Beiträge von Dormen

    "Ich meinte nicht, dass der zerstörte Wald besser sein könnte als der neu erblühte. Ich meinte den Wald, bevor er zerstört wurde.
    Was wenn die unzähmbare Gewalt Eures Feuers mehr Gutes zerstört, als jemals neu erstehen kann? Vielleicht ist das Feuer allein zu radikal und es benötigt Hilfe, sich zu kontrollieren."


    Sie nahm Kahinas Hand uns sagte ehrlich:


    "Ich glaube, dass in jedem Wald - wollen wir ihm einmal unterstellen, er sei krank - etwas Gutes steckt, dass es wert ist vor der Feuersbrunst gerettet zu werden. So wie auch das Gute, das in Balachiel schlummert, wert ist, gerettet zu werden. Und um es zu retten, braucht man Geduld, Nachsicht und Vergebung, keinen Scheiterhaufen. Wandlung kann auch ohne vorherige Zerstörung erfolgen."


    Sie schüttelte den Kopf und lächelte. Kahina brauchte sich nciht entschuldigen. Es war gut zu sprechen. Es war gut sein Blickfeld zu erweitern.


    "Es sind nicht Eure Fragen, die mir Kopfschmerzen bereiten, es sind meine eigenen.
    Euer Vertrauen in das Feuer ist unerschütterlich, ich bewundere das. Wie steht es mit Eurem Vertrauen in die anderen Elemente? Wie steht es mit dem Wasser?"

    "Es gibt alte Dinge, die nicht tot sind und das zurecht. Das Alte ist nicht immer schlecht oder überkommen, bloß weil es alt ist. Sowie das Neue nicht immer besser ist, bloß weil es neu ist.
    Ein einmal zerstörter Wald wird so schnell nicht neu erblühen. Und wer weiß, ob der verbrannte Wald nicht der bessere war."


    Sie schaute ernst.


    "Ich will nicht sagen, dass ich es richtig finde, das Neue zu ignorieren und stur an Traditionen festzuhalten. Dann wäre ich nämlich nicht hier, sondern in die alte Welt zurückgekehrt.
    Was ich mich frage ist: Wer kann sich Eurer Meinung nach das Recht herausnehmen, zu sagen, was verbrannt gehört und was weiterleben darf? Nach wessen Recht soll das Feuer handeln, das Ihr beschreibt?"


    Sie wusste welche Antwort sie selbst geben würde. Trotzdem wurde sie kurz still. Bilder und Gesprächsfetzen huschten vor ihrem geistigen Auge vorbei. Sie dachte über ihre Fragen nach und fasste sich an die Stirn. Sie fühlte sich plötzlich einen halben Schritt zurückgeworfen.


    "Ich folge nicht der Schöpfung. Ich folge den Schöpfern. Leider hat sich einer von ihnen an den anderen versündigt und wurde aus ihrer Mitte ausgestoßen. Er verdient im Moment keine Gefolgschaft. Doch ich bete jeden Tag für seine Rückkehr. Ebenso wie für die Rückkehr aller Brüder und Schwestern, die wie Balachiel auf blinden Pfaden wandeln."

    "Ein reinigendes Feuer in einem Wald?"


    Sie war verwirrt. Wenn sie an Waldbrände dachte, blieb nichts weiter übrig als tote Planzen, heimatlose Tiere, Asche und die Furcht der Menschen vor einer unberechenbaren Naturgewalt.
    Fragend schaute sie Kahina an.

    "Ich ehre Balachiel als einen der Schöpfer, denn ohne ihn - das weiß ich - wäre die Schöpfung nicht komplett. Aber ich folge ihm nicht. Das werde ich erst bedingungslos, wenn er in die Reihen seiner Brüder zurückgekehrt ist und seinen Irrtum erkannt hat. Ihr habt Recht, er ist eine Mahngestalt, kein Vorbild, denn noch ist er nicht zurückgekehrt."

    "Du hast einen Garten?"


    Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie war erstaunt. Und ein klein wenig neidisch.


    "Ich bin Priesterin. Es ist meine Aufgabe, an das Wohl meiner Schwestern und Brüder zu denken. Ich tue das gerne."


    Sie setzte ein ehrliches Lächeln auf. Es war selbstverständlich an den Orden und die Seraphim-Gläubigen zu denken.
    Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Becher und blickte neugierig auf den Schreibtisch.


