Beiträge von Saffran

    Lessas Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie über Melekhs Worte nachdachte. Sie verstand, was er sagen wollte, doch vollends zustimmen konnte sie ihm nicht. Im Gegenteil. Dies ging viel zu sehr in Richtungen, die ihre innersten Zweifel betrafen. Wenn man seinen Argumentation folgen wollte, dann war alles erlaubt, um die eigenen Ziele zu erreichen. Und genau das war es, was sie am Chaos - und an sich selbst - fürchtete. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und dann überraschte der Hexer sie mit seiner Frage.
    "Was ...? Berührt?" Sie schüttelte den Kopf, unwillig. Hatte sie einen Fehler damit begangen, hierher zu kommen ...
    "Ich war verloren, und er war der erste, der mich fand." Sie entschied sich schließlich weiterhin für Ehrlichkeit.
    "Er gibt mir Dinge, von denen ich nie wusste, dass ich sie wollen würde. Er verändert mich. Und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. "
    Sie holte tief Luft.
    "Erzhexer, ich versuche zu verstehen, was Ihr sagt, auch wenn es mir schwer fällt. Und vieles was Ihr sagt erscheint mir .. nicht falsch. Aber es klingt auch... gefährlich. Es gibt andere, die demselben Weg gefolgt sind, den Ihr hier vertretet. Andere, deren Weg sie zu furchtbaren Dingen geführt hat. Macht, Tod, Zerstörung. Wollt Ihr diese Dinge? Ultimative Freiheit bedeutet auch ultimative Verantwortungslosigkeit. Gibt es dann überhaupt noch etwas, das zählt? Wenn wir ultimativ frei sind, alles zu tun, dann ist nichts und niemand mehr sicher. Wer oder was wird Euch noch etwas bedeuten, wenn Ihr diesem Ziel folgt? Argus war nicht der abgrundtief böse Vernichter alles Lebens, als den ihn manche hinstellen. Seinen eigenen Worten zufolge kämpfte er für Freiheit von einer Abhängigkeit, der Abhängigkeit den Elementen gegenüber, die er als Versklavung empfand. Er wollte Freiheit und wohin ihn das geführt hat, das wissen wir beide, Ihr sicher noch besser als ich. Wollt Ihr wirklich der nächste Sharun'ar werden?"
    Die Frage war zwar provokant, doch ihr Tonfall war nicht herausfordernd oder anklagend sondern ruhig, fast sanft, dabei aber ehrlich fragend.

    Interessiert hörte Lessa Meleks Ausführungen zu. Einiges konnte sie nachvollziehen, anderes erschien ihr weniger richtig,
    "Ihr habt recht, dass Chaosheiler, Chaosmagier und Chaos an sich bequeme Sammelbegriffe sind, die dem wahren Charakter oft nicht gerecht werden."
    Sie pausierte kurz und fügte dann bedeutsam hinzu:
    "Schließlich betrachte ich mich selbst auch nicht als Chaosheilerin, Slaneesh hin oder her."
    Was sollte das Drumherumgerede schließlich.
    "Vielleicht habe ich mich auch nicht deutlich genug ausgedrückt. Keineswegs glaube ich, dass sich Heiler die sich dem Chaos angehörig fühlen alleine durch eine größere Akzeptanz von Schmerzen und eine pragmatischere Einstellung auszeichnen. Vielmehr ist es neben vielem anderen genau dieser Drang zu forschen, den Ihr erwähnt, der mir bei ihnen besonders aufgefallen ist. Aber das lässt sich alles nicht mal eben kurz in zwei Sätzen zusammenfassen."
    Lessa dachte kurz nach, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, und zu ergründen, was genau sie an Melekhs Worten störte.
    "Ein Zeitalter der Vernunft? Ich wünschte, ich könnte das genau so sehen. Doch wenn ich mir anschaue, was auf dem letzten und vorletzten Feldzug geschehen ist, wenn ich mir viele Siedler ansehe, Tivar'Karassil und andere, wenn ich daran denke, was bei der Weltenschmiede und bei der Hinrichtung von Argus geschah, dann glaube ich nicht an ein Zeitalter der Vernunft. Dann kommt es mir eher vor, als ob wir zurückfallen würden in ein Zeitalter von Dunkelheit, Angst und Verbohrtheit. Blindem Hass und blindem Gehorsam."
    Sie blickte Melekh fest an.
    "Ihr sprecht davon, dass Mitgefühl nur der schöne Schein ist und wir Beschränkungen abschütteln müssen? Ich stimme Euch zu. Allzuoft sind die noblen Worte leer und die Intentionen dahinter wenig edel. Und nur wer etwas riskiert, kann auch etwas gewinnen. Aber es steckt auch Gefahr in dieser Einstellung. Denn wer bestimmt, welche Grenzen durchbrochen werden müssen, und welche nicht? Wer steckt die neuen Grenzen ab? Moral und Ethik sind gesellschaftliche Konstrukte, wandelbar und nicht in Stein gemeißelt. Sie zu durchbrechen birgt jedoch genausoviel Potential wie Gefahr."

