Beiträge von Kal Su

    In Gedanken versunken kam Kal Su aus dem Tempel. Das Gespräch mit Mordenkainen hatte sie verunsichert und ihr wurde einmal mehr bewußt, wie wenig sie den Hüter der Elemente eigentlich kannte.
    Als sie die hochgewachsene schwarze Gestalt auf dem Weg bemerkte, erhellte sich ihr Gesicht.
    "Bar'akan, Ihr seid zurück!"
    Zwar wußte sie, daß er sich bereits seit ein paar Tagen wieder in Selfiran aufhielt, hatte ihn aber in dieser Zeit noch nicht zu Gesicht bekommen.
    Neugierig folgte sie seinem interessierten Blick zu Boden.
    "Oh, hier wächst ja Gundelrebe, interessant. Ich dachte, die gibt es hier nur unten am Fluß und bei den Holundersträuchern am Waldrand."
    Kal Su hockte sich hin und zupfte vorsichtig zwei kleine rundliche Blättchen von der Pflanze. Eines steckte sie sich selbst in den Mund, das andere hielt sie dem Drow hin.
    "Schmeckt ähnlich wie Salbei, nur bitterer. Wirkt gegen alle Arten von Entzündungen und bei Vergiftungen. Vielleicht sollte man einmal ein paar Pflanzen davon ausgraben und in den Kräutergarten umsetzen.", fügte sie mümmelnd hinzu.

    Kal Su nickte.
    "Ihr habt wohl Recht."
    Sie sah Mordenkainen ernst an.
    "Aber ich denke, Ihr wißt auch, wie Ihr meine Worte zu verstehen habt. Ich sympathisiere sicherlich nicht mit den Verfemten, mein Interesse ist es , daß auf Mitraspera endlich Frieden herrscht. Und was den Senator von Exilia angeht, hatte Valentin mir versichert, daß er eben kein Vampir sei. Außerdem bin ich ziemlich sicher, daß mir das aufgefallen wäre."
    Mit einer angedeuteten Verbeugung entfernte sie sich ein paar Schritte, dann fügte sie noch hinzu
    "Ich muß mich nun wieder meinen Hausaufgaben widmen, der Magietheorie-Unterricht heute Morgen hatte es in sich. Ich danke Euch, daß Ihr Euch die Zeit genommen habt, mich anzuhören."

    Optimus' Worte ließen Kal Sus Mißtrauen wieder aufflammen. Bestand die Wache nicht zum größten Teil aus Chaosanhängern? Beim Kampftraining konnte so leicht etwas passieren, entweder ein fingierter Unfall, um sie unauffällig aus dem Weg zu räumen oder aber ihr selbst geschah ein Mißgeschick und fügte einer Wache Schaden zu und man würde sie nach dem, was nun mit Ruglan geschehen war, nur noch als Feind des Chaos sehen und entsprechend verfolgen.
    "Ich bin Magier, kein Kämpfer, und das aus gutem Grund. Sollte ich in die Situation kommen, mich oder einen Patienten verteidigen zu müßen, tue ich das per Feuerball."
    Sie bemühte sich, ihre Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen.
    "Gewisse Taktik-Kenntnisse sind sicherlich für alle, die sich zumindest in der Nähe einer Schlacht aufhalten müßen, sinnvoll, aber ich denke dabei eher an Kampftechniken im Hinblick auf ganze Truppenbewegungen, wie sich Schlachtreihen verschieben und solche Dinge. Vielleicht könntet Ihr aus Eurer Erfahrung heraus einmal eine Vorlesung darüber halten. Für die Schlachtenheiler wäre das sicherlich hilfreich."

    Optimus' Stimme riß Kal Su aus ihren Gedanken. Etwas erschreckt sah sie auf.
    "Nicht... nicht sehr viel, ich beschäftige mich nebenbei noch mit ein paar Schriften, deren Kenntnis in meiner Heimat Voraussetzung für die Aufnahme an den magischen Universitäten ist, außerdem versuche ich, ein wenig De'shineth zu lernen. Worum geht es Euch denn?"
    In Kal Sus Augen stand ein wenig Verunsicherung.
    "Wenn es etwas Wichtiges ist, werde ich es aber sicher trotzdem noch einrichten können."

