[in der Großen Halle] Amtsräume II

  • Die Stürme des Winters waren vorüber, eisige Winde waren Frühjahrsgewittern gewichen. Ein sanftes Grau verhüllte den Himmel, am Horizont kündigte sich bereits der nächste Schauer an. Das rastlose Meer trieb gemächlich dahin und rollte mit gleichbleibenden Rhythmus gegen die Klippen.


    Valentin, der Protektor Exilias, stand am Fenster seiner Amtsstube und blickte auf dieses Treiben weit unterhalb der Siedlung. Er war in Gedanken versunken.


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    Etwa zur gleichen Zeit eilten zwei Bedienstete, in grün gekleidet, die Gänge der Großen Halle entlang und hinaus über die breiten steinernen Stufen des Eingangsportals in Richtung des Marktes davon. Beide Burschen trugen die gleiche Botschaft mit sich: Der Empfänger möge sich unverzüglich in den Amtsräumen des Protektors einfinden.
    Geschwind eilten die Boten durch die Straßen und Gassen der Stadt und es dauerte nicht lange bis der jeweilige Empfänger gefunden war: Galwine Camdagnir, seines Zeichens Verwalter des Protektorats Exilia und Bruder Vitus, der Ordensbruder des Protektors.

  • Vitus war in der Krankenstube und behandelte den Sohn des Dachdeckers Olfus. Er hatte sich bei der Arbeit einen Splitter tief in den Fuß getrieben als er von einer Leiter gesprungen war.
    Vitus hatte den Splitter bereits gezogen und die Wunde mit einem ganzen Arsenal von Heilsalben versorgt und war gerade damit beschäftigt die letzten Runden Bandage um den Fuß zu wickeln als er vom Flur eilige Schritte hörte.
    Es klopfte an der Tür und einer der Boten trat auf ein fröhliches, aus einem Atemzug kommende "Hereinspaziert! Dem einen zum Gruße, wie kann ich euch helfen?" in den Behandlungsraum und überbrachte, leicht außer Atem, Vitus die Botschaft.
    Dieser fixierte den Verband, verließ mit dem Verarzteten die Krankenstube und folgte dem Boten.

  • Es verging eine kurze Weile, ehe der Bote, der zu Galwine Camdagnir geschickt worden war, den Empfänger seiner Nachricht fand. Zuerst hatte er in den Gemächern im Ostflügel der großen Halle, die der Verwalter für gewöhnlich nutzte, um dem schriftlichen Teil seiner vielfältigen Aufgaben nachzugehen, nach ihm gesucht und war dann ins Prinzipal gelaufen. Vor den Stallungen bog er in die Schmiedegasse ein, kreuzte die Sturmtreppe und erklomm schließlich die Hohe Stiege, bis er das vorletzte Haus auf der rechten Seite erreichte. Vom allgegenwärtigen Wind abgesehen, war es still in der Straße und als er durch Zug an einem Seil, das neben der Tür an der Wand hing, im Inneren der Privaträume des Verwalters den melodischen Klang einer kleinen Glocke im Inneren hervorrief, war er versucht, sich bei der leeren Straße für die Ruhestörung zu entschuldigen. Doch obwohl er sich entschloss, ein weiteres Mal zu läuten, fand er Galwine nicht. Schließlich wandte er sich um und lief eilig zurück in Richtung des großen Marktes und der Hauptstraße, in der Hoffnung, dort in Erfahrung bringen zu können, wo sich der Verwalter im Moment aufhielt. Er hoffte innständig, nicht zu den unterirdischen Feldern oder gar zum Hafen hinabsteigen zu müssen, um ihn zu finden- das hätte die Erfüllung seines Auftrags empfindlich verzögert.
    Doch als er den Exerzierplatz passiert hatte, lief er in eine kleine Traube einfach gekleideter Exilanten, die sich um einen hochgewachsenen Mann und eine gehörnte Frau mit strengem Blick geschart hatten. Er hatte ihn gefunden.
    Galwine nahm gerade ein Dokument entgegen, das ihm Av'Sha reichte, warf einen Blick darauf, um sich zu vergewissern, dass es enthielt, was er erwartete und reichte es dem Vorarbeiter der flexiblen Arbeitskräfte, die sich hier versammelt hatten, um ausgestattet mit Nachrichten, Proviant, Werkzeugen und Baumaterial (hauptsächlich Steinen für den Bau von Fundamenten und die Befestigung des Brunnens) zu ihrem neuen Einsatzort aufzubrechen: Silvarode. Er hatte den Boten bald bemerkt, gab ihm zu verstehen, dass er ihm in wenigen Augenblicken sein Ohr leihen werde, und erteilte Anweisung zum Aufbruch. Die Flexiblen schulterten ihre Bündel oder packten die Deichseln leichter Wagen, auf denen sich Steine und Fässer stapelten und machten sich auf den Weg. Bald hatten sie den Markt überquert und waren hinter dem Gasthaus "Am Grünen Graben" verschwunden. Sie würden die Stadt über den Westbühl und das Tor des Westwindes verlassen.
    Inzwischen hatte sich Galwine die Botschaft angehört und sich, nachdem er Av'Sha mit ein paar Aufträgen ins Innere des großen Lagers geschickt hatte, auf den Weg gemacht. Er ging dem Boten voraus, lief über den Sturmhang, die Eingangsstufen hinauf, erwiderte nickend den Gruß der Wachhabenden am großen Tor und betrat die Große Halle. Dort wandte er sich nach rechts, ging die breite geschwungene Treppe hinauf, folgte dem sich anschließenden Gang und erreichte schließlich die Gemächer des Protektors.