    Lessa musste fast schmunzeln. Melekh ließ sich nicht von ihr von seinem angestrebten Gesprächstempo abbringen, soviel war klar. Nun gut. Irgendwann würde sie es schon noch erfahren.


    "Lasst mich überlegen. Es ist schon ein wenig her, dass ich mit dem Sammler selbst gesprochen habe. Dieses Jahr hatte ich hauptsächlich mit einem Heiler zu tun, der nicht direkt dem Chaos angehörig war, auch wenn er bei ihnen lagerte. Er nannte sich selbst einen ... Teufel, wenn ich mich recht erinnere."
    Sie dachte kurz nach.
    "Im großen und Ganzen scheinen Chaosheiler neuen Techniken und riskanten Methoden gegenüber aufgeschlossener zu sein als andere Heiler. Sie scheren sich weniger um Schmerzen oder um mögliche Nebenwirkungen, solange der Patient am Ende... funktionsfähig ist. " Bei diesen Worten schloß sie kurz die Augen und unterdrückte ein Schaudern, als die Narbe auf ihrem Rücken erneut zog und prickelte.


    "Warum ich spezifisch diesem Beruf nachgehe ist schnell erklärt. Ich hatte selbst das große Glück, in Selfiran von fähigen Heilern zusammengeflickt zu werden. Ich blieb als Heilerin dort, um meine Schuld zurückzuzahlen." Und weil sie nicht gewusst hatte, wo sie sonst hinsollte, aber das würde sie Melekh nicht auf die Nase binden. In Selfiran hatte sie nicht nur eine neue Heimat sondern auch eine Aufgabe gefunden.


    Merh als alles andere war es das, was sie nicht an das Chaos verlieren wollte.

    Die Augenbraue zuckte kurz als ein Ausdruck leichter Überraschung über Lessas Gesicht huschte, doch gleich darauf hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Den Anhängern seines Glaubens? Als Melekh in seiner Einladung spezifisch Gorathiel und Uurquart genannt hatte, hatte sie automatisch angenommen, er wüsste ... oder war das nur wieder ein Spiel? Sie war diesbezüglich gewarnt worden, nicht speziell vor ihm, aber sie wusste, dass sowohl beim Chaos wie auch bei der Politik vieles sich um Spielzüge und Intrigen drehte.


    "Ich hatte bereits öfters das Vergnügen, mich mit dem Sammler und anderen Heilkundigen des Chaos austauschen zu dürfen." sagte sie unverbindlich. "Zu Eurer Einschätzung bezüglich der Bedeutung des Heilerberufes allgemein, als auch der exzellenten Leistungen der Chaosheiler kann ich Euch nur zustimmen. Doch sicher habt Ihr nichts anderes erwartet."


    Lessas Stimme war nun weit sicherer und hatte fast einen Hauch von Schärfe. Sie war sich sicher, dass jedes seiner Worte genau berechnet war. Die Frage war lediglich, wieviel er wusste und was genau er bezweckte.