    Als Gwaew-gedo ihr die Hand auf die Schulter legte, fiel alle Anspannung von Kal Su ab.
    Wortlos quittierte sie Optimus' Worte mit einem Nicken, wobei sie ihre Schultern leicht wandte, sodaß die Hand des Protektors nun auf ihrem Nacken ruhte.
    Er würde wahrscheinlich nicht einmal merken, wie sie mit dieser kleinen Bewegung die Bedeutung seiner Geste verändert hatte, doch sie zog eine große Beruhigung aus der Berührung.
    Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf stand sie da und ließ zu, daß seine Stimme sie beruhigte. Sie hatte schon länger die unterschwellige Magie in seiner Stimme bemerkt, wenn er sang, diese Berührung von etwas unvorstellbar Altem und gleichzeitig so Reinem, daß sie jedes Mal unbewußt lächeln mußte, wenn er seine Stimme erhob.
    Seine Worte und seine Geste hatten ihre Zweifel wieder zerstreut und ihr wurde bewußt, wie sehr sie Selfiran vermisst hätte. Die Akademie war in dem einen Jahr, das sie nun schon hier lebte mehr zu ihrer Heimat geworden als es das Silberauental und Vier Windes Anwesen jemals gewesen waren.

    "Maul auf der Brust??"
    Kal Su blickte mit fassungslos aufgerissenen Augen zu Optimus. Sie erbleichte langsam, dann nahm ihr Gesicht einen ungesund grünstichigen Farbton an und sie hielt sich eine Hand vor den Mund, scheinbar um einen aufsteigenden Würgereiz zu unterdrücken.
    "Barmherzige Göttin, ich hatte keine Ahnung! So etwas hätte ich nie gewollt, das müßt Ihr mir glauben!"
    Ihr Entsetzen schien sich in Panik zu wandeln, als sie den nächsten Teil seines Satzes verarbeitete und sich an eine Zeichnung erinnerte, die sie einmal zufällig in Vier Windes Bibliothek gesehen hatte.
    "Als Chaosbrut...? Das waren einmal Menschen??"
    Kal Su schluckte krampfhaft, um der bitteren Galle Herr zu werden, die sich in ihrer Kehle gesammelt hatte.
    Doch schon seine nächsten Worte, die Abfälligkeit mit der er ihr ihre Bedeutungslosigkeit im großen Intrigenspiel der Politik vorhielt, ließen ein Feuer in ihr wieder aufflammen.
    "Glaubt mir, ich spreche nicht von Urquart oder gar dem Verräter, ich weiß, daß ich zu unwichtig bin, als daß solche Personen Notiz von meiner Existenz nehmen würden. Ich meine Viktor, wenn ich sage, ich fürchte um mein Leben. Ich traue ihm zu, daß er zu so etwas fähig ist. Seit seiner Ankunft hier hat er mich gereizt, um einen solchen Zwischenfall zu provozieren."
    Sie leckte sich kurz über die vom vielen Reden trockenen Lippen, dann fuhr sie ebenso gereizt fort:
    "Und was Ihr als eine ungehörige Anspielung auf Ihre Exzellenz mißinterpretiert, war nichts weiter als die Überlegung, daß jemand, der als Champion und Heerführer des Chaos – wenn ich mich recht entsinne? – de facto zur herrschenden Klasse dieses Siegels gehört, mehr Möglichkeiten und Gelegenheiten hat, seine Ansichten und Wünsche ihrer Exzellenz zu Gehör zu bringen als jemand, der zwar ebenfalls den Rang eines Protektors hat, aber eine vergleichsweise zu vernachlässigende militärische Stärke besitzt und darüber hinaus einer Rasse angehört, die die Drow bisher nicht – vorsichtig ausgedrückt – zu ihren engsten Verbündeten gezählt haben. Ich weiß, auf Mitraspera ist alles anders, heißt es, aber wirklich alles hat sich sicher nicht geändert."
    Ihr Blick war ruhig und ernst, als sie sich wieder Gwaew-gedo zuwandte.
    "Ihr wißt, wie sehr ich Euch schätze und daß ich Euch vorbehaltlos vertraue, aber ich denke, meine Überlegung entbehrt nicht einer gewissen Grundlage, oder?"
    Optimus unverhohlene Drohung ließ Kal Su die Nackenhaare zu Berge stehen, doch sie zwang sich, sich zubeherrschen und nicht ihrerseits ihre Augen ihre natürliche Farbe annehmen zu lassen.
    "Ihr dreht mir schon wieder die Worte im Munde herum. Ich verurteile Euch nicht für den selben Glauben, dem auch mein alter Meister und Mentor angehört, ich habe auf Grund der Geschehnisse nur etwas Schwierigkeiten damit, den hiesigen Anhängern des Chaos, die ich ja alle nicht wirklich kenne, zu vertrauen. Wenn Ihr meinen Glauben an die Sache, für die wir Heiler streiten oder meine Loyalität zu Gwaew-gedo in Zweifel zieht, dann sagt mir das hier und jetzt und ich verspreche Euch, ich werde Mitraspera mit dem nächsten Schiff verlassen und Ihr werdet mich hoffentlich nie wiedersehen."
    Kal Sus Worte waren nicht als Drohung gedacht, die letzten Tage hatten nur in ihr Zweifel aufkeimen lassen, ob Selfiran, nachdem sich die Nurgle-Anhänger hier so häuslich niedergelassen hatten, noch der Ort war, an dem sie leben wollte.