  • Die eiligen Schritte hallten auf dem Steinfußboden der Großen Halle wieder und kündeten den Verwalter Galwine Camdagnir an, bevor man seine hochgewachsene Gestalt erblickte. Bruder Vitus war bereits eingetroffen und stand vor der schweren Tür, die zu der Amtsstube des Protektors führte. Ein Mann stand bei ihm, in grünem Gewand, ein Bediensteter der offensichtlich die Ankunft Beider erwartet hatte. Er neigte seinen Kopf zur Begrüßung "Seid gegrüßt Herr Verwalter.", er machte eine einladende Geste ihm zu folgen und schritt auf die Tür zu. "Der Protektor erwartet Euch." Geradezu zaghaft klopfte er an und drückte die anschließend die Klinke herunter, um die Tür zu öffnen.
    "Der Herr Verwalter Galwine Camdagnir und der Herr Medikus Bruder Vitus."


    Eine schlanke Gestalt stand am breiten Fenster der Amtsstube, von dem aus man eine herrliche Aussicht über das aufgewühlte Meer hat. Als die Beiden hereintraten löste sie sich aus ihrer gedankenverlorenen Haltung und drehte sich den Gästen zu. Es war der Protektor, Valentin aus Exilia. Er trug wie gewohnt seine Amtskleidung, die weißen Kniestrümpfe, grüne Hosen und die Weste über dem feinen weißen Hemd. Einzig an den Anblick des Hutes hatten sich Einige noch nicht gewöhnt: Das grün-weiße Barret hatte der Protektor am Valentinstag, dem Fest zu Ehren der Ernennung des zweiten Protektors Exilias, abgelegt und seinen neuen Hut präsentiert, welchen er fortan als Herrschaftsinsignie trug. Es handelte sich dabei um eine aufragende Kappe aus grünem Filz mit langen Schläfenteilen und einem Spruchband über der Stirn.
    "Bitte setzt Euch doch."
    Galwine, der hier täglich ein und aus ging um sich mit dem Protektor über die laufenden Geschäfte abzustimmen, waren die Amtsräume vertraut und auch Vitus war hier häufiger zu Gast um sich mit seinem Ordensbruder zu unterhalten. Valentin wies zu den Stühlen unmittelbar vor dem großen Schreibtisch, welcher in der Mitte des Raumes postiert war. Er selbst nahm auf dem hölzernen Stuhl dahinter Platz. Nach einer höflichen Begrüßung erkundigte er sich zunächst bei seinem Verwalter über den Fortschritt der Bauarbeiten der Holzfällerenklave, anschließend erbat er von seinem Bruder einen kurzen Bericht von der Krankenstube des Protektorats.