    Es lag ihr auf der Zunge, Melekh herauszufordern, doch endlich gerade mit dem herauszurücken, was er eigentlich wollte, denn bis jetzt redetete der Hexer immer noch um den heißen Brei herum. Doch Lessa war sich auch bewusst, dass dies unhöflich gewesen wäre. Weder Geduld noch Diplomatie zählten zu ihren Stärken, doch das bedeutete nicht, dass sie dumm genug war, den Hexer bewusst zu verärgern. Lessa bemühte sich daher um eine zumindest ansatzweise diplomatische Antwort.


    "Eine offene Weltansicht finde ich mitnichten uninteressant, sondern vielmehr notwendig. Doch ist es wirklich Euer Bestreben, philosophische Ansichten mit mir zu diskutieren, oder wollt Ihr vielleicht auf etwas anderes hinaus?"


    Nicht gerade subtil, aber niemand hatte sie je subtil genannt.

    Lessa lächelte ein wenig gezwungen, auch wenn sie sich bemühte, es natürlich wirken zu lassen.


    "Danke, Herr, das ist sehr freundlich von Euch, doch ich benötige nichts." Ihr Hals war trocken und in Wahrheit hätte sie ein Glas Wasser gebrauchen können, doch sie hatte nicht vor, sich eine Blöße vor dem Erzhexer zu geben. Sein steter Blick verriet ihr auch so, dass ihre Nervosität ihm nicht entgangen war. Mit Mühe zwang sie sich, sich zu entspannen. Schließlich war dies eine offizielle Einladung und sie hatte nichts von Melekh zu befürchten. Zumindest nahm Lessa das an.


    Doch tief im Inneren ließ sich ein Rest von leiser Furcht nicht niederringen, denn sie wusste noch immer nicht, was der Hexer von einer derart unbedeutenden Heilerin wollen mochte. Dass Melekh gefährlich war, sagten ihr nicht erst die Zeichen des Chaos an ihm, sondern vielmehr seine Austrahlung, ganz anders als die ihres alten Meisters, und doch ähnlich in gewisser Weise. Irgendwie glaubte sie nicht, dass der Hexer Zeit und Geduld für belanglose Gespräche verschwendete ...


    Der Scherz ließ kaum ihre Mundwinkel zucken, so angespannt war sie.


    "Heiler sind gelegentlich ein etwas überfürsorgliches Volk, das stimmt." sagte sie mit belegter Stimme. Was sie eigentlich sagen wollte war 'Warum zum Geier habt Ihr mich herbestellt, doch sicher nicht, um mit mir über Heilerangewohnheiten zu scherzen.', doch sie verbiss sich die Ungeduld mit Mühe. Sie hatte sich auf sein Territorium begeben, und hier herrschten seine Regeln. Sie hatte das von Anfang an gewusst und akzeptiert.


    Doch sie musste sich nicht verbiegen lassen. Sie hob den Kopf und begegnete seinem zwiefarbigen, kühlen Blick so ruhig und gelassen, wie sie konnte, eine Augenbraue fragend hochgezogen. Mochte er daraus lesen, was er wollte.

    Lessa gab schon nach kurzer Zeit jeden Versuch auf, sich den Weg zu merken und hoffte einfach, auf dem Rückweg wieder hier herauszufinden. Nichts in Selfiran oder auf den Feldzügen hatte sie ausreichend auf Paolos Trutz vorbereiten können. Dies waren die Momemente, in denen ihr wieder einmal klipp und klar gezeigt wurde, wie wenig von der wirklichen Welt sie eigentlich kannte.


    Sie dankte dem Diener, als er sie in den Raum führte und erstarrte, als sie den Erzhexer gewahrte. Blitzschnell schoß es ihr durch den Kopf, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie Etikette und Protokoll hier wohl aussehen mochten. Die Panik verflog jedoch rasch wieder. Mit etwas Glück war Melekh in dieser Hinsicht ähnlich unkompliziert wie Archon und Nyame.


