Beiträge von Leonora Adlerstein

    Leonora nahm das Angebot dankend an und setzte sich. Kurz darauf kam Aiden zu der Feuerstelle. Leonora begrüßte ihn situationsgemäß und versuchte auch hier weiterhin ihre schlechte Stimmung zu verbergen. Sie beobachtete die Szene kurz und merkte schnell, dass es wohl auf eine ungezwungene Runde hinauslaufen würde. Sie sah zu Aiden, während dieser sich setzte und starrte dann ins Feuer. Die Flammen waren warm, trotzdem wollte die wohlige Wärme nicht so recht zu ihr durchdringen.
    Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Ereignisse in Kelriothar ihr so sehr aufs Gemüt drückten. Immerhin hatte sie sich bis auf ein paar wenige Ausnahmen gut geschlagen und sogar ihren Rittervater vor allzugroßem Schaden bewahrt. Andererseits wusste sie auch nicht, warum sie jetzt wieder in ein Loch zu fallen drohte.
    Leonora schnaubte schwer, setzte sich etwas bequemer hin und hielt die Hände in die Nähe des Feuers, um diese aufzuwärmen.

    Am Rande des Feldlagers stand Leonora und beobachtete den Sonnenuntergang. Ein kalter Wind wehte und sie zog ihren Umhang enger um sich, um nicht zu frieren. Während sie dem friedlichen Farbenspiel zusah, dachte sie über den Feldzug nach. Seltsamerweise war die Trauerfeier für Silas Fen das, was in ihren Gedanken ständig in den Vordergrund rückte. Vermutlich lag es daran, dass es sie sehr an ihre Schwester erinnerte, die vor noch nicht ganz einem Jahr gestorben war. Leonora konnte nicht verhindern, dass sie jetzt wieder daran dachte und auch nicht, dass sich die Sehnsucht nach ihrer Heimat und ihrer Familie breit machte. Es fühlte sich seltsam an. Als würden ihr diese Gedanken die Kraft rauben, anstatt ihr neue zu geben, die sie jetzt mehr denn je brauchte. Ein schweres Seufzen entwich der Knappin, als die letzten Strahlen der Sonne hinter dem Wald verschwanden.
    Leonora drehte sich um und sah zum Lager. Der Feldzug schien den meisten wohl noch in den Knochen zu stecken, denn es waren nur wenige Feuer zu sehen. Leonora überlegte. Anstatt hier zu stehen und Trübsal zu blasen, sollte sie sich lieber etwas Gesellschaft suchen. Sie wusste, was passierte, wenn sie das zulange hinausschob. Sie lief los und sah schließlich Landuin auf einer Bank sitzen, der gedankenversunken ins Feuer starrte. Sie ging zu ihm und blieb auf der anderen Seite des Feuers stehen.
    "Guten Abend Landuin. Darf ich mich dazu setzen?" fragte Leonora und versuchte sich ihre bedrückte Stimmung nicht anmerken zu lassen.

    Grübelnd kaute Leonora auf dem Holz des kleinen Bleistiftes herum, den sie in der rechten Hand hielt. Sie hatte die Nase in ihr Notizbuch gesteckt und ging im Kopf nochmal die einzelnen Schritte durch. So langsam saßen die Grundlagen, aber es fehlte noch viel Feinarbeit.
    Worauf sie richtig brannte, war definitiv der Reitunterricht. Sie hatte ihr Pferd in letzter Zeit kaum gesehen, nur gestern Abend war sie wenigstens dazu gekommen in den Stall zu gehen, auszumisten und Adoran zu putzen. Umso wichtiger war es daher, dass Milan es schaffte ihren Hengst zu reiten, damit er wieder etwas mehr Bewegung als nur den Koppelgang bekam.
    Leonora saß in der Nähe des Übungsplatzes auf einer kleinen Bank und hörte ab und an Leute vorbeilaufen. So ab und an wurde sie von manchen Rekruten mit argwöhnischen Blicken gestraft. Nachdem, was Lya ihr vor ein paar Tagen erzählt hat, war das auch kein Wunder. Dass sie in den Stand eines Knappen erhoben wurde, hatte Wellen unter den Rekruten der Garde geschlagen. Offenbar brodelte die Gerüchteküche zur Zeit gewaltig. Leonora war klar, dass sie Aiden beizeiten Bescheid sagen musste, bevor das ganze Überhand nahm und zu eskalieren drohte. Am besten noch vor dem großen Heerzug in die Spiegelwelt.
    Sie schnaubte und klappte das Buch zu. Der Feldzug... Irgendwie hatte Leonora das Gefühl, dass ihr Feuerfunke ihr dieses Jahr richtig Probleme bereiten würde. Er war im letzten Jahr etwas stärker geworden und unter dem Ausgleich der Elemente war auch sie innerlich im Gleichgewicht. Doch in Kelriothar verkehrte sich irgendwie alles. Und da ihr Funke eng mit ihren Emotionen verbunden war, konnte es sein, dass ein kleiner Unmut in einem Wutanfall enden würde, wenn sie nicht aufpasste. Sie feilte Tag für Tag unermüdlich an ihrem Verhalten, aber der Feldzug konnte alles binnen ein paar Tagen zunichte machen. Leonora schüttelte den Kopf.
    Nein so darf ich nicht denken. Das krieg ich schon hin! mahnte sie sich gedanklich.
    Sie packte das Buch weg und warf einen kurzen Blick auf das Übungsschwert, das neben ihr lag. Geduldig wartete sie darauf, dass Aiden ankam, um mit ihm zu üben.