  • Galwine nahm während seines kurzen Berichts keine Rücksicht auf den Wissensstand, auf dem sich Bruder Vitus, die Pläne für den Ausbau Silvarodes betreffend, befinden mochte, da er annahm, aus dringlicheren Gründen hierher bestellt worden zu sein, als Bericht über seine tägliche Arbeit zu erstatten. Ohnehin hielt er den Protektor im Großen und Ganzen über die neusten Entwicklungen auf dem Laufenden. Wenn Vitus Fragen hatte, konnte er sie immernoch stellen.
    "Ich habe gerade 30 Flexible, Alois Winkelhuber und drei weitere Zimmerleute sowie die Familie Bluteich und mit ihnen eine beträchtliche Anzahl Güter und Werkzeuge auf den Weg nach Silvarode geschickt. Sie werden begleitet von zwei Larkkavalleristen und einer der beiden Soldaten, die Cubitor Gräfalk zum Schutz der neuen Siedlung dauerhaft dort stationieren will, befindet sich ebenfalls in dem Tross. Vor zwei Tagen habe ich bereits fünf Arbeiter vorausgeschickt, die unter der Anleitung von Berim Eisenbrech nach den Plänen von Meister Himmelszorn mit den Vorbereitungen begonnen haben. Damit werden, wenn die Sonne heute untergeht, alle Arbeiter, die ich für die Bauarbeiten vorgesehen habe, auf der Lichtung sein. Wir werden zunächst fünf einfache Langhäuser errichten und den vorhandenen Brunnen ausbauen. Geplant sind außerdem zwei zusätzliche Schuppen zur Aufbewahrung des geschlagenen Holzes und ein kleiner Stall. Das sind alles sehr einfache Bauwerke, die auch ungelernte Arbeitskräfte unter Anleitung errichten können, dennoch wird der Sommer weit fortgeschritten sein, ehe alle Arbeiten soweit abgeschlossen sind, dass die Siedlung auch im Winter dauerhaft bewohnt werden kann. Dennoch besteht kein Zweifel, dass danach noch viel getan werden muss, um dort Lebensbedingungen zu schaffen, die denen der Stadt Exilia zumindest nahekommen. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass die Siedlung Silvarode noch vor dem Sommerfeldzug ihren Namen verdienen wird.
    Berthold Bluteich im Übrigen- Ihr werdet ihn nicht kennen- war bis zu seiner Ankunft hier Jäger. Er kam dann zu den Flexiblen, nutzt jetzt aber mit Freuden die Möglichkeit, in Silvarode wieder seinem Handwerk nachzugehen. Seine Frau Klytaimnestra und ihre Tochter Silvya, die jetzt vielleicht zwei Jahre alt ist, sind heute mit ihm aufgebrochen.
    Ich erwarte die beiden Larkreiter und mit einem Bericht von Eisenbrech morgen zurück."
    Galwine sprach nüchtern die Fakten aus, die es zu berichten gab. Dass er hoffte, das Kind werde den Arbeitseifer der Frauen und Männer schüren, die ihm ein neues zu Hause errichten sollten und er Berthold und Klytaimnestra auch deswegen ermutigt hatte, schon jetzt dorthin zu ziehen, ließ er unerwähnt.
    Da er seinen Bericht beendet hatte, blickte er auffordernd zu Bruder Vitus hinüber.