    Sie senkte respektvoll den Kopf vor dem Erzhexer und nahm seine Einladung dankend an. Seine vom Chaos gezeichnete Gestalt erschreckte sie nicht, hatte sie auf den Feldzügen doch ähnliches und chaotischeres gesehen und unter dem Skalpell gehabt. Trotzdem bildete sie sich ein, fast so etwas wie eine Aura des Chaos spüren zu können. Die Narbe auf ihrem Rücken spannte unangenehm und etwas wie ein Gefühl von Vorahnung überlief sie wie ein Schauder.


    "Eure Einladung ehrt mich, Herr. Selbstverständlich kam ich so schnell nach Paolos Trutz, wie es mir möglich war." Sie saß stocksteif in dem durchaus bequemen Sessel und harrte mit einer Nervosität, die sie nur beinahe verstecken konnte, der Dinge die da kommen mochten.

    Lessa strich nervös ihren Rock glatt und atmete tief ein, als sie kurz vor dem Portal innehielt. Die Reise nach Paolos Trutz war ereignislos verlaufen, doch sie fühlte sich noch immer von den Ereignissen in Nargemien aus dem Takt gebracht. Nun stand sie kurz vor dem Treffen mit Melekh und sie war noch immer kein Stück schlauer, was sie im Hochamt für Magie erwarten mochte. Sie schüttelte den Kopf und verbannte die beunruhigenden Gedanken entschlossen, bevor sie mit hocherhobenem Kopf das Portal durchschritt.


    Sie sprach einen der geschäftig durch die Gegend eilenden Diener in den grauen Roben an, die überall zu sehen waren und fragte ihn nach dem Weg zum Sitz des Erzhexers. Das Gebäude erschien ihr von innen noch größer und unübersichtlicher als von außen.

    Lessa hatte fast das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, so groß war ihre Erleichterung ob der Worte Gwaew-Gedos. Nicht nur, dass sein Rat in die Richtung ging, die sie selbst bereits angedacht hatte, nein. Es bedeutet ihr noch viel mehr, dass der Elb überhaupt bereit war, ihr mit einem klaren Rat weiterzuhelfen, anstatt sich in vagen philosophischen Andeutungen zu verlieren, wie es sonst oft seine Art war. Dahinter steckte oft sehr viel Tiefe, die man mit viel Nachdenken auch herausfiltern konnte. Aber sie war so verwirrt von dem ganzen, was geschehen war, von den Selbstzweifeln, den stummen und den lauten Anklagen, von allem eben, dass es ihr viel bedeutete, dass er ihr auf eine für seine Verhältnisse sehr klare Art einfach Antwort gab. Es bestätigte sie und machte, dass sie sich endlich ein wenig besser und sicherer fühlte.


    Als er sich dann an Theyben wandte, überraschte er Lessa ein weiteres Mal. Nachdenklich bertrachtete sie den Wolfswandler, der von den Worten des Protektors scheinbar ebenso überrascht war wie sie selbst, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Cupa hatte vorhin auch so etwas in die Richtung gesagt, am Beginn ihres Gespräches und bevor alles aus dem Ruder gelaufen war. Etwas darüber, dass Theyben ihr vielleicht helfen konnte. Sie hatte es abgetan, wie auch seinen späteren Satz über die fütternde Hand, die man nicht beißen sollte. Sie war zu aufgebracht gewesen, um es wirklich anzunehmen.


    Jetzt verschränkte sie peinlich berührt die Arme vor der Brust, eine ungewollt schutzsuchende Geste, was ihr selbst gar nicht auffiel. Der ehrliche Unglaube in Theybens Stimme war ihr unangenehm, zumal er ja nicht Unrecht hatte, so wie sie sich teilweise ihm gegenüber benommen hatte.


    "Es ... es ist schwer, seinen Weg zu ändern. Es ist auch schwer, den eigenen Fehlern ehrlich ins Gesicht zu sehen." sagte sie leise, den Kopf zur Seite gewandt.