    Leonora brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. Das klang schon ziemlich ernst. Und irgendwie hörte es sich hart an, dass sie im Moment "nicht einsetzbar" wäre.
    "Ich habe davon nichts gesagt, weil es noch nicht relevant war. Mein Arm war schon einige Male gebrochen. Milan hatte mir gesagt, dass es Probleme geben könnte. Bis jetzt gab es aber keine. Und jetzt gibt es eben Probleme damit. Ich hatte mir ohnehin vorgenommen heute zu Milan zu gehen, damit sie sich das anschaut, weil ich Schmerzen im Unterarm habe. Und aufgrund der heutigen Ereignisse hat sich das jetzt sowieso erledigt" erklärte sie dann.
    Sie atmete einmal tief durch. Hoffentlich würde die Operation glatt laufen. Sie konnte es sich einfach nicht leisten über einen längeren Zeitraum auszufallen.

    Leonora war kurz davor die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.
    Sechs bis Acht Wochen?? Das ist eine Katastrophe! dachte sie erschrocken.
    Der Konvent in Holzbrück stand bevor. Und sie wollte unbedingt mit. Als Milan allerdings die Sache mit der Magie erwähnte und dass sich die Zeit der Genesung auf eine Woche verkürzen würde, hoffte sie, dass Aiden dem zustimmen würde. Somit würde sie nur kurze Zeit ausfallen.

    Leonora nickte verstehend, ging zu dem kleinen Tisch, nahm sich drei der kleinen Zinnbecher und füllte sie mit Wasser aus der Karaffe. Anschließend stellte sie zuerst einen vor Aiden auf den Tisch, dann einen in Milans Nähe und schließlich setzte sie sich mit ihrem in der Hand auf den Stuhl.
    Als Aiden sich nach ihrem Gesundheitszustand erkundigte, war Leonora jetzt schon klar, dass sie vermutlich für eine längere Zeit ausfallen würde. Reiten, Kampf mit dem Schild, Bogenschießen - all das würde wohl eine ganze Weile nicht gehen.
    Trotzdem. Vielleicht war es das kleinere Übel. Erwartungsvoll sah sie nun zu Milan und war gespannt, wie schlimm das Ganze denn nun werden würde.

    Etwas widerwillig folgte Leonora Milan und Malkorion zu Fuß zurück in die Siedlung.
    Als Milan ihr Pferd in den Stall brachte, nutzte Leonora die Gelegenheit und schaute nach Adoran. Der Hengst war immer noch aufgekratzt, lief unruhig und schnaubend in seiner Box auf und ab. Erst als er Leonora sah und sie die Tür öffnete, blieb er stehen, stellte die Ohren auf und ließ sich von ihr an der Stirn berühren. Langsam beruhigte sich das Pferd. Adoran hatte noch Sattel und Trense auf, was darufhin deutete, dass er einfach so in den Stall gebracht wurde.
    Milan gab Leonora die Zeit, ihr Pferd abzusatteln und die Sachen wegzuräumen. Leonora hob etwas Stroh vom Boden auf und rubbelte dem Hengst den Rücken trocken.
    Dann folgte sie Milan zum Lazarett. Dort angekommen sah sich die Ärztin den verletzten Arm an. Leonora hatte schon einige Wochen zuvor über Schmerzen in ihrem linken Unterarm geklagt und der Sturz von Adoran hatte es jetzt nur noch schlimmer gemacht. Leonora hatte Porbleme die Hand zur Faust zu ballen und nach einer kurzen Untersuchung war klar, dass das ganze operativ behandelt werden musste, der verwucherte Knochen die Sehnen offenbar stark beeinträchtigte.
    Leonora schluckte.
    "Lässt sich das nicht irgendwie anders behandeln?" fragte sie hoffnungsvoll.

