INFO - Beschreibung der Kurie

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    Doch wenden wir den Blick erneut gen Palasthügel.
    Schweifen wir hierbei nun von Westen aus mit den Augen über die vielen dunklen Giebel des Anwesens Aratanashi, so finden wir ein kurzes Stück weiter oben wiederum geschützt von festen Mauerringen jene gewaltige weiße Kuppel, die die Kurie und die anderen Räumlichkeiten des Senats beherbert.
    Nach außen hin massiv und trutzig geschlossen, so öffnet sich das Gebäude zur Seite der Großen Treppe des Palastbezirkes in mehreren von riesigen Säulen gestützen Wandelhallen, in Ballustraden mit Oberlichtern, die den Himmel freigeben und Versammlungsräumen mit Atrien, die von den besten Steinmetzen angelegt wurden.


    Tagsüber werfen bodenhohe Fenster und andernorts winzige Nieschen den hellen Schein der Sonne in einem Spiel von Licht und Schatten in jeden Raum und überall sieht man den milchig-hellen Wiederschein des Marmors, der dort allerorts sanfte Helligkeit schaft, wo kein Fenster die ehrfurchtgebietende Stille des Senats verdrängt.
    Leise Stimmen hallen wider. Mehr noch wenn man den Trubel der Welt hinter den turmhohen Eingangstoren zurücklässt und sich auf den Weg ins Innere begiebt.
    Folgt man dem Hauptgang in gerader Weise, so öffnet sich nach einigen Schritten durch Türen aus schweren, edlen Hölzern der Raum vor einem zu jener gewaltigen Kuppel, die sich von außen nur erahnen lässt.
    Ein meisterhaftes Bauwerk, gänzlich rund und freischwebend, befreit von allen Stützen, auf starke Mauern gesetzt und mit prachtvollen geometrischen Mustern verziert.
    Es zwingt den Blick nach oben. Acht winzige Öffnungen - von unten kaum erkennbar - werfen majestätische Lichtstrahlen auf jeweils einen Sitzplatz in den Reihen, die sich konzentrisch vom Mittelpunkt des Senats nach oben winden.
    Dort sitzen die jeweils stimmfähigen Senatoren, gebadet im Licht des Tages.
    Auch wenn das Jahr sich wendet, die einfallenden Strahlen sich verschieben mit der Zeit, so ist dies Wunderwerk der Baukunst so beschaffen, dass immer genau acht Sitze erleuchtet werden.


    Natürlich aber genügt es nicht einen solchen Raum mit nur jenen Strahlen zu erhellen.
    Hinter den höchsten Rängen und Ballustraden scheinen weitere, dem Auge des Betrachters verborgene Fenster zu sitzen, die dem gewaltigen Raum weiteres Licht spenden.
    Vor dem Halbrund der Sitzreihen, direkt unter der Mitte der Kuppel befindet sich ein freier Platz, auf dem wohl Referenten ihre Thesen vorbringen mögen, ein gutes Stück dahinter eine schwere geschlossene Tür, das Innerste, die Wahlkabine mit den beiden Urnen, die über Krieg und Frieden, über Schuld und Sühne, über Hunger und Wohlstand entscheiden.
    Träten wir in dieses Heiligtum der Stille, so fänden wir uns wieder in einem dunkel getäfelten Raum mit Boden von schwarzem Marmor, eng, kaum mehr als eine Zelle, mit eben jenen zwei schlichten schwarzen Marmorgefäßen, auf der einen in silbernen Lettern graviert "Zustimmung", auf der anderen "Ablehnung".
    Nur ein paar Kerzen in filigranen goldenen Ständern erhellten jenen Raum, in dem wir, wären wir Mitglieder des ehrenwerten Senats des Nördlichen Reiches uns zu entscheiden hätten, ganz allein, aber auch ganz frei.


    Doch träten wir als Senator wieder heraus aus jener dunklen Kammer, so schwarz im Vergleich zum marmornen Schein der steinernen Ränge vor uns, so würde uns klar, dass uns dieser winzige, geheimnissvolle Raum allein durch seine Art zeigen sollte, dass wir in ihm im Zentrum der Macht stehen, wie ein Hohepriester im Tempelinnersten.
    Drum müssen wir so entscheinden, dass wir auch alleine, in jener zellenhaften Kammer, frei von allen Äußerlichkeiten, von Zwist und Gier, von Freundschaft und Zuneigung, rechtfertigen können, was wir tun.
    Richtig entscheiden. Sodass wir nichts zu bereuen haben, und frei von Schuld vor des andern Auge treten können, vor das der anderen Senatoren, vor das des Volkes, doch am allermeisten vor unser eigen.


    Führte uns unser Schritt ein weiteres Stück aus der Kurie, so träten wir auf das große schwarzweiße Mosaik des Senats.
    Es erstreckt sich von der einen Seite des freien Platzes unter der Kuppel bis zur anderen, verbindet auch die beiden sich gegenüberliegenden Eingänge und reicht bis an die ersten Treppen zur Ballustrade, hoch oben über den Rängen.
    Es ist aus antrazitschwarzem und gleißend hellem Marmor, in starrer Geometrie ineinander verwoben, wie eine Rose, die sich selbst in ihrer Konzentrik immerwieder durchschneidet und überlappt, ein Kunstwerk, das die Augen schmerzen lässt.
    Scheinbar ohne Anfang und Ende winden sich die dünnen langen Felder aus Schwarz und Weiß in dem riesigen Kreis auf ein Zentrum zu, in dem der Stein so winzigfein verlegt ist, dass kein menschliches Auge mehr unterscheiden kann, welche Farbe im Strudel des Steines obsiegt. Unirdisch. Im Grau des Auges verschwimmen Hell und Dunkel.


    Doch würden wir, gegeben, wir wären Senatoren, nicht nur die kühle Stränge dieses Raumes mit dem Senat verbinden.
    Unsere Augen wären gewöhnt an die leisen Besprächungen vor dem Tagen des Senats, an das leise Trippeln von Boten, die auf Zehenspitzen hereineilten um den tagenden Senatoren eilige Botschaften zu überbringen.
    An den Geruch von duftenden Ölen und dem süßlichschmierigen Duft von Siegelwachs.
    An das laute Hallen einer einzigen kräftigen Stimme, wenn einer sich erhebt und sich ereifert, ein neues Thema zu erörtern.
    An das Kratzen von Federn auf Pergament und das leise Abklopfen von Tusche am Glas.
    An das verhaltene Rascheln von teurer Kleidung unter den schweren weißgrünen Roben, von prunkvollen Gewändern aus Seide und Brokat, reich bestickt und verziert mit eingewobenem Gold und Silber, sodass - sei's, dass ein Sonnenstrahl auf einer Senatorin Prunkgewand fällt - deren Wiederschein kleine kostbare Lichtpunkte in das Dunkel der Kuppel wirft. (...)