    "Ich habe Fehler gemacht ... auch Dir gegenüber, Theyben. Furcht und Zweifel lassen manchmal Menschen viel aggressiver und fanatischer erscheinen, als sie eigentlich sind. Es ist nie schön, gesagt zu bekommen, dass man etwas falsches tut, etwas... etwas falsches ist, auch wenn es zutreffen mag. Gerade Du solltest das doch verstehen können ... Du sagtest etwas davon, Leute nicht dafür zu verurteilen was sie sind, nur für die Entscheidungen, die sie treffen . Aber manchmal ist eine Wahl weniger frei, als man denken würde." Sie war kurz still, dachte über die eigenen Worte nach.


    "Aber das darf keine Entschuldigung dafür sein, die falsche Wahl zu treffen, schätze ich." Ihre Stimme wurde zunehmend kräftiger, und ein wenig der alten Selbstsicherheit kehrte in sie zurück.
    "Aber ich kann nicht ändern, was geschehen ist, sondern nur eine neue Wahl für die Zukunft treffen. Und Gwaew-Gedo hat völlig recht, dafür muss ich zunächste verstehen, wo mein Weg in die Irre zu laufen begann." Ihr fiel plötzlich ein, was Cupa gerade gesagt hatte.
    "Ihr reist nach Nargemien? Ich.. wenn es euch recht wäre, würde ich mich dieser Reise gerne anschließen. Dort gibt es... einige Orte, die ich gerne besuchen würde. Auf eine gewisse Art hat dort vieles begonnen ..."

    Eine Sekunde lang standen sich die Heilerin und der Wolfswandler gegenüber und wirkten trotz ihrer kompletten Unterschiedlichkeit genau wie zwei Hunde mit gesträubtem Nackenfell, knurrend und bereit zum Sprung.
    Doch als die Agression und Anspannung aus Theybens Stimme schwanden, schien auch Lessa in sich zusammenzusacken, wie ein Ballon aus dem Theybens Worte plötzlich die Luft herausgelassen hatten.


    Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sie sich gerade verhielt, und sie schämte sich dafür. Lessa drehte den Kopf zur Seite und senkte verlegen die Augen.


    "Dann... seid Ihr vielleicht wirklich klüger als ich." murmelte sie leise aber gut hörbar. Ihre Stimme klang müde. Sie war es so leid, die Anspannung, die Selbstzweifel, die Unsicherheit.
    Sie wünschte sich nichts mehr, als dass ihr jemand einfach einen gangbaren Weg aufzeigen würde, wusste aber auch, dass dies wohl nur sie selbst konnte.


    Vertrauen. So ein kleines und doch so ein großes Wort. Wie sehr sie sich wünschte, einfach darauf vertrauen zu können, dass andere ihr beistehen würden.

    Lessas Augen verengten sich und sie verschränkte die Arme.
    "Ich wüsste nicht, wobei der mir helfen sollte und beißen ist ja wohl auch eher seine Art." Die Gereiztheit in ihrer Stimme überraschte sie selbst. Sie hatte eigentlich wirklich nicht vor, einen neuen Sreit vom Zaun zu brechen, weder mit Cupa noch mit Theyben, aber diese verurteilende Art des Wolfswandlers schaffte es jedes Mal, sie auf die Palme zu bringen. Tief drinnen ahnte sie, dass es daran lag, dass seine Worte ein Echo von etwas waren, was sie selbst fühlte. Doch sie war noch nicht bereit, das zuzugeben, schon gar nicht vor ihm.
    "Sicher trefft Ihr immer nur die richtigen Entscheidungen." knurrte sie.

    "Ja, es ist doch schön, wenn man weder aufgrund seiner Art noch seines Glaubens diskrimiert wird, nicht wahr..." konnte Lessa sich an der Stelle nicht verkneifen zu sagen, doch sie schluckte resolut herunter, was ihr sonst diesbezüglich noch alles einfallen würde. Nicht hilfreich, sich jetzt in diese Art von Diskussion mit dem Wolfwandler zu begeben.