    Bei Mordenkainens milden Worten schüttelte Kal Su vehement den Kopf.
    "Ihr versteht nicht! Es hätte einen anderen Weg gegeben, da bin ich mir sicher!"
    Schon wich wieder alles Feuer aus ihrer Stimme.
    "Ich habe sie getötet, doch es war sinnlos, die Dinge, die sie uns letzten Endes doch verraten hat, waren wertlos für uns. Sie hat uns die Wahrheit gesagt, wahrscheinlich tatsächlich sogar alles, was sie wußte, und dennoch habe ich sie getötet, als das nächste Trüppchen Untoter ankam, wohl angelockt von ihren Schreien. Ich weiß, Ihr werdet sagen, ich habe sie von der Perversion des Unlebens erlöst, aber ich habe Zweifel daran. Was, wenn es den Dienern der Knochenkönigin lieber ist, auf diese Weise weiter zu existieren, als ihr Leben endgültig zu verlieren? Ich weiß, daß ich solche Gedanken nicht zu laut aussprechen darf, daß so etwas an Ketzerei grenzt, aber ich glaube, bei mir wäre es so. Ist nicht schon einmal die Frage aufgekommen, ob es mit der Zweiten Schöpfung so etwas wie eine friedliche Koexistenz geben kann? Ich mache mir zwar keine Illusionen, daß die Avatare der Zweiten Schöpfung dies jemals ernsthaft in Betracht ziehen würden, aber die Einzelnen? Die Anhänger der Knochenkönigin und des Verräterlords waren einmal Siedler wie wir, Menschen, Elben und was weiß ich noch alles. Mit dem Kopf kann man nicht verhandeln, aber mit dem Körper? Was, wenn wir eine Chance hätten, sie von einer friedlichen Lösung zu überzeugen? Muß dann nicht jeder Untote, jeder Berührte oder jeder Rakh, den wir vernichten, ein Schritt in die falsche Richtung sein?"
    Kal Su hatte sich in Fahrt geredet und sah nun Mordenkainen ernsthaft und erwartungsvoll an.
    "Und was wäre, wenn es sogar einen Weg gäbe, zum Beispiel einen Untoten den Klauen der Knochenkönigin zu entreißen und ins Leben zurückzuführen?"