    „Wenn Ihr es genau nehmen wollt: Man spricht es [ˈgal.vɪn]. Das e am Ende ist stumm.“ :exilia:

    Einmal editiert, zuletzt von Galwine ()

  • Vitus, der wärend Galwine sprach äußerst aufmerksam zugehört hatte, holte tief Luft.
    "In der Krankenstube ist alles wie gehabt. Ab und zu kleinere, nicht weiter dramatische Verletzungen von Arbeitern."
    Er blickte nachdenkend aus dem Fenster.
    "Doch ja - Vorgestern habe ich ein Bein schienen müssen. Eines der Rothe hatte ein Loch in einem Zaun etwas größer eingeschätzt und ist beim Versuch hindurch zu steigen hängen geblieben. Es ist jetzt aber wohl auf."
    Vitus lachte lautlos und schüttelte leicht den Kopf.
    "Aber ich kümmere mich genau wie um die Menschen auch um das Getier Exilias. Sie sind immerhin unsere Lebensversicherung wenn man es so will nicht wahr?"
    Vitus fasste nach seinem Ceridenkreuz, welches er stets am Gürtel trug und blickte kurz nach Oben.
    "Dem Eynen sei dank habe ich momentan nicht viel zu tun."
    Er blickte freundlich zu Valentin zurück.

  • Valentin nickte. Es war offensichtlich, dass er die Beiden nicht ihres Berichtes wegen hatte herufen lassen, denn seine Miene verriet, dass er über das Gesagte bereits im Bilde war. Was aber war der Grund für die Vorladung?
    "Ihr werdet Euch sicherlich fragen, warum ich Euch heute hier hergeladen habe..."
    Er schaute zu seinem Ordensbruder Vitus, dann wanderte sein Blick zu dem Verwalter Galwine Camdagnir. Er machte eine dramatische Pause.
    "Auf dem nunmehr verangenem Sommerfeldzug habt Ihr mir, geschätzter Verwalter, geraten gewisse Vorkehrungen zu treffen - Ihr erinnert Euch? - Gewisse Vorkehrungen für den Fall, dass ich einmal nach Norden gehe..."
    Valentin war noch recht jung und war trotz seines Alters erstaunlich schnell vom einfachen ceridischen Mönch zum höchsten Exilant aufgestiegen.
    "In den vergangenen Jahren ist mir mehrfach nach meinem Leben getrachtet worden. Auf den Sommerfeldzügen, fernab unserer sicheren Mauern, wird mir jedes Mal erneut vor Augen geführt, dass an manchen Orten noch immer Chaos und Barbarei herrschen. Die Hinrichtung des ersten Protektors Exilias, Kire Schattenhaar, sollte gezeigt haben, dass selbst Männer von hohem Amte schneller nach Norden geschickt werden, als ihnen lieb sein mag. Wir Alle kennen die Auswirkungen, die sein Ableben für das Protektorat bedeutete: Das Fehlen einer geordneten Struktur und einer geregelten Nachfolge hinterließ die noch junge Siedlung in Unsicherheit. Es kam zu Unruhen, doch die Reformation Exilias lies das Protektorat neu erblühen..."
    Valentin nahm ein kleines Holzkästchen zur Hand und öffnete es.
    "Nun, ich hoffe, dass der Eyne mir noch viele Zyklen schenken möge - doch ich möchte Eurer Bitte, Verwalter, nachkommen und habe mir viel Zeit gelassen dieses Testament zu schreiben. Möge es den Exilanten ein Licht sein in tiefer Dunkelheit."
    Das Kästchen enthielt eine Schreibfeder und drei von dem exilantischen Siegel verschlossene Papiere.
    "Ich habe lange darüber nachgedacht wem ich meinen letzten Willen anvertraue und habe mich für Euch entschieden. Sofern Ihr willens seid fällt Euch die Aufgabe zu dieses Schriftstück aufzubewahren bis zu dem Zeitpunkt, da ich aus dieser Welt scheide und vor den Eynen trete. Erst an jenem Tage sollen die Siegel gebrochen und der Inhalt verkündet werden."
    Der Protekor blickte zu seinen Gästen. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig, als sei eine Last von ihm genommen, die er wochenlang mit sich geschleppt hatte.

