• "Ich -" Ihre Hand wanderte langsam zu ihrem Gesicht, berührte den Schlamm und betrachtete ihn verwundert. Eine Sekunde später zuckte sie zusammen und schien aus ihrer Trance gerissen zu sein. Schnell wischte sie den Dreck an ihrer Leinenhose ab und blickte rasch wieder zu den immer noch vor ihr sitzenden Menschen. "Ich denke, ein wenig Tee wäre nicht das Schlechteste in dieser Situation."


    Ein kleines Lächeln wand sich seinen Weg auf ihre Lippen, welches zugleich nicht nur Freude über das Angebot, aber auch Unsicherheit und eine unbestimmte, tiefe Traurigkeit ausstrahlte. Sie setzte sich in einer einzigen, nahtlosen Bewegung zwischen Vitus und Svala, welche ihr sofort einen Becher mit warmen, noch dampfenden Tee gab. Einen Schluck später war ihr Körper mit einem Gefühl erfüllt, welches sie schon lange nicht mehr gespürt hatte: Geborgenheit.


    "Mein Name ist Zoya. Ich -" Ihre Stimme brach ab und sie nahm einen weiteren Schluck Tee, während sie versuchte sich selbst, ihre Gedanken und Gefühle irgendwie zu ordnen. "Ich komme von weit her. Seit vielen Tagen befinde ich mich nun schon auf Reisen. Wie viele vermag ich nicht mehr zu sagen."


    Die Tränen, die vor wenigen Minuten noch verschwanden, kamen nun wieder hervor und diesmal konnte sie sie nicht mehr aufhalten, als sie sich an all das erinnerte, was sie gesehen und verloren hatte. Wütend wischte sie sie weg und leerte ihren Tee in einem einzigen Zug.


    "Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft. Aber ich möchte sie nicht länger belasten. Eine Gute Reise und möget Ihr finden, wonach Ihr sucht."

  • Vitus wollte Zoya gerade etwas Tee nachgießen als er durch ihren Sinneswandel unterbrochen wurde.
    "Bleibt doch noch - oder kommt mit uns?"
    Er räusperte sich.
    Er hatte Zoya begutachtet und merkte, dass sie anscheinend schon seit Tagen im Wald lebte.
    "Ich wohne momentan in einer Herberge in Paolos Trutz. Und ich denke es wäre sicher auch noch ein Zimmer für euch dort frei. Von hier sind es vielleicht 15 oder auch 20 Augenblicke bis in die Stadt."
    Vitus sah Zoya an und zögerte.
    "Wenn...wenn ihr kein Geld habt könnte ich euch auch wenigstens eine Nacht bezahlen.."
    Vitus nahm ein Stück Brot und hielt es Zoya mit einem lächeln entgegen.
    "Etwas Brot? Oder noch einen Schluck Tee?"

  • "Ein wenig Brot, wenn es Euch nichts ausmacht." Diesmal war ihr Lächeln frei von jeder Trauer vergangener Tage oder Zweifel, ob dies wirklich das war, was sie tun sollte. Sie nahm das Brot dankend entgegen und nach dem ersten Bissen schien es ihr schon gleich um einiges besser zu gehen.


    Die vergangen Wochen hatte sie nicht mehr in einem richtigen Haus oder außerhalb des Waldes geschlafen und hatte sich mit nichts anderem als Wasser, gelegentlich Beeren, die sie fand und altem, trockenem Brot ernährt, doch auch dieser Vorrat hatte sich rasch minimiert. Ihr Rücken schmerzte auch immer öfters und sie sehnte sich sehr danach, wieder ein richtiges Bad zu nahmen und sich nicht notdürftig im kalten Wasser des Flusses zu waschen.


    "Euer Angebot, mich euch anzuschließen, ist wirklich mehr als verlockend, Bruder Vitus. Aber ich vermeide menschliche Gesellschaft nun schon seit langer Zeit und habe auch ein wenig Angst davor, wenn ich ehrlich bin."


    Sie atmete tief ein und aus, während sie versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass dies das Richtige war. Am Geld lag es nicht, hatte sie doch einiges von ihren Eltern geerbt. Aber diese Angst, diese unglaubliche, unbeschreibliche Angst davor, dass sie sich wieder einem Menschen anvertrauen würde, eine Beziehung aufbauen würde, nur damit dann - in nur einem winzigen Augenblick - alles wieder zerstört würde.