    Kal Sus Stimme war leise, wie geistesabwesend, als sie Mordenkainens Aufforderung nachkam.
    "Es war in Ancarea, in diesem Herbst. Wir waren durch ein Portal gegangen, das im Einflussbereich des Schwarzen Eises lag und gerieten in einen von den Verfemten kontrollierten Bereich. Wir waren nur noch wenige, keine zehn Mann, ich die einzige Heilkundige. Als wir vielleicht eine Stunde unterwegs gewesen waren, fanden wir die Leiche des Gelehrten, der uns durch das Portal gebracht hatte, neben ihm dieses seltsame Ding, womit er angeblich die Portale kontrollieren konnte. Nur keiner von uns wusste, wie man es benutzt, also mussten wir einen anderen Weg finden, um zum Anleger zu gelangen. Wir trafen auf eine weitere Gruppe, eine kleine Mannschaft von Seefahrern, und es kam zu einem Streit. Wir waren auf dem Weg bereits mehrfach von kleinen Gruppen der Verfemten angegriffen worden und ich hatte alle Hände voll zu tun gehabt. Da glaubt dieser widerwärtige versoffene Pirat doch tatsächlich, meine Instrumente stehlen zu wollen!"
    Kal Su schnaubte verächtlich.
    "Ihr könnt Euch vorstellen, daß ich wütend wurde. Und wenig später wurden wir erneut angegriffen, eine Handvoll Untote. Da es uns bisher immer recht leicht gelungen war, sie zu besiegen, kamen wir auf die Idee, einen von ihnen gefangen zu nehmen und zu verhören. Es gelang uns auch, uns fiel eine Fleischnäherin in die Hände."
    Kal Sus Blick schweifte wieder in die Ferne, in die Vergangenheit.
    "Sie musste jung gewesen sein, weit jünger als ich und noch nicht lange tot. Die anderen drohten ihr, versuchten sie zum Reden zu bewegen, doch sie lachte uns nur aus und verhöhnte uns – sie sagte, vor Sonnenuntergang würden wir uns alle in den Endlosen Heerwurm eingereiht haben. Ich hörte das und ahnte bereits, daß wir aus ihr auf diesem Wege keine für uns brauchbaren Informationen herausbekommen würden. Da fiel mir wieder ein, wie dieser Pirat mit meinem Kautereisen herumgespielt hatte. Ein anderer hatte ihr bereits die Hände abgeschlagen, als sie versucht hatte, eine ihrer Verletzungen wieder zusammenzunähen und da ich nicht wußte, ob Blutverlust für Untote auch ... äh... tödlich sein kann, habe ich diese Wunden zugebrannt. Sie hat geschrien!"
    Ein Schauer durchlief Kal Su.
    "Es... es war nicht meine Idee allein, aber das ist keine Entschuldigung. Wir stimmten alle zu, daß wir die Informationen brauchten, die sie wahrscheinlich hatte und daß Folter der einzige Weg sein würde, diese Informationen zu erlangen."
    Wieder zögerte sie einen kleinen Moment, gefangen in den grausamen Erinnerungen.
    "Ich weiß nicht, warum ich es letzten Endes getan habe. Vielleicht habe ich ihr Schlimmeres ersparen wollen, so ironisch das klingen mag. Ich habe ihr das glühende Kautereisen gezeigt, habe ihr gesagt, was ich tun würde, wenn sie uns nicht verrät, wohin das nächstgelegene Portal führt und wie man die Portale ohne dieses Steuerelement bedient. Sie hat sich geweigert. Und dann..."
    Sie brach ab, Tränen in den Augen.