    Leonora sah nicht gerade begeistert aus.
    "Jawohl, Herr Hauptmann" sagte sie schließlich.
    Die tun ja alle gerade so, als wäre ich schwer verletzt. Dabei ist doch nichts passiert. Und außerdem ist es nicht das erste Mal, dass Adoran mir Fliegen beibringt, dachte sie etwas genervt.
    Als Isera schließlich Balu rief, befürchtete Leonora, dass die anderen Pferde auch so schnell wie möglich das Weite suchen wollten, aber sie blieben dort wo sie waren - wenn auch ziemlich nervös.
    Die Alchemistin unterhielt sich mit ihrem Tiger und während Leonora das so beobachtete, malte sie sich aus, was gewesen wäre, wenn Merlin diese Größe und sie ihn mit in die Mark gebracht hätte.
    Amüsante Vorstellung. Zum Glück ist er ja nicht so groß, dachte sie bei sich und lächelte leicht.
    Als Isera Balu als "eingebildetes Ding" bezeichnete und Balu sich so aufplusterte, konnte Leonora nicht anders, als in Alarmbereitschaft zu gehen. Sie hoffte nicht, dass der Tiger Isera hier vor aller Augen zerfleischen würde.

    Leonora salutierte gegenüber ihrem Hauptmann, als der auf seinem Pferd vor ihr stehen blieb. Sie überlegte einen Moment, wie sie die Geschichte am sinnigsten verpacken konnte, ohne Isera dumm da stehen zu lassen. Nein, es wäre falsch sie dafür zu belangen, dachte sie bei sich.
    Als sie Aiden die ganze Sache erklären wollte, kamen Milan und Malkorion auf ihren Pferden zu ihnen.
    Mit einem Nicken bestätigte Aiden Leonora, dass sie erzählen durfte, was gerade passiert war.
    "Also, ich bin mit Lya heute Vormittag ausgeritten. Als wir dann auf dem Rückweg waren, haben unsere Pferde hier vorne plötzlich vor etwas Angst gehabt. Adoran hat mich abgeworfen und Lyas Pferd ist ebenfalls durchgegangen, allerdings ist sie auf ihrem Wallach sitzengeblieben. Einen Moment später hat mir Isera.... nun ja, wie soll ich sagen?.... ihr Haustier?... vorgestellt. Vor dieser Riesenkatze haben sich die Pferde erschreckt. Ich hab mich bei dem Sturz nicht verletzt - glaub ich zumindest. Mein Arm tut etwas weh, aber das war's auch schon. Ach ja, und angegriffen, hat mich dieses Tier übrigens auch nicht" erklärte Leonora schließlich.
    Sie zögerte einen Moment.
    "Ist Adoran unbeschadet in der Siedlung angekommen?"
    Die Frage war für sie wichtig. Immerhin hatte sie Adoran gern und sie hoffte nicht, dass er sich bei diesem halsbrecherischem Tempo etwas getan hatte.
    Leonora sah zu Isera. Sie hoffte, dass sie das Ganze einigermaßen souverän erklärt hatte.

    Leonora schluckte leicht, als sie die Hufe der Pferde schon von Weitem hörte.
    "Nein... Von Jagdgesellschaften weiß ich jetzt gerade überhaupt nichts. Ich denke mal, dass Lya Aiden erzählt hat, was hier los ist. Also, aus ihrer Sicht" sagte Leonora gedehnt.
    "Es wäre gut, wenn du kurz hier bleibst, damit wird das eben klären können. Allerdings solltest du Balu wegschicken, sonst wird Adoran nicht das Einzige Pferd sein, was heute das Weite sucht."
    Leonora sah, dass Isera es schon etwas mit der Angst zu tun bekam.
    "Keine Sorge. Mir ist ja nichts passiert. Ich bin noch in einem Stück. Also, alles halb so wild. Wir können das den anderen bestimmt erklären."
    Sie lächelte zuversichtlich.