    "Und was macht deine Arbeit?"

    "Frieden und Gerechtigkeit sind weite Felder. Es wird entweder sehr schwer oder sehr leicht sein Euch diesbezüglich am Ende zufriedengestellt zu wissen."


    Nach seinem zweiten Kommentar horchte die Priesterin auf.

    "Euch ist vergeben worden und jetzt seht Ihr Euch in der Pflicht, diese Vergebung zu verdienen. Aus welchem Grund meint Ihr, ist Euch vergeben worden?"

    Dormen dachte einen Moment nach. Sie suchte nach einem Bild, dass ihre Sicht auf die Dinge verdeutlichen konnte. Es schien schwierig, Beständigkeit und Wandel zu vereinen, aber es war möglich.
    Suchend ließ sie ihren Blick umherschweifen. Irgendwo in der Stadt musste sich ein passendes Bild finden lassen. Dann hielt sie inne.


    „Vielleicht ist ein Baum ein passendes Beispiel. Während sich die Krone verändert und sich den Jahreszeiten unterwirft, während neue Blüten kommen und alte Blätter absterben, während neue Zweige wachsen und selbst der Stamm hin und wieder von Ungeziefer angefallen wird, bleiben die Wurzeln beharrlich bestehen und versorgen den Baum, mit dem, was er braucht... Wenn die Wurzel stirbt, stirbt auch der Baum.“


    Sie kratzte sich am Kopf und wirkte einen Moment unentschlossen. Sie ärgerte sich über sich, denn sie wollte, dass Kahina sie verstand.


    „Ich fürchte, meine Bildsprache ist heute nicht die beste...“


    Sie seufzte. An ihren Bildern musste sie noch arbeiten.

    „Die Schöpfung ist ein Produkt von sieben Engeln. Als Schöpfer sind sie alle gleichwertig und keiner steht über dem anderen. Wenn ich von der Schöpfung spreche, ist es richtig von den Sieben zu sprechen, denn auch Balachiel hat seinen notwendigen Teil dazu beigetragen.“


    Sie räusperte sich.

    „Es kommt mir allerdings falsch vor zu sagen, ich würde auch Balachiel, der sich über seine Brüder erheben wollte und verbannt wurde, folgen, denn das würde bedeuten, auch seiner Blindheit und seinem Hochmut zu folgen. Erkennt er aber irgendwann seinen Fehler und kehrt in die Reihen seiner Brüder zurück, werden die Sechs ihm verzeihen und die Sieben werden wieder vollständig sein.“


    Sie schaute Kahina an und wartete einen Moment. Sie hoffte, dass ihre Worte verständlich waren.

    "Der Ratschlag, aus dem Leben das zu machen, was uns gefällt, ist schwierig umzusetzen, da es immer auch Komponenten gibt, die unseren Wünschen entgegenlaufen und gegen die wir nichts tun können.
    Aber ja, im Grunde habt Ihr recht. Den Kinderschuhen sind wir entwachsen und es liegt an uns, für die Welt zu streiten, die wir uns wünschen."


    Sie hielt einen Moment inne.


    "Wofür streitet Ihr?"

    "Ich weiche nicht aus. Diese drei Bereiche nehmen im Moment mein Denken komplett ein und ich habe Mühe bei allen Gefühlen, die auf mich einregnen, immer einen klaren Kopf zu behalten."


    Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf. Für einen Augenblick starrte sie nach unten. Dann schüttelte sie sich leicht und sah wieder auf.


    "Ich halte es für besser, im Moment in Yunalesc zu sein, bis sich die Gemüter beruhigt haben. Ich glaube, dass ich in der Kapelle von größerem Nutzen sein kann, wenn ich diejenigen auffange, die den Beistand der Engel nötig haben.
    Aber ich werde Khalil schreiben. Er sagte mir, er würde am Fest der Einigkeit teilnehmen wollen und sich deshalb ohnehin auf den Weg nach Yunalesc machen. Vielleicht schaffe ich es ihn bis dahin von meiner Idee in Kenntnis zu setzen."

    Die Priesterin war bemüht einen Anfang zu finden. Sie versuchte sich von den Geschehnissen zu distanzieren und ihre eigenen Gedanken zu verdrängen.