    Kal Su verschluckte ein humorloses Lachen ob der Worte des Protektors.
    "Ich weiß durchaus, daß die Nurgle-Anhänger auf Wunsch des Protektors von Klah Obscore hier sind. Und es ist mir ebenso bewußt, daß es keine gute Idee sein kann, jemandem zu mißfallen, der wie ich vermute einen deutlich direkteren Zugang zu Ihrer Exzellenz hat als Ihr – ohne Euch dabei zu nahe treten zu wollen, Gwaew-gedo. Was ich nicht verstehe ist, wieso dieser Vorfall überhaupt derart große Wellen schlagen soll. Natürlich gehe ich davon aus, daß Viktor seinen Protektor davon in Kenntnis setzen wird – und ich wage zu vermuten, daß er den tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse zumindest so darstellen und einfärben wird, daß er und Ruglan als völlig unschuldig darstehen, während er mich wahrscheinlich als unberechenbare Bestie hinstellt. Aber was ist schon passiert? Ruglan hat vielleicht ein paar Kratzer auf der Schulter und muß einmal sein Gewand waschen, aber das wird ihn wohl kaum umbringen."
    Kal Sus Stimme troff vor Verachtung und Sarkasmus.
    An Optimus gewandt fuhr sie fort:
    "Ich habe vor, in zwei Tagen bei Sonnenaufgang nach Ancarea aufzubrechen und ich bin nicht gewillt, mich von diesem Vorhaben abbringen zu lassen, da sich mir auf dieser Reise mit großer Wahrscheinlichkeit eine sehr gute Gelegenheit bieten wird, zumindest einige der Pestkrankheiten näher zu studieren. Auf dem Gebiet von Ancarea sind bereits Kreuzinfektionen aufgetreten und da diese in meinen Augen eine neue Bedrohung für uns, wenn nicht für alle Siedler darstellen, halte ich diese Reise für ausgesprochen wichtig. Aber wenn es Euch weiterhilft, gebe ich Euch mein Wort, daß ich zurückkehren werde. Es sei denn, ich bin tot."
    Sie holte einmal Atem, dann ergänzte sie noch:
    "Und noch etwas: nehmt es mir nicht übel, aber ich würde es definitiv bevorzugen, eine Unterhaltung mit Euch nur in Anwesenheit des Protektors zu führen."

    Verwirrt und auch etwas verunsichert sah Kal Su von Optimus zu Gwaew-gedo.
    "Diplomatische Verwicklungen? Wovon sprecht Ihr, Gwaew-gedo? Ich verstehe nicht."
    Ihre Verwirrung war echt, nicht nur vorgetäuscht, das war deutlich zu sehen.
    "Gwaew-gedo, muß denn erst wirklich etwas passieren, muß denn erst ein Schüler hier zu Schaden oder vielleicht sogar zu Tode kommen, damit Ihr realisiert, daß die Anwesenheit der Nurgle-Anhänger für Selfiran nicht gut ist? Ich habe mittlerweile Angst um mein Leben, solange sie hier sind,jeden Tag mehr!"
    Ohne eine entsprechende Erlaubnis des Protektors abzuwarten, wandte sie sich zur Tür.
    "Wenn Ihr mich hier nicht mehr benötigt, würde ich nun gern wieder in mein Zimmer gehen, ich möchte noch einen Brief schreiben."

    Die lauernden Worte des großen Chaoskriegers ließen Kal Su misstrauisch aufhorchen.
    "Meine Absicht und der Grund meines Handelns war einzig und allein, Valentin, einen in meinen Augen fähigen Heiler und einen Freund davor zu bewahren, sich aus Unwissenheit durch den Kontakt mit Warpstein – einer Substanz, die meiner Meinung nach hier in Selfiran vollständig verboten gehört – vor Schaden zu bewahren."
    Ihre Stimme hatte etwas an Schärfe gewonnen und sie warf Optimus einen kurzen, nicht übermäßig freundlichen Blick zu.
    "Den wahrscheinlich vollständigsten und neutralsten Bericht werdet Ihr wohl von Valentin bekommen, falls Ihr noch nicht mit ihm gesprochen habt."
    Optimus' letzten Satz ignorierte sie, sie kannte die Gesetze des Nordens nicht gut genug, um einen Schritt auf dieses dünne Eis zu wagen.