    "Aber Ängste sind immerhin da, um überwunden zu werden." Ein weiteres, ehrliches Lächeln. "Seid Ihr auch mit von der Partie, Svala?"

  • "Wenn Ihr so fragt... mitnichten."
    Sie wartete ab, bis sie genug von Zoyas verdutztem Gesicht hatte und fuhr fort.
    "Ich bitte darum, nimm uns beide als Vertraute wahr und reiße von Anfang an diese unnötige Mauer der Höflichkeit ein, die es unsereins schwer macht, weiteres Vertrauen auf solch einem Fundament aufzubauen. Wärest du damit einverstanden?"
    Vorsichtig streckte Svala ihr die Hand entgegen und hoffte insgeheim, dass ihre verdammte Direktheit, mit der sie allzuoft noch frischen Bekanntschaften begegnete, die neue Gefährtin nicht verschreckt hatte.

  • Zoya nahm die ihr entgegengestreckte Hand und drückte sie sanft. Solange die beiden ihre Wärme und Offenheit nicht nur vortäuschten, brauchte sie nichts von ihnen zu befürchten. Diese Erkenntnis nahm eine unglaublich Last von ihren Schultern und ihr Körper entspannte sich merklich.


    "Nun, wenn Ihr... Wenn du es so siehst, dann natürlich, werde ich die Höflichkeit weglassen. Aber bitte, wundert euch nicht, falls ich mich euch nun anschließe und eines Morgens nicht mehr da sein werde." Sie atmete tief ein und aus, nahm wieder ihren Anhänger in ihre Hände und blickte in das sich vor ihr ausstreckende nichts.


    "Wonach ich suche... Ich vermag nicht zu sagen, wo es sich befindet. Vielleicht wird es mir morgen begegnen, vielleicht erst in zwanzig Jahren. Aber wenn ich es gefunden habe -" Ein weiterer tiefer Atemzug. "Dann kann ich nicht mehr bei euch bleiben. Es gibt Aufgaben, die mir gestellt wurden, die ich überwinden muss. Koste es, was es wolle."


    Der Anhänger wanderte unter ihren Umhang und sie verbarg für eine Momente ihr Gesicht in ihren Händen. Als sie sich wieder beruhigt zu haben schien, blickte sie wieder auf, ihre Augen durchdrungen von Unsicherheit.


    "Nun denn, ich denke, es wäre an der Zeit, dass wir uns besser kennen lernten. Falls ihr noch irgendwelche Fragen habt, solltet ihr sie jetzt stellen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch in der Lage sehe, wahrheitsgemäß zu antworten. Menschen tendieren dazu, mich zu meiden, sobald sie wissen wer ich wirklich bin."

  • "Ich habe da einen riesen Haufen Fragen. Du musst wissen, dass ich sehr neugierig bin."
    Vitus grinste.
    "Doch möchte ich dich jetzt nicht Fragen überschütten.
    Wir sollten uns langsam auf den Weg machen.
    Wir haben zwar alchemische Lichter aber wir wollen es ja nicht darauf anlegen uns im Wald zu verlaufen nicht wahr?"
    Vitus öffnete seine Tasche.
    Aus der Tasche leuchtete es grünlich.
    "Oh seht mal her! Die Pilze die wir vorhin gefunden haben leuchten wieder."
    Vitus nahm ein paar der Pilze aus dem Lederumschlag und begutachtete sie.
    Sein Gesicht wurde von dem Pilz welchen er sich direkt vor die Augen hielt sodass er schon schielen musste um ihn ansehen zu können beleuchtet.
    "Interessant."
    Vitus steckte den Pilz weg und holte stattdessen ein kleines Fläschchen mit einem Lederumschlag um den Hals hervor.
    Er öffnete es und steckte ein Stück holzähnliches Material hinein.
    Auf einmal fing die Flüssigkeit in dem Fläschen unglaublich hell an zu leuchten.
    Die gesamte Lichtung auf der sie saßen fand sich in einem blau-weißen Licht wieder.
    Vitus schüttelte das Fläschchen vorsichtig, hing es sich an einen Gurt der um seinen Hals lief und stand auf.
    "Lasst uns gehen."
    Vitus streckte seine Hand in Richtung der noch Sitzenden aus um ihnen hochzuhelfen.