    "Ich möchte, dass Ihr über etwas nachdenkt:
    Wenn ein Junge klein ist, sind die Eltern stets neben ihm und sorgen dafür, dass ihm nichts Böses geschieht. Und wenn er weint, kommen sie und nehmen ihn in ihre Arme. Doch die Zeit schreitet voran und der Junge wird älter. Irgendwann steht ein Mann da, wo zuvor das Kind gewesen ist. Und die Eltern sehen, dass die Zeit der grenzenlosen Pflege ein Ende finden und sich das Kind selbständig im Leben bewähren muss.
    Sie können weiter Leitsterne sein, Orientierungspunkte, Anker. Aber es ist nicht mehr ihre Aufgabe, dem Kind Kissen vor die Füße zu werfen, um zu verhindern, dass es auf spitze Steine tritt."


    Sie dachte einen Moment nach und kniff die Augen zusammen.


    "Denkt Ihr nicht auch, dass es mit den Sechsen und ihrer Schöpfung ähnlich ist wie mit den Eltern und ihrem Kind?"

    "Wie geht es Euch und was beschäftigt Euch?",


    fragte eine Stimme, die Solomon bekannt vorkam.
    Es gab viel zutun in der letzten Zeit. Die Tage verflogen und die Fragen wurden nicht weniger.
    Umso wichtiger schien es, schnell zu reagieren. Wo eine Frage war, sollten Antworten gegeben werden.

    „Wenn Ihr im Sinne der Seraphim und Ihrer Schöpfung handelt, seid ihr uns hier eine große Hilfe.“


    Sie hoffte, diesen einen Zweifel in Kahina beiseite geschoben zu haben. Sie würde eine Hilfe sein - sie war es bereits in Steinbrück gewesen - und würde Hilfe bekommen, wenn sie sie nötig haben sollte. Das war gewiss.


    „Es ist wichtig zu wissen, dass man nicht allein ist. Wer allein ist, der fürchtet sich vor vielem und misstraut der Welt. Selbst die Leute, die es gut mit einem meinen, sind dann nur noch fremde Gesichter, zu denen man jeden Bezug verliert. Ich bin überzeugt, wer einsam ist, wird böse.“


    Vertrauen in eine Gemeinschaft war wichtig, wenn man hier überleben wollte. Doch auch das Vertrauen in bekannte Dinge und Handlungen konnte Kraft geben. Dormen warf einen Seitenblick auf die Kapelle und tat einen Schritt darauf zu.


    „Was mir Kraft gibt... Ich versuche meine Stärke aus mir selbst zu ziehen, aber es gelingt nicht immer. Dann fühle ich mich unsicher und suche Kontakt zu unseren Engeln. Wenn es mir nicht gut geht, verbringe ich die meiste Zeit hier.“


    Sie wies auf die Kapelle.


    „Was mir Kraft gibt ist das Altbekannte, die festen Mauern in einer schwankenden Zeit. Die Engel sind für mich die Beständigkeit in einer Welt, die sich verändert. Ein Halt, ein Anker, ohne den ich den Boden unter den Füßen verlieren würde.“


    Sie blinzelte. Kahinas Worte zu den Elementen konnte sie bestätigen.


    „Ich diene den Seraphim und ehre ihre Schöpfung. Und da die Elemente ein Teil ihrer Schöpfung sind, ehre ich auch sie im höchsten Maße, das mir möglich ist.“

    Dormen sah auf das Buch herab, und öffnete es vorsichtig. Sie las willkürlich ein paar Zeilen, verstand aber den Zusammenhang nicht richtig und klappte es wieder zu.


    "Dinge, die uns nicht gut tun, sind Ballast, den wir abstreifen sollten. Er lähmt uns."


    Sie dachte kurz nach und warf einen Blick auf die Kapelle.


    "Die Schwingen der Großen Sechs breiten ihre Flügel schützend über allen aus, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Ich hoffe, dass Ihr Euch hier wohler fühlen werdet."


    Sie drehte sich wieder Kahina zu und schaute sie offen an.


    "Erzählt mir ein wenig von den Dingen, die Euch Kraft geben. Erzählt mir etwas von den Elementen, wie Ihr sie kennengelernt habt."

    Die letzten Tage in Yunalesc waren hektisch und laut gewesen.
    Die Welt veränderte sich. Neue Winde fegten durch die Straßen. Dormen schauderte, obwohl ihr nicht kalt war. Sie strich das Bild des Engels auf ihrem Rock glatt, als sie die Kapelle an diesem Nachmittag erreichte. Das Tor war unverschlossen und stand offen für alle, die die Nähe der Heiligen Sechs suchen wollten.