    Kal Su zog die Augenbrauen hoch und seufzte leise. Ihr Blick war auf den Protektor gerichtet, als sie zu erzählen begann.
    "Ich hatte mit Bar'akan in meinem Zimmer zu Abend gegessen und wollte eigentlich nur mein Essgeschirr in die Küche bringen und Valentin darüber informieren, daß ich in zwei Tagen noch einmal nach Ancarea reisen will – er hatte eventuell Interesse geäußert, mich dorthin zu begleiten – als ich sah, daß er im Speisesaal wieder mit Viktor und Ruglan zusammensaß. Ich gebe zu, daß ich diese Freundschaft nicht gutheiße, da ich um Valentins körperliches und geistiges Wohl fürchte."
    Sie fühlte schon wieder den Zorn auf die Nurgle-Anhänger in sich aufsteigen, denn es war zweifelsohne Viktors Zutun gewesen, daß sie hier nun ausgefragt wurde, als hätte sie etwas verbrochen. Doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben und keine übermäßigen Emotionen in ihre Stimme zu legen.
    "Die drei unterhielten sich und während ich sah, daß Ruglan Valentin etwas hinhielt, hörte ich aus Viktors Mund nur das Wort Warpstein und da war mir klar, daß es genau das sein mußte, was Ruglan Valentin gerade anbot. Ich denke, Ihr wißt, daß ich mehrere Jahre im Haushalt eines Chaosanhängers gelebt habe, daher ist mir bekannt, welche Auswirkung Warpstein auf den menschlichen Körper hat. Da ich aber leider davon ausgehen muß, das Valentin über ebendieses Wissen nicht verfügt, befürchtete ich, er würde das Angebot annehmen und sich damit vergiften. Deswegen bin ich dazwischen gegangen. Ich muß allerdings auch sagen, daß Viktor Ruglan das Tütchen gleich wieder entrissen hat, ich weiß allerdings nicht, wo er es hingetan hat, das konnte ich nicht sehen."
    Sie machte eine kurze Pause um Luft zu holen.
    "Ich habe Ruglan an der Schulter gepackt und von Valentin weggezogen – grober als notwendig, zugegeben. Aber ich... ja, ich wollte, daß Ruglan Angst vor mir hat. Ich hatte die Hoffnung, daß er Valentin dann vielleicht in Ruhe läßt."
    Sie zuckte die Schultern und ein etwas hilfloser Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
    "Ich weiß ja, daß ich zum überreagieren neige, was die Kombination von Valentin und den Nurgle-Anhängern angeht, aber ... verdammt, ich kann einfach nicht tatenlos zusehen, wie sich dieser kleine naive Welpe von denen einwickeln lässt! Was, wenn er den Warpstein tatsächlich angenommen und probiert hätte?"
    Nun gewann doch ihr Temperament die Oberhand und ihr Blick konnte dem Protektor keinen Zweifel lassen, daß ihr Zorn auf die Nurgle-Anhänger durch den heutigen Abend neue Nahrung bekommen hatte.

    Kal Su verdrehte leicht die Augen, als Silent Jack ihr den Verband hinhielt und schüttelte den Kopf. Bevor der stumme Riese protestieren konnte, griff sie nach einem ihrer Verbandsgürtel, die aufgerollt auf ihrem Schreibtisch lagen und fummelte einhändig einen der schmalen Leinenstreifen heraus. Sie wickelte den Stoff nachlässig um ihre rechte Hand, dann zog sie ihre Zimmertür hinter sich zu und folgte Silent Jack und Optimus zu Gwaew-gedos Arbeitszimmer.


    Optimus' Stimme ließ Kal Su herumfahren. Der große Chaoskrieger gehörte gerade nicht zu den Personen, die sie jetzt unbedingt um sich haben musste.
    Es entging ihr nicht, daß sich ein zweites Paar Schritte ihrer Tür näherte und ebenso davor stehenblieb. Optimus' Frage erledigte die Überlegung, wer die zweite Person sein mochte. Bevor einer der beiden Männer auf die Idee kommen konnte, das Kompetenzgerangel auf ihre Kosten eskalieren zu lassen, öffnete sie mit einem harten Ruck die Tür und fixierte die beiden ungebetenen Besucher aus glühenden Augen.
    "Was wollt Ihr hier, das so wichtig ist, daß Ihr mich zu zweit zu Gwaew-gedo eskortieren müßt?"
    Von ihrer rechten Hand tropfte Blut zu Boden.