  • Verwundert betrachtete Zoya für einige Sekunden lang das völlig aus dem Nichts erschienene Licht, bevor sie die ihr angebotene Hand ergriff und sich aufrichtete.


    "Solange ihr mich dabei habt, würdet ihr euch so oder so nicht verlaufen. Alles, was man braucht, um sich bei Nacht im Wald zurecht zu finden ist ein gutes Gehör und scharfe Augen."


    Mit dem Zeigefinger tippte sie sich an die Schläfe und brachte ein kleines, fast zerbrechlich wirkendes Lachen hervor.


    "Aber du hast recht, wir sollten aufbrechen. Auch nach fünf Nächten, die ich in diesem Wald verbracht habe, vermag ich nicht zu sagen, welche Gefahren er birgt."


    Wie auf Kommando konnten die drei Reisenden aus nicht allzu weiter Entfernung ein Knacken und Rascheln im Unterholz hören. Beunruhigt legte Zoya eine Hand an ihren Dolch, schüttelte jedoch nur kurz den Kopf und wand sich wieder den anderen zu.


    "Lasst uns gehen!"

  • Mit einer Spur von Neid in den Augen wandte Svala den Blick von Vitus' unheimlich strahlenden Licht ab.


    "Das ist in Ordnung."
    Zoya hatte ihr praktisch die Worte aus dem Mund genommen. Da diese jedoch vermutlich die Nacht mit Vitus in der Gaststätte verbringen würde, entschied sie sich, den Weg durch die langsam herankriechende Nacht alleine zurückzulegen und sie wie ehedem in ihrem eigenen kleinen Zimmer im Keller der schmalsten Hauses der Stadt zu verbringen, in dem ihre Verwandten derzeit zu Hause waren. Sie war es gewohnt, sich die Nächte allein um die Ohren zu schlagen und in der Hoffnung, die ersten Sterne noch aufgehen zu sehen, schickte sie sich an, sich von ihren neuen Bekanntschaften zu verabschieden.


    "Ich wünsche euch beiden eine erholsame Nacht. Zoya, hörst du? Du scheinst nicht sehr epicht auf eine innigere Verabschiedung als dies, recht so?" Svala trat demonstrativ einen Schritt zurück und winkte ihr mit ihrem Taschentuch, dass sie bei der Gelegenheit das nächste Mal gründlicher reinigen sollte, bevor sie anderen damit entgegenwedelte. "Oh und Vitus, vergiss morgen nicht deine Manuskripte. Ich will nocheinmal betonen, dass ich darauf bestehe, sie zu sichtigen. Wir setzen unsere Wege in gegebener Konstellation weiter fort, nehme ich an? Wohldem, das ist ja allerhand. Bis morgen also, in alter Frische. Bei Sonnenaufgang findet ihr mich wohl am Fluss."


    Und so verschwand Svala rasch und geräuschlos im Dickicht des nun schon ziemlich finsteren Waldstücks und nach einer durchweg ereignislosen Reise durch die sternenlose Nacht und die von Branntweingeruch und Feuerschein geschwängerte Luft der schlafenden Stadt, fiel sie schließlich in einen traumlosen, tiefen Schlaf.

  • Vitus wollte ihr gerade noch nachrufen ob sie Licht hätte und, dass er sie morgen am Fluss treffen würde doch Svala war schon außer Hörreichweite.
    "Nun gut.. Sie ist immer ein wenig stürmisch - so habe ich jedenfalls den Eindruck.
    Wir kennen uns auch noch nicht lange musst du wissen."
    Vitus nahm die letzten auf dem Boden liegenden Sachen und verstaute sie in den unzähligen Taschen die er sich mittlerweile um den Körper gehängt hatte.
    "Lass uns gehen. Licht?"
    Vitus streckte Zoya ein kleines Fläschchen entgegen.
    Auf ihren fragenden Blick entgegnete Vitus: "Brauchst du nur schütteln."

  • "Danke, aber ich kann gut und gerne auch selbst denken."


    Ihre Stimme war gereizt, hatte sie sich ihrer Gemütslage doch ohne weiteres anpassen können. Der plötzliche - nicht grade herzliche - Abschied von Svala hatte sie mehr verunsichert als sie es zugeben wollte.