  • Auch aus Galwines Gesicht verschwand der Hauch von Anspannung, der zu Beginn des Gesprächs dort zu sehen gewesen war. Er hatte schlechte Nachrichten erwartet, Probleme oder Vorboten eines Unheils, das heraufziehen mochte. Er bewahrte sich stets eine Spur Misstrauens gegenüber der langanhaltenden Glückssträhne, die das Protektorat zu segnen schien. Doch dies war eine gute Nachricht, eine sehr gute sogar! Es erleichterte ihn ungemein, dass der Protektor mit diesem Schritt Exilias Wohlergehen auch über seinen eigenen Tod hinaus zumindest vorerst sichergestellt hatte- er mochte sich nicht vorstellen, wie die Exilanten auf eine weitere Zeit der Unsicherheit wie jener, vor der Ernennung Valentins reagiert hätten. Möglicherweise wären größere Unruhen entstanden, als damals beim Auszug der Verräter. Die Siedlung hatte sich seit dem gut erholt, war gewachsen und stand nun besser da als je zuvor und doch ließ die Erinnerung Galwine für einen Moment schaudern. Nein, Stabilität war das, was Exilia nun vor allem anderen brauchte und Valentin hatte einen weiteren Schritt unternommen, diese zu sichern. Darüber war er froh.
    Gleichzeitig befriedigte ihn der Gedanke ungemein, dass der Protektor mit diesem Schritt seiner Empfehlung- um nicht zu sagen: seiner Bitte- nachgekommen war, auch wenn es ihn einige Geduld gekostet hatte. Denn er erinnerte sich sehr wohl an das kurze Gespräch, dass sie zu diesem Thema auf dem Feldzug geführt hatten. Er hatte zuvor eine Weile überlegt, wie er seinen Vorschlag am besten Übermittlen konnte. Jemandem nahezulegen, ein Testament zu schreiben, war nicht unbedingt die beste Art, sich dessen Zuneigung zu sichern. Letztlich hatte aber die Sorge um Exilia Vorzug vor der Sorge um seine eigene Stellung erhalten.
    Und seine Geduld war belohnt worden. Es war schön zu wissen, dass sich der Protektor seiner Ratschläge entsann und sie beherzigte. Vielleicht würde sich seine Geduld bald auch in anderen Belangen auszahlen.


    Als der Protektor seine kurze Ansprache beendet hatte, lächelte Galwine.
    "Ich erinnere mich sehr wohl. Und ich danke Euch, dass Ihr mir damit eine Sorge nehmt, die mich schon längere Zeit umtreibt. Ich glaube, dies ist keine leichte Angelegenheit und es ist gut, dass Ihr Euch die notwendige Zeit für reifliche Entscheidungen genommen habt.
    Dass Ihr uns zu den Wahrern Eures letzten Willens erkoren hat, bedeutet für mich eine große Ehre und auch dafür danke ich Euch
    ", sagte er und meinte es.
    "Gedenkt ihr, bekannt zu geben, wer die Hüter dieses Dokumentes sind, oder soll dies eine Angelegenheit sein, die erst aufgedeckt wird, sobald die traurige Notwendigkeit dazu besteht?"