    Kal Su saß in ihrem Zimmer und spitzte schon zum wiederholten Mal ihren Federkiel mit dem kleinen Skalpell. Kaum wieder in ihrem Zimmer hatte sie begonnen, einen Brief an ihren alten Meister Vier Winde zu schreiben, doch in ihrer zitternden Hand war die zarte Spitze des Kiels immer wieder abgebrochen und hatte die Tinte in großen Klecksen über das Papier verteilt.


    Mein Freund und Mentor,
    ich wende mich an Euch, weil ich fürchte, meines Lebens hier in Selfiran nicht mehr sicher zu sein. Bereits seit vor der zweiten Belagerung Doerchgards diesen Sommer weilen Anhänger Nurgles als Gäste und Schüler an unserer Akademie und sie haben bereits damit begonnen, einzelne Schüler auf ihre Seite zu ziehen. Ich fürchte um die Gesundheit – geistig wie körperlich – eines Mitschülers, der sich von ihnen nur zu leichtgläubig umgarnen lässt.
    Wie können wir gegen die Pestilenz kämpfen, wenn wir gleichzeitig Boten von Seuche und Siechtum innerhalb Selfirans Mauern dulden? So viele sind krank geworden in diesem Herbst, so viele mehr als im vergangenen Jahr und doch wagt keiner das Offensichtliche auszusprechen, um nicht den Zorn des Protektors ihrer Heimat zu wecken.
    Lernen sollen sie von uns, helfen neue Erkenntnisse über die Ölige Pestilenz zu gewinnen, doch was tun sie statt dessen? Sie fressen Warpstein, wollen sogar ahnungslose Schüler dazu verführen, und ergötzen sich an ihren widerwärtigen Entstellungen und dem Leid der wirklichen Kranken.
    Ich war selbstverständlich nicht die Einzige, die ihnen mißtrauisch gegenübertrat, doch scheine ich die Einzige zu sein, die willens ist, dieses Mißtrauen in Worte zu fassen. Daher hat es besonders der Rädelsführer dieser verderbten Kreaturen auf mich abgesehen und reizt mich, wo immer er nur kann. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, bis durch das Verschulden dieser hinterhältigen Ränkespieler ein Schüler ernsthaft zu Schaden oder gar zu Tode kommt. Doch ich befürchte, lange wird es nicht sein.


    Erneut war ihr die Spitze vom Federkiel abgebrochen und Kal Su setzte mit einem unterdrückten Knurren die scharfe Klinge an, um die Spitze wieder zurechtzuschneiden. Doch diesmal rutschte sie ab und der scharfe Stahl fuhr ihr tief in den rechten Daumen. Mit einem Laut, der halb ein Schmerzensschrei und halb ein wütendes Brüllen war, sprang sie auf, wobei ihr Stuhl laut polternd hinter ihr umfiel und ließ das nun blutbeschmierte Skalpell zu Boden fallen.