    Dormen sah sich um, bevor sie die Kapelle betrat und bemerkte unweit die Halbelfe, die von Steinbrück aus mit nach Yunalesc gereist war.
    Sie ging unbemerkt auf sie zu und griff nach dem Schriftstück, das Kahina fortgeworfen hatte. Sie strich den Staub weg und besah es sich einen Moment, bevor sie aufblickte.


    "Warum seid Ihr so wütend auf das Bevier, Kahina?",


    fragte sie freundlich, während der Wind an ihnen vorüberwehte.

    Sie nahm noch einen Schluck und lehnte sich zurück. Sie lehnte den Kopf zurück, sah zur Decke und ließ sich einige Sekunden Zeit.


    "Meine Gedanken kreisen um mehrere Dinge. Einige betreffen den Orden, andere das Land und die Elemente, andere mich persönlich. Alles gemeinsam fühlt sich gerade kompliziert an."


    Sie vermutete, dass ihre Antwort kürzer war, als er erhofft hatte. Sie hielt ihre Worte vage. Vermutlich fiel es ihr schwer, ihren Blick auf ein einziges Thema zu fixieren.


    "Ich beschreite gerade einen Weg, den ich gerne beschreite. Ich glaube, der Weg wird mir gut tun."

    "Ich komme damit zu dir, weil ich diese Falkenzucht für eine Bereicherung für das Protektorat halte. Und da ich ohnehin gerade hier bin... Nun ja, sie könnten die Boten unterstützen oder ersetzen, wenn es darum geht, Nachrichten zu überbringen. Bei den Naldar wird diese Form des Briefaustausches häufig verwendet und ich halte sie für überaus hilfreich. Sie sind sehr schnell und zuverlässig, wenn man weiß wie man mit ihnen umzugehen hat. Außerdem sind sie unauffällig und können sicherlich schwerer abgefangen werden als gewöhnliche Boten."


    Sie wirkte motiviert und hoffte, ihr Vorschlag würde in Davions Ohren nicht zu absurd klingen.


    "Khalil Belat von den Naldar hat mich auf die Idee gebracht und ich bin mir sicher, dass er mir viel Nützliches zeigen und erklären kann."


    An Kimberley hatte sie ebenfalls bereits gedacht. Leider wusste sie nicht, wo sie sie finden konnte.


    "Mit Schwester Kimberley werde ich deswegen sprechen, wenn ich sie wiedersehe. Wahrscheinlich kreisen die Gedanken der Seraphim momentan vor allem um andere Dinge."


    Sie spielte auf die Ereignisse in Steinbrück an und geriet für einen Moment ins Grübeln.

    "Zum Einen wollte ich mich bedanken für die Unterstützung, die du angeboten hast. Darüber freue ich mich. Ich befinde mich auf dem Weg und werde ankommen."


    Sie nahm den Becher dankend an und trank einen Schluck.


    "Ich habe außerdem noch eine Bitte. Ich hatte vor, zu einem späteren Zeitpunkt anzufragen, aber da ich ohnehin hier bin, würde ich, wenn du erlaubst, heute schon darum bitten."

    Dormen hatte Davions Brief erhalten und eine kurze Antwort geschickt. Jetzt, nachdem seit ihrer Rückkehr einige Stunden vergangen waren, kam sie dem Aufruf nach, das Gespräch aus Steinbrück fortzusetzen.


    Außerdem hatte sie noch eine weitere Bitte, die sie ansprechen wollte.


    Von einem Wachgardisten erfuhr sie, dass Davion gerade in einer Unterredung, und sie beschloss im Gang zu warten, bis sich der Besuch verabschiedet hatte.


    Nachdem sie eine Weile im Gang umhergeschlendert war, klopfte sie.

    Dormen kramte in ihren mitgebrachten Habseligkeiten. Sie räumte sie von einer Seite zur anderen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
    Das oft angesprochene Wort Vertrauen kam ihr nun unglaublich wichtig vor. Es kam und sie sträubte sich nicht vor dem Wunsch, es auszubauen.
    Sie fühlte sich nervös, aber nicht allein. Es war jetzt wichtig, gemeinsam zu handeln und miteinander zu sprechen. Der Orden brauchte Halt und Trost und aufrechte Worte. Sie wollte zurück nach Yunalesc.