    "Und ich brauche dein Licht nicht, ich vertraue lieber auf mich selbst als auf irgendwelche alchemischen Hilfsmittel. Die Naturwissenschaften haben die Eigenschaft die Dinge, die es zu verhindern gilt, geschehen zu lassen."


    Schnellen Schrittes lief sie Vitus voraus in die Dunkelheit, nicht wissend ob dies nun der richtige Weg war oder nicht. Aber es geht immer weiter, irgendwie.

  • Vitus blieb kurze Zeit etwas geschockt durch Zoyas Äußerung stehen und schüttelte den Kopf.
    Er nahm sein großes helles alchemisches Licht, schüttelte es, worauf es wieder hell wie am Anfang wurde und folgte mit etwas Abstand der fast schon rennenden Zoya.
    Er war erstaunt wie gut Zoya es schaffte ohne Licht nicht ständig zu stolpern.



    Nach gut 30 Augenblicken erreichten sie die Stadt.


    Wärend dieser Zeit tauschten sie jedoch kein Wort.

  • Weit nach Mitte der Nacht drehte Svala sich in ihrem Bett auf die andere Seite. Die Decke knisterte, es war dunkel und während dieser nächtlichen Bewegung atmete sie lautstark ein. Irgendwo draußen auf der Straße hörte man das Miauen einer streunenden Katze - sonst herrschte geruhsame Stille in der Stadt.

  • Als Zoya und Vitus letztlich vor der Taverne standen, vor der Vitus noch im Wald gesprochen hatte, war sie es leid, sich von ihm anschweigen zu lassen.


    "Es ist nichts gegen dich, Vitus. Du magst deine Naturwissenschaften lieben wie eine Religion, aber respektiere, dass ich nicht daran zu glauben vermag. Ihr komprimiert all die Wunder dieser Welt auf Formeln und Abkürzungen und sobald eine Frage beantwortet wurde, stellt sich die nächste. Aber wo bleibt der Beweis, dass all diese Überlegungen richtig sind? Vielleicht sind sie in sich geschlossen, aber das sind viele Dinge."


    Das Atmen wurde wieder etwas schwerer und wieder einmal pressten sich ihre Rippen schmerzhaft gegen ihre Lungen. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Seite, sie atmete scharf ein und wie durch Reflex fuhr ihre Hand zu ihrer Kette.


    "Danke, dass du mich hergebracht hast und gewillt bist, deine Zeit mit mir zu verbringen. Ich hoffe nur, dass du verstehst, das ich zwar hoffe, dass all die Dinge, die die Naturwissenschafetn auflösten, richtig sind, aber glauben kann ich daran nicht."


    'Man kann an nichts wirklich glauben, außer an den Tod, die einzige Konstante die für alle Lebewesen gleich zu sein scheint', dachte sie. Sie warf einen letzten Blick auf den noch immer stummen Vitus, bevor sie sich umwandte und die Taverne betrat.

  • Vitus fasste wieder Wort.
    "Nun Zoya - wie ihr meinem Namen schon entnehmen könnt war - oder bin ich nicht nur der Wissenschaft verfallen.
    Sicher - sie ist das woran ich mich mittlerweile halte und wofür ich zu Leben versuche.
    Doch bis vor kurzer Zeit war ich Ceride.
    Ich lebte 15 Jahre meines Lebens in einem Kloster.
    Ich lernte mit und für den Eynen zu leben.
    Ich hatte in dieser Zeit keinen Zweifel am Leben - alles war nunmal der Plan den der Eyne für jeden Einzelnen entwickelt hat.
    Doch dann - ich kann hierbei nicht unbedingt von Glück reden - verlor ich meinen Glauben und alles was ich für diesen emfpand bei einem Ritual.
    Seit dem entdecke ich die Welt neu für mich.
    Und ich lernte zu Zweifeln.
    So führte mich der Weg zur Wissenschaft - zum Denken."


    Vitus holte tief Luft.
    "Aber genug geredet für heute."
    Vitus grinste.
    "Lass uns schlafen gehen - morgen ist wieder ein langer schöner Tag und ich will Svala aufsuchen um mit ihr einige Aufzeichnungen auszutauschen."


    Vitus stieß die Tür für Zoya auf - "Nach dir!" - doch sie wollte nicht vorgehen. Vitus hüpfte also selbst schnell hindurch.