    Leonora schluckte trocken. Immer noch etwas verunsichert sah sie zu Balu, der nun vor ihr stand. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und streichelte ihm sachte über den Kopf. Das Fell sah weicher aus, als es es sich tatsächlich anfühlte. Leonora hatte eher das Gefühl ein Rehfell zu berühren.
    "Du konntest ihn nicht alleine lassen? Er sieht nicht so aus, als ob er nicht auf sich aufpassen könnte. Achso. Und wegen dem Schaden, mach dir keine Sorgen. Ich denke nicht, dass Adoran sich die Beine bricht. Allerdings hab ich ihn auch noch so Hackengas geben sehen" sagte Leonora. Der letzte Teil war eher gemurmelt.
    Sie besann sich.
    "Was wolltest du mit Balu machen? Ihn dem Baron vorstellen? Dann geb ich dir einen guten Rat. Lass es lieber. Bei mir ging das auch in die Hose."
    Leonora sah aus dem Wald hinaus und blickte auf die Siedlung. Sie konnte sich denken, was gerade vor sich ging.



    Und sie lag mit ihrer Vermutung gar nicht so falsch. Immer noch im ungebremsten Galopp hielt Adoran auf das Tor zu. Er machte auch keine Anstalten langsamer zu werden. Schon von weitem sahen die Wachen, dass dem Pferd der Reiter fehlte. Und im ersten Moment war den Gardisten auch nicht klar, wessen Pferd da eigentlich so schnell angerannt kam.
    Die beiden Gardisten am Tor versuchten den Hengst zu bremsen, doch dieser rannte einfach an ihnen vorbei. Erst, als er in Winterfeld stand, blieb er stehen und sah sich unruhig um. Sein Atem ging pumpend und seine Nüstern waren weit aufgebläht. In seinen Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen wider. Einer der Gardisten schaffte es schließlich Adoran am Zügel zu packen und das Pferd einigermaßen kontrollierbar zu machen. Immer noch war die Ratlosigkeit unter den Gardisten groß, doch das änderte sich, als Lya endlich ankam. Ihr Wallach war zwar auch durchgegangen, aber er war bei Weitem nicht so schnell, wie Adoran. Die Wachen hielten sie am Tor auf.
    Doch als Lya ihnen sagte, dass es ein Notfall war, bei dem ein Gardist in Gefahr war, machten sie ihr sofort Platz und ließen sie mit Pferd passieren. Lya lenkte ihr Pferd direkt zum Büro des Hauptmanns, stieg ab und platzte einfach in den Raum hinein.
    Aiden erschrak und sah sie an.
    "Hautpmann, ein Notfall!"

    Leonora sah zwischen den beiden verwirrt hin und her. Dabei rieb sie sich den schmerzenden Arm. Allerdings schien nichts gebrochen zu sein. Zum Glück.
    "Wer... oder was ist das? Und was macht es in der Wolfsmark?" fragte sie schließlich unsicher und sah zu der Großkatze.
    "Adoran ist mir gerade abgegangen und rennt jetzt wahrscheinlich panisch in die Siedlung! Lya hat das... Tier auch gesehen und wer weiß, was das jetzt für eine Panik auslöst!"
    Leonora atmete tief durch.
    Und ich dachte schon, ich hätte das mit meinem Drachen vergeigt. Das wird mehr Wellen schlagen, als die Sache mit Merlin, dachte sie und schnaubte leicht.
    Langsam ging sie auf die beiden zu.
    "Und dieser Tiger tut mit wirklich nichts?" wollte sie schließlich wissen.