  • Valentin nickte.
    "Die Namen sollen in der Siedlung ruhig bekannt gemacht werden. Der Umstand, dass ich mit euch beiden gleich zwei Hüter dieses Schriftstückes bestimmt habe, soll als Sicherheitsmaßnahme dienen, die sowohl Diebstahl als auch Fälschung vorbeugt."
    Der Schrei mehrer Möwen drang von Außen herein, vermutlich waren die Fischer gerade dabei ihren Fang zu verarbeiten.
    "Darüber hinaus habe ich Vorkehrungen getroffen: Die Testamente sind versiegelt und beziehen sich inhaltlich aufeinander. Selbst wenn eines der beiden Schriftstücke entwendet wird, braucht man das Zweite um seine Echtheit zu belegen."
    Ich habe unter Allen gerade Euch ausgewählt, weil ich meinen letzten Willen in euren Händen sicher wähne. Ich gehe davon aus, dass ihr darauf aufpasst als wär' es euer Augenlicht. Für den Fall der Fälle - was der Eyne mit aller Macht verhindern möge! - habe ich noch eine weitere Kopie meines Testamentes angefertigt. Dieses Schriftstück wird jedoch verborgen werden und sein Aufenthaltsort soll selbst Euch, meinen engsten Vertrauten, unbekannt sein. Eines fernen Tages, wo es mir nicht mehr vergönnt sein mag unter Euch zu wandeln, da wird sich der Hüter dieses dritten Exemplares zu erkennen geben und somit Gewissheit bringen über meinen letzten Willen..."
    Valentin ging nicht davon aus, dass dieser Fall je eintreffen würde. Er hatte sich nicht bloß mit der Formulierung seines Testaments viel Zeit gelassen, sondern auch mit der Auswahl derer, die seinen letzten Willen tragen sollten. Das dritte Exemplar war lediglich für den Fall gedacht, da beide Schriftstücke gestohlen, verfälscht oder vernichtet würden.
    Valentin entnahm dem Holzkästchen zwei der gesiegelten Papiere und reichte seinen Gästen jeweils eines.
    Er wandte sich dem Verwalter zu.


    "Wie ich vor wenigen Tagen bereits andeutete, so wird noch vor Beginn des Sommerfeldzugs unser geliebtes Protektorat erneut Ort der Begegnung und des Wissenaustausches sein. Wir haben die Ehre ihre Exzellenzen, Würdenträger und Protektoren des Reiches begrüßen zu dürfen. Ich bitte Euch darum alles Nötige zu veranlassen und mich regelmäßig über den Stand der Vorbereitungen zu informieren. Exilia soll unseren Ehrengästen in vollem Glanze erstrahlen."

  • Die Übergabe der gesiegelten Schriftstücke erfolgte knapp und formlos, man merkte jedoch, wie wichtig es dem Protektor war seinen letzten Willen in sicheren Händen zu wissen.
    Erneut wandte er sich an den Verwalter.
    "Überdies werter Verwalter möchte ich, dass ihr erneut prüft ob eine mögliche Übergabe der Bibliothek mittlerweile möglich ist und ob der Schriftkundige Valis für die Leitung dieser geeignet wäre.
    In Rücksprache mit Cubitor Grävalk wünsche ich zudem, dass ihr unter den Bewaffneten mögliche Kandidaten für dessen Nachfolge als Anführer der Streitkräfte Exilias benennt. Ich habe nicht vor ihn aus seinen Diensten zu entlassen, doch in Anbetracht seines langwierigen Leidens sind gewisse Vorkehrungen zu treffen - er hat mir dabei vollkommen zugestimmt.
    Selbstverständlich gebietet sich hierbei ein gewisses Maß an Diskretion - wir wollen schließlich niemanden unnötig beunruhigen."

    Falls weitere wichtige Posten noch zu besetzen seien, so bat er seinen Verwalter sich diesen ebenfalls anzunehmen.
    "Ich gedenke zudem, nun da der Winter vorbei ist, erneut Gericht zu halten. Der kommende Vastustag* sollte dafür geeignet sein." (*Montag)
    Damit schien die Audienz beendet zu sein. Der Protektor war zufrieden. Doch dann richtete Valentin erneut das Wort an Galwine.
    "Desweiteren erhaltet ihr von mir den Auftrag alles Nötige für die Zeremonie und den anschließenden Feierlichkeiten zur Ernennung des neuen Cubitors zu veranlassen..."

  • Galwine war für einen Moment perplex. Er hatte ansetzen wollen, auf die erste Aufforderung des Protektors zu antworten, also dieser schon mit dem nächsten Thema fortfuhr. Auch, um sