[Verlorene Söhne] 1.Kapitel: Im Rothhorn

  • Im Schatten der mächtigen äußeren Ringmauer der Stadt, wo die Straßen Torkelgasse und Brechgosse sich treffen, steht die Taverne Rothhorn.
    Seinen Namen erhielt die Schänke zu der Zeit da noch ein großes Horn eines der in Exilia heimischen Rothé über dem Eingang befestigt war. Im laufe der Jahre war dies jedoch abhanden gekommen. Die Leute sagten sich es sei während einer der üblichen Kneipenschlägereien zu Bruch gegangen, Einige behaupteten ein Trunkenbold habe es gestohlen und sei damit über die Klippe getorkelt, wiederum Andere munkelten es habe nie ein solches Horn gegeben und falls doch dann sei es sicherlich kein Rothhorn gewesen. Fakt war jedoch, dass das Horn (oder was auch immer vorher über dem Eingang gehingen hatte) durch einen ausgestopften Rothkopf ersetzt worden war – an dem auch zwei Hörner prangten.


    Das Rothhorn bot all das, was dem Gasthaus Zum Grünen Graben fehlte: Stickige Luft, abgestandenes Bier, laute Musik, leichte Mädchen und raufwütige Trunkenbolde … kurzum: Ein Sammelpunkt frivolen Lebens in seiner ganzen Vielfalt von Freude und Abscheulichkeit.
    Hier trafen sich Abends die einfachen Exilanten, ob Handwerker oder Fischer, Taugenichts oder Bückling (Tagelöhner), um den Tag voll harter Arbeit zu vergessen und gemütlich beisammen zu sitzen. Die „Spezialität der Hauses“ nannte sich Gutes von Gestern. Dabei handelte es sich um die, in einem Fass gesammelten, Reste aus den Krügen der vor-täglichen Gäste. Das Getränk schmeckte nicht gut, mit der Zeit verlor es jedoch seine Schrecken und tat seine Wirkung. Auch das Essen ließ zu Wünschen übrig: Nicht selten fand man Haare oder gar Fingernägel in den hier servierten Speisen.
    Der Wirt, gleichzeitig Zunftmeister der Handelnden Zünfte, Hetzbold van Grimmich erinnerte an eine außerordentlich hässlichen Mischung aus Goblin, Hauself und Mensch. Er pflegte einen Hang zu Betrügereien und Unwahrheiten und war ausnahmslos schlecht gelaunt.
    Feinere Herren oder gar Würdenträger des Protektorats suchte man hier vergebens. Auch wenn es dem ceridischen Mönch sicherlich ein Dorn im Auge gewesen sein musste, so war unter Valentins Herrschaft die zwielichtige Schänke, wenn auch widerwillig, geduldet worden. Sein Ruf, ein Hort der Untugend zu sein, hatte die Gäste offensichtlich nicht vergrault. Im Gegenteil.


    Lodernd brannte ein Feuer im Kamin und erfüllte den großen Schankraum mit stickiger Wärme. Exilanten saßen beisammen und tranken Gutes von Gestern. Es wurde viel geredet und gelacht. Einige Tische waren noch frei.
    Hinter der Theke stand van Grimmich und schaute, wie immer, schlecht-gelaunt drein.