    Es war ein schöniger sonniger Mittag. Leonora ritt mit Adoran den Waldweg entlang. Doch, im Gegensatz zu sonst, war sie mit ihrem Pferd heute ausnahmsweise nicht allein. Die junge Rekrutin Lya, mit der sie sich ihr Zimmer in der Kaserne teilte, war heute ebenfalls mit ihrem Pferd unterwegs. Sie hatte einen kleinen hellen Wallach, der stämmig und trittsicher war. Offenbar eine nordische Rasse, die ideal für die Kälte geschaffen war. Und vor allem einer der wenigen Wallache, mit denen sogar Adoran sich verstand.
    Die beiden waren schon auf dem Rückweg. Die Stimmung war entspannt und ausgelassen, während die Pferde am langen Zügel gingen und sich von dem letzten Galopp erholten. Vor ihnen führte auf der linken Seite ein kleiner Trampelpfad in den Wald hinein und eine flach abfallende Böschung hinauf. Leonora war in ein Gespräch mit Lya vertieft und bemerkte die Anzeichen ihres Hengstes nicht sofort. Erst als er stehen blieb und auch der Wallach Halt machte, wurde Leonora auf das Verhalten ihres Pferdes aufmerksam.
    Adoran machte keinen Schritt mehr nach vorn. Er hatte den Kopf aufgerichtet und beide Ohren nach vorne gestellt. Sein Körper spannte sich fühlbar an.
    "Da ist doch nichts. Komm, vorwärts!" sagte Leonora und schnalzte zweimal.-
    Adoran machte einen unsicheren Schritt nach vorne. Doch, der Wallach zeigte eine viel beunruhigende Verhaltensweise. Er wieherte leise, aber hoch, legte die Ohren zur Seite und machte einen Schritt zurück. Erst jetzt wurde den beiden Frauen klar, was los war. Ihre Pferde hatten Angst. Aber vor was?
    Leonora und Lya sahen nach vorne. Und dann verstanden sie, warum ihre Pferde plötzlich nicht mehr weiter wollten. Da lief etwas den kleinen Trampelpfad hinunter. Und es war groß. Sehr groß und weiß. Leonora konnte im ersten Moment nicht glauben, was sie da sah. Es sah aus wie ein... Tiger? Aber viel größer, als sie jemals irgendein Tier gesehen hatte.
    Etwas zu spät realisierte sie den Ernst der Lage. Bevor sie die Zügel aufnehmen oder Lya warnen konnte, machte Adoran plötzlich einen heftigen Bocksprung nach rechts. Leonora konnte sich nicht halten, verlor das Gleichgewicht und fiel. Auch der sonst so gelassene Wallach von Lya gab Fersengeld und stürmte dem reiterlosen Pferd hinterher. Lya gab sich alle Mühe, aber sie schaffte es nicht ihr in Panik geratenes Pferd zu bändigen. Adoran kürzte den Weg ab und preschte durch das Unterholz raus dem Wald und auf die weite Ebene in Richtung Winterfeld.
    Leonora setzte sich auf. Sie war bei dem Sturz hart auf dem Boden aufgeschlagen und ihr Arm schmerzte. Dann rappelte sie sich auf und sah Adoran hinterher, der in der Ferne immer kleiner zu werden schien.
    Sie sah zur Seite und erblickte diese monströs-große Raubkatze. Allerdings schien sie nicht den Drang zu verspüren, Leonora angreifen zu wollen. Der Tiger stand einfach nur da und sah sie an.
    Dann hörte Leonora, wie jemand schnellen Schrittes ebenfalls den Pfad hinunterlief und sich suchend umschaute. Leonora fiel die Kinnlade herunter, als sie die Person erkannte.
    "I... Isera?!"

    Leonora runzelte etwas verwirrt die Stirn.
    Was hat Leon ihm denn erzählt?? SO schlecht ist das in Heräus doch nicht gelaufen. Und jetzt auch noch das. Na, da kann ich mich auf ein paar lange, lange Übungsstunden einstellen dachte sie und seufzte kaum hörbar.
    Sie wusste, dass Widerworte nur unnötigen Stress hervorrufen würden, den sie sich unbedingt ersparen wollte. Auch überlegte sie sich gut, was sie jetzt sagte und stellte ihren Unmut einfach hinten an. So antwortete sie ruhig: "Jawohl, Herr Leutnant."

    Leonora konnte sich ein leichtes Lachen nicht verkneifen.
    "Von welchem der vielen Dämonen hatte Leon denn erzählt? Es war definitiv mehr als einer. Und ja, ich hatte ein paar haarsträubende Begegnungen mit diesen Mistviechern" sagte sie etwas missmutig.
    Leonora war nicht stolz darauf, aber sie schaffte es jedes Mal - egal wo sie war - sich mehr Ärger anzulachen, als ihr lieb war.
    Dann erblickte sie die Neches Re und der Weibel gab ihr die Anweisung sich noch um etwas Wasser für Tee zu kümmern, was sie natürlich auch tat. Als sie wieder zurückkam und die Neches Re am Lagerplatz stand, verneigte auch sie sich leicht und begrüßte Sylvana höflich.

