folgte in Verlängerung in die Richtung, die sie dabei waren einzuschlagen. Ohne es wirklich zu bemerken, griff sie an die Tasche, die an ihrem Gürtel hin und tastete nach den Verbänden, dem Alkohol und den anderen Utensilien. Sie würde sich nicht einmischen... vorerst. Aber sie würde sich auch nicht abhalten lassen, zu folgen, um zumindest im Nachhinein möglichen Schaden zu begrenzen.

    Nachdenklich sah sie Cupa und Ravi hinterher. Auch, wenn sie nicht alles mitbekommen hatte, glaubte sie eine Ahnung davon zu haben, was in ihnen allen momentan vorgehen mochte, war sie doch um ähnliches bemüht.


    Tief ließ sie die Luft in ihre Lungen strömen und trat endgültig an Theybens Seite heran. Sacht und wortlos legte sie ihm eine Hand auf den Rücken.

    Sie beschleunigte ihren Schritt erheblich als sie das Taumeln in Theybens Bewegungen sah, verringerte ihn jedoch wieder als er die Arme um den Faun legte, blieb schließlich sogar stehen und betrachte die ihr so vertrauen Seelen. Sie alle waren auf die ein oder andere Weise miteinander verbunden und dennoch... kämpfte jeder von ihnen einen eigenen Kampf.


    Langsam, beinahe schüchtern ging sie weiter auf die vier zu, bemerkte dabei nicht, dass ihre Finger wie so häufig in der letzten Zeit, an dem Rosenkranz nestelten, der an ihrem Gürtel hing.

    Assiah gehörte eher zu den Nachzüglern der Truppe. Einige Zeit hatte sie seitlich des Tores gestanden, hatte die Gesichter der vorbeimarschierenden Siedler betrachtet und sich immer wieder dabei erwischt, wie ihr Blick in die Ferne glitt. Zurück in die Richtung, aus der sie aufgebrochen waren. Zurück zu dem, was sie gesehen, gehört und vor allem gefühlt hatte. Ein Frösteln, dessen Ursprung sie nicht eindeutig festmachen konnte, ließ ihren Körper erschaudern und sie schlang ihre Arme fest um sich als könne sie sich an sich selbst festhalten.


    Mit einem fast schon erzwungenen Ruck wandte sie sich von dieser Welt ab und von den Gedanken, die sie hier zu halten suchten und trat in den Sog.


    Auf der anderen Seite angekommen, hielt auch sie wie eigentlich alle um sie herum, einen Moment inne, spürte den Wind auf ihrem Gesicht und in ihren Haaren, das Tageslicht, das ihre Haut wärmte. [i]'Zu Hause...' hallte es in ihren Gedanken. Doch obwohl sie unendlich glücklich war, das Leben und die Schöpfung in und um sich zu fühlen, so wollte das Gefühl des Bedauerns nicht vollständig weichen. Ein letztes Mal sah sie zurück. [i]'Im nächsten Jahr...


    Sie schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich auf ihren inneren Ruhepunkt. Sie hatte nicht vor, sich vor den anderen abzuschirmen oder zu verstecken. Aber sie musste sie auch nicht unbedingt mit ihrem Schwermut belasten. Jetzt galt es eher, sich zu stützen und zu genesen, soweit es ging.


    Schließlich wandte sie sich um und trat näher an die Gruppe heran, zu der sich ihre Gemeinschaft versammelt hatte.

    Sie erwiderte sein Lächeln vorsichtig, doch auf ihrem Gesicht war ein Wechselspiel unterschiedlicher Emotionen zu sehen: Sorge, Verwunderung, Mitgefühl und Anspannung. Der Wunsch, die Szenerie und die damit verbundenen Leiden zu unterbrechen, war ebenso beständig geblieben, wie das Wissen, dass dies nicht ihre Entscheidung war.


    Vorsichtig stellte sie den noch halbvollen, mittlerweile jedoch erkalteten Kaffee auf den Boden und trat unbeholfen ein, zwei Schritte näher. Dabei beobachtete sie beide weiterhin aufmerksam, dazu bereit, umgehend stehen zu bleiben, sofern noch nicht alles gesagt war, was nur Sylvana und ihn betraf.


    Dennoch konnte auch sie nicht aus ihrer Haut und wollte sich baldmöglichst davon überzeugen, dass es beiden Seelen, die ihr so wichtig waren, wirklich gut ging.

    Sylvana erkannte das kurze verräterische Zucken um Assiahs Mundwinkel, dass davon zeugte, wie sehr sie sich insgeheim freute.


    Als Theyben den Arm wieder um sie legte, blickte sie unbekummert drein als habe es nie irgendeine spannende Situation gegeben.


    Doch auch in ihren Augen konnte er erkennen, wie viel ihr dies bedeutet hatte und dass sie verstand, was es ihn und vielleicht auch Melekh gekostet haben mochte.


    Zufrieden und voller Neugier wandte sie dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse rund um den Faun.

    Auch Assiah horchte merklich auf bei den Worten und Gesten Sylvanas. Dutzende Geschichten fielen ihr ein, die sie ihm vielleicht zeigen mochte. Geschichten, die sie selbst miterlebt hatte, die sie nur gehört hatte. Und jene, die sie selbst jetzt noch nicht kannte. Zumindest waren Geschichten ihre erste Vermutung. Aber ob sie damit auch nur ansatzweise richtig lag, stand auf einem ganz anderen Blatt.

    Assiah sah von Cupa hinüber zu Melekh und ihr Gesichtsausdruck schien weiterhin eine unbekümmerte Freude zu tragen. Ob sie Cupas Dankbarkeit tatsächlich wahrnahm, war nur schwer zu sagen. Jedenfalls gab sie dem Faun kein sichtbares Zeichen.


    Als Melekh Theyben die Hand entgegen streckte, behielt sie ihr Lächeln auch weiterhin auf den Lippen, machte ansonsten jedoch keinerlei Anstalten, das Kennenlernen der beiden voranzutreiben. Sie würde ihn nicht zu etwas drängen, was sie selbst einiges an Zeit gekostet hatte. Ihre Mimik zeugte jedoch vom Optimismus, das dies gar nicht nötig sein würde.