    Lessa zuckte zusammen, als der Wolfswandler auftauchte. Sie war so sehr auf die Vergangenheit fixiert gewesen, dass die Gegenwart sie überraschte. Sie nickte Theyben mit leicht gerunzelter Stirn zu. Zwar war die Atmosphäre im Vergleich zu vorhin nun sehr viel entspannter, doch ein Rest von Gereiztheit und Anspannung lag noch immer in der Luft und Lessa verkrampfte sich merklich, als Theyben zu ihnen trat.


    'Ausgerechnet jetzt ...' fuhr es ihr durch den Kopf. Sie und Theyben hatten bereits den einen oder anderen Zusammenstoß gehabt, doch seit Gwaew-Gedos Intervention waren sie einander aus dem Weg gegangen. Es war nicht so, dass Lessa Theyben nicht mochte, sie konnte ihn nur nicht einschätzen und seine Feindseligkeit ihr gegenüber, nachdem er von ihrem Glauben erfahren hatte, machte das ganze nicht einfacher. Andererseits ... sie hatte es ihm auch nicht leicht gemacht und im Lichte dessen, worüber sie mit Cupa und Gwaew-Gedo gesprochen hatte... und der Wandel in Cupa, den Theybens Ankunft hervorbrachte, entging ihr auch nicht.


    Sie beschloß, erst einmal abzuwarten, wie sich das Gespräch weiter entwickeln würde, zumal sie auf jeden Fall Gwaew-Gedos Antwort hören wollte.

    Wie stets konnte man die Worte des Elben auf mehrere Arten deuten. Lessa hatte sich seit langem daran gewöhnt, dass Gwaew-Gedo gerne indirekt sprach.
    Plötzlich umgab den Protektor ein sanftes Leuchten, wie eine Aura. Die Ganze Atmosphäre im Garten wandelte sich. Eine leichte Brise umwehte die Anwesenden und für einen Moment glaubte Lessa, etwas vertrautes darin wahrzunehmen, einen Duft, der sie an eine kang zurückliegende, glücklichere Zeit erinnerte. Sie schloß kurz die Augen und atmete tief ein, und der Hauch fuhr durch sie hindurch und hinterließ ... Hoffnung.


    "Schmerz liegt hinter mir und Schmerz liegt vor mir, vor allem, wenn ich es nicht vermag, meinen Weg zu ändern. Ihr habt mich schon vor langer Zeit gewarnt, Gwaew-Gedo. Es hat lange gedauert, doch nun weiß ich, Ihr hattet recht. Auch Cupa hat Recht, mit vielem von dem was er sagte ... und nun habe ich das Gefühl, dass ich mich dem Schatten meiner Vergangenheit stellen muss, um meine Zukunft neu zu ordnen, auch wenn die Erinnerungen mir erneuten Schmerz bringen werden. Bitte, Herr... Euer Rat ist mir wichtig. Was würdet Ihr an meiner Stelle tun?"


    Lessa sah Gwaew-Gedo offen und ehrlich an. Sie vertraute dem Elben wie kaum einem anderen. Wenn er ihr davon abraten würde, sich der Vergangenheit zu stellen, würde sie seinen Rat befolgen, auch wenn sie nicht wusste, wie sie dann ihren Weg neu bestimmen sollte. Wie sie Cupa bereits gesagt hatte, sie konnte ihrer dunklen Seite nicht so einfach entsagen, genausowenig wie der Faun die seine völlig kontrollieren zu können schien.

    Cupas beschwichtigende Art beruhigte und verwirrte Lessa gleichzeitig. Vielleicht waren sie und der Faun trotz äußerlicher und Alterunterschiede doch nicht so verschieden...
    '... wie Du folterst, brichst und Teile in Menschen zerstörst...' Cupa Worte klangen ihr immer noch in den Ohren. Vielleicht hatte der Faun die Worte nicht so hart gemeint, wie sie geklungen hatten, doch Lessa wusste, dies würde ihr noch eine ganze Weile zu schaffen machen.


    Aber hatte sie nicht auch schon oft Dinge gesagt, die sie hinterher bereut hatte ...?


    Wortlos nickte Lessa Cupa zu, die Entschuldigung akzeptierend.


    "Licht... " Sie dachte über das Wort nach. Woher kamen der Schatten, der Schmerz, der ihr Leben verdunkelte? Die Antwort war klar. Aus der Vergangenheit. Einer Vergangenheit, die sie lange verdrängt und vergessen hatte ...


    "Vielleicht ist es an der Zeit, Licht auf den Schatten zu werfen, der mich begleitet ..." sagte sie nachdenklich, und ihre Gedanken wanderten zurüc, nach Nargemien, zu einem unmarkierten Grab ... und zu den Ruinen eines Turms ...

    Lessa nickt langsam. Obwohl etwas kryptisch, berührten die Worte Gwaew-Gedos doch etwas tief in ihr. Sie hatte das Gefühl, kurz vor einer wichtigen Erkenntnis zu stehen.


    "Aber wie kann man sich vom Schatten befreien, wenn dieser tief im eigenen Herzen liegt? Cupa sprach vorhin auch davon, dass man sich nur für den richtigen Weg zu entscheiden braucht. Aber wie kann ich das, was mich in der Dunkelheit ruft, loslassen?"

    Lessa legte den Kopf schief, als der Faun und der Protektor scheinbar damit begannen, sich einen philosophischen Schlagabtausch zu liefern. Sie runzelte leicht die Stirn als Cupa im Grunde wiederholte, was sie zuvor gesagt hatte. Zumindest schien die fast unerträgliche Spannung, die bis eben noch zwischen ihnen beiden in der Luft gelegen hatte, nun abzunehmen.


    Sie atmete auf.


    Cupas Worte hallten noch nach in ihrem Kopf und ihrem Herzen und taten weh, doch sie schob dies beiseite.


    "Meintest Du vorhin nicht, dass wir alle eine Wahl haben, Cupa...? Nur sind Licht und Schatten manchmal so eng miteinander verwoben, dass sie kaum zu trennen sind. Manche wandeln im ewigen Zwielicht ..."

    Less sah Jaelle neugirierg von der Seite an.


    'Ich muss gestehen, ich weiß nicht viel über Euch, Jaelle. Ihr habt also auf einem Schiff gelebt? Auf was für einem denn? Und habt Ihr dort auch Rochus getroffen?"

    Lessa starrte Cupa an, völlig geschockt von den Worten des Fauns. Lange Augenblicke war sie einfach sprachlos.
    Ihr erster Impuls war, den Faun anzuschreien, oder vielleicht in Tränen auszubrechen, doch beides war eigentlich nicht ihre Art. Und im Moment ganz sicher nicht ratsam.


    Sie atmete tief ein. Dann wieder aus. Und wieder ein. Bekämpfte die dunklen Impulse, den Schmerz, die Furcht.


    Sie hatte Cupa um seinen Rat gebeten, seine Einsicht. Dass ihr seine Worte nicht gefielen, war nicht die Schuld des Fauns. Dass die Worte sie so verletzten, zeigte, dass sie zumindest teilweise ins Schwarze trafen.
    Was hatte sie erwartet? Wer Zorn säht, wird Sturm ernten. Hass und Schmerz erzeugten stets mehr Hass und Schmerz, nicht wahr? Wäre sie Slaneesh wirklich hörig, dann würde ihr das alles nichts ausmachen. Doch da war noch etwas anderes... irgendetwas war da mit Cupa ...


    Ausatmen. Einatmen.


    "Und all jene, die das Zeichen des Blutstropfens führen, sollen meine Brüder und Schwestern sein, denen ich mit Rat und Tat zur Seite stehen will. Siehst Du, ich kann den Eid auch zitieren." sagte sie leise.


    "Meine Heilmethode sehe ich nicht wirklich im Widerspruch zum Eid, denn ich nehme nur etwas, dass schon da ist und nutze es als Energie. Das Foltern.. das steht auf einem anderen Blatt, aber da handelte es sich auch nicht um meinen Patienten. Und doch spüre ich, dass der Eid und das, was ich tue, nicht zusammenpassen. Dass diese zwei Seiten in mir mich langsam zerstören. Deswegen sprach ich mit dem Protektor, mit Bar`akan, mit Dir. Ich bitte um Hilfe, um Rat. Ich suche einen Weg, Cupa. Deine Argumente sind sicher richtig. Es wäre richtig, sich vom Pfad des Chaos abzuwenden und wieder auf den Weg der Heiler zurückzukehren."


    Lessa schien nicht zu bemerken, dass Gwaew-Gedo den Kräutergarten betreten hatte. Sie holte noch einmal tief Luft.


    "Aber Du scheinst nicht zu verstehen, ja nicht einmal verstehen zu wollen, was das Problem ist. Für Dich scheint alles glasklar und die Entscheidung leicht getroffen. Darum nennst Du mich, aus Deiner Sicht zu Recht, kindisch, und machst mir Vorwürfe. Und auch wenn Du mit vielem Recht hast... ich sage Dir, es ist nicht so einfach."


    Sie sah auf, und ihre Augen waren trocken und ernst und ihr Blick stetig.


    "Ich danke Dir für Deine Worte, Cupa. Aber ich glaube, zumindest im Moment kannst Du mir nicht helfen. Mir scheint, Du musst Dir erstmal selbst helfen. Es tut mir leid, dass ich ..."


    Endlich bemerkte sie den Elfen, der sich ihnen näherte. Sie nickte Gwaew-Gedo ehrerbietig zu. Sie wirkte ruhig und gefasst, doch wer genauer hinsah, konnte ein leichtes Zittern ausmachen, und eine trockene Zerbrechlichkeit in ihrem Gesichtsausdruck, der auf die dahinter tobenden Gefühle schließen ließ.


    "Protektor... Ein schöner Tag, wirklich. Leider lässt die Sonne Schatten umso dunkler scheinen..."

    "Was Ihr nicht alles wisst!" Lessa fand es schön, Jaelle zuzuhören. Ihr kam zwar das vertrautere, freundlichere "Du" immer noch schwer über die Lippen, trotzdem genoß sie den Spaziergang und die Unterhaltung sehr. Auch wenn sie die Hälfte der Zeit damit beschäftigt war, sich aus übergriffigen Brombeerranken zu befreien. Schließlich band sie zumindest die Ärmel hoch, das half etwas. Sie liebte ihre weiten bunten Röcke, aber unpraktisch waren die schon manchmal.


    "Klingt köstlich. Ich habe erst hier in Selfiran gutes Essen schätzen gelernt, dank unserer Küche. Davor... also, wo ich vorher war, wurde auf solche Dinge kein Wert gelegt." Lessa verzog das Gesicht, Der Tag war wirklich zu schön, um an die Vergangenheit zu denken. Warum überfielen sie nur in letzter Zeit ständig die Erinnerungen? An den Turm... aber vor allem an ihren kleinen Bruder.


    "Ausgezeichnete Idee." Lessa schüttete sämtliche Brombeeren in einen Korb und schlenderte dann weiter den Weg zum Steinkreis entlang.

    "Anscheinend kennt Ihr Euch mit Pilzen besser aus als ich. Die Köchin hat mir mal drei, vier essbare Arten gezeigt, die kann ich unterscheiden, aber was da weitergeht..." Lessa zuckte mit den Schultern.


    Ihr Gesichtsausdruck wurde ernster, als Jaelle über Philosophie sprach. Sie rümpfte kurz die Nase und wirkte nicht mehr ganz so beschwingt, als sie an das Gespräch mit Cupa vor Kurzem dachte.


    "Ja, ich wär auch nicht traurig, wenn wir das Philosophieren heute mal außen vor lassen würden. Es ist so ein schöner Tag."


    Die beiden Frauen wanderten einträchtig Seite an Seite durch den frühherbstlichen Wald. Nach einigen Minuten erreichten sie ein Brombeerdickicht und begannen, den Korb damit zu füllen.