    Bei dem Krähen des Larks war zuckte Kal Su zusammen und entblößte ihr Gebiss mit einem erschreckten Fauchen. Der Laut des großen Vogels hatte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagen lassen.
    Valentins Anschuldigungen schmerzten sie. Zwar war sie den Nurgle-Anhängern von Anfang an voreingenommen gegenübergetreten, doch hatte sie ihr Misstrauen stets als berechtigt empfunden, hatten die 'Gäste' Selfirans doch stets ein in ihren Augen nicht tolerierbares Verhalten an den Tag gelegt.
    Kal Su wurde klar, daß sie Valentin nicht mehr vertraute, seit er sich so bereitwillig von den Anhängern des Seuchengottes hatte einwickeln lassen. Von daher war es wohl besser, getrennte Wege zu gehen. Fast schon bereute sie, dem jungen Mönch von ihren Reiseplänen erzählt zu haben.
    "Du hast Recht, es ist wohl das Beste, wenn wir nicht gemeinsam reisen."
    Kal Su machte sich keine Mühe, ihre Gefühle aus ihrer Stimme zu verbannen.
    Die Wache hatte in der Zwischenzeit das Tor geöffnet und ließ sie hinaus.
    Ohne sich nach Valentin umzusehen, wandte Kal Su sich nach Nordwesten, in Richtung Paolos Trutz. Doch nach wenigen Dutzend Schritten verließ sie die Straße und verschwand im Dickicht des Waldes.


    Hier im Schutz der hohen Bäume konnte sie ein gutes Tempo vorlegen, sicher lange nicht so schnell wie der Lark mit seinen langen Beinen, doch immer noch schnell genug, daß sie die Nordgrenze Selfirans vor Sonnenuntergang erreichen würde.
    Abseits des Weges konnte sie nun auch ihren Instinkten freie Hand lassen und so ließ sie sich von den Stimmen des Waldes beruhigen, während sie gen Norden lief.


    Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichte sie das kleine Gasthaus an der Straße nach Paolos Trutz, nur ein paar hundert Schritt von der Grenze des Protektorates entfernt.
    Aus der sicheren Tarnung des Waldes heraus beobachtete sie das kleine Haus eine Weile. Von Valentins Lark war von ihrer Position aus nichts zu sehen, doch das mochte nichts heißen.
    Eine Weile rang sie mit sich, ob sie im Gasthaus übernachten und einen weiteren Streit mit Valentin riskieren sollte, dann entschied sie sich dagegen. Die Nächte waren zwar schon ziemlich kühl, aber noch auszuhalten.

    Kal Sus Blick blieb zu Boden gerichtet, als sie den großen Elben begrüßte, ihr Nacken in einer instinktiven Geste der Unterwerfung entblößt.
    "Die Elemente zum Gruße, Magister Mordenkainen. Ich bin hergekommen, weil etwas, das ich getan habe, schwer auf meinem Gewissen lastet."
    Sie kam seiner Aufforderung nach und ging langsamen Schrittes an seiner Seite aus dem Tempel heraus. Auch wenn dies sicherlich der richtige Ort für ihr Geständnis war, fühlte sie sich wohler, als sie wieder den freien Himmel über sich hatte, nicht mehr so als würden die Augen der Avatare auf ihr ruhen.
    "Ich habe auf meiner letzten Reise eine Frau gefoltert. Und meine Motivation dafür könnte man als Streben nach einem persönlichen Vorteil definieren. Ich weiß, wie wertlos unter Folter gewonnene Informationen sind, trotzdem habe ich es getan."
    Ihr Blick ging in die Ferne, in die Vergangenheit, als sie sich die hässliche Situation noch einmal ins Gedächtnis rief.

    Bei seinen Worten blieb Kal Su stehen und grub ihre Krallen in die Handballen, um den naiven Welpen nicht zu schütteln.
    "Genau das ist es, worin du dich irrst. Das Chaos ist keine Herkunft, es ist eine Wahl! Eine Entscheidung, sich einem Pantheon des Wahnsinns zu verschreiben!"
    Sie funkelte ihn an.
    "Und Ruglan und unschuldig? Daß ich nicht lache! Er weiß, was Warpstein anrichtet; glaubst du, es würde ihn kümmern, wenn du von dieser Substanz verändert wirst, oder vielleicht sogar stirbst? Ist dein Glaube so schwach geworden, daß du dich von ihnen einwickeln läßt? Noch vor einem Jahr glaubtest du, der Anblick deines Kreuzes würde dich vor einem Wolfswandler schützen können und jetzt siehst du nicht einmal, daß sie dich nur für ihre Zwecke benutzen? Wach auf, Valentin!"