    "Natürlich bin ich nach wie vor in Ausbildung. Allerdings habe ich beim Hauptmann einen Antrag auf Ausreise gestellt und dem wurde stattgegeben. Deshalb war ich in Elvigar, Heräus und Talosia - zusammen mit Cordovan und Leon" erklärte Leonora.
    Sie unterdrückte ein Gähnen. Der Ritt hierher war wirklich langwierig und anstrengend gewesen. Trotzdem war ihr klar, dass sie nicht lange hier bleiben würde.
    "Die Lage ist also schwierig? Wie darf ich das verstehen? Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal genau, warum das Feldlager hier ist" sagte sie dann.

    "Bedauerlicherweise kann ich Euch das nicht sagen. Ich hatte kaum einen Fuß nach meiner Rückreise aus Talosia in die Mark gesetzt, da kam auch schon der Befehl vom Hauptmann, dass ich mich auf den Weg nach Êrengard machen solle, um mich nach der hiesigen Lage zu erkundigen. Ich war keine anderthalb Tage in der Siedlung" sagte Leonora wahrheitsgemäß.
    Man bot ihr an, sich zu setzen und sie nahm das Angebot dankend an. Sie zog sich die Handschuhe aus und befestigte sie am Gürtel, um ihre Hände am Feuer zu wärmen.
    "Und? Wie ist die gegenwärtige Lage?" erkundigte Leonora sich schließlich.

    Erschöpft schnaubte der Hengst und warf ungeduldig den Kopf auf und ab. Er kaute unruhig auf dem Gebiss herum und sein Atem aus den warmen Nüstern bildete Dampfwolken, die sich aber auch relativ schnell wieder verflüchtigten. Seine Hufe stapften unermüdlich durch den Schnee und er trug seine Besitzerin Schritt um Schritt auf ihr Ziel zu. Doch, er war nicht allein. Zwei weitere Pferde flankierten ihn und seine Besitzerin von beiden Seiten und gingen gemächlich neben ihm.
    Leonora war in ihre warmen Winterklamotten gehüllt. Sie trug ihre Rüstung, darüber ihren Wappenrock der Garde und einen warmen Umhang, der sie vor dem Schnee, der fiel, schützte. Sie war vor noch nicht allzu langer Zeit zusammen mit Cordovan aus Talosia zurückgekehrt, doch zum Ausruhen blieb ihr keine Zeit. Kurz nach ihrer Ankunft hatte der Hauptmann nach ihr geschickt und ihr aufgetragen mit noch zwei weiteren Männern nach Êrengard zu reiten und dort Informationen aus dem Feldlager zu holen. Leonora hatte nicht gezögert, war nur kurz nach Hause gegangen, um sich frische Kleidung zu holen, hatte ihr Pferd gesattelt und war zum Feldlager aufgebrochen.
    Und jetzt war es endlich in Sichtweite. Leonora trieb Adoran an und auch die beiden Männer gaben ihren Tieren die Sporen, bis sie schließlich in einen Trab fielen. Die Beine der Pferde waren müde - immerhin hatten sie die Strecke mit nur kurzer Rast sehr schnell zurückgelegt. Doch nun witterten auch die Pferde die Chance, sich endlich länger als ein paar Stunden ausruhen zu können und so beschleunigten sie ihren Trab noch etwas.
    Von Weitem konnte die kleine Truppe hören, wie jemand rief, dass Reiter im Anmarsch waren. Doch davon ließen sie sich nicht beirren und hielten weiter auf das Feldlager zu. Kurz davor hielten sie die Pferde an und stiegen ab. Sie führten die Tiere die letzten Meter zum Lager und wurden von drei jungen Männern in Empfang genommen, die Leonora von der Garde kannte und freundlich grüßte. Die Pferde wurden wegebracht, um sich um sie zu kümmern.
    Nach einer kurzen Verschnaufpause erkundigte Leonora sich, wo sich der Weibel und Leutnant aufhielten. Nachdem ihr das gesagt wurde, machte sie sich auf den Weg zu dem Lagerplatz der beiden, die sie dort auch teetrinkend vorfand.
    "Herr Weibel, Herr Leutnant."
    Dann salutierte sie.
    "Seid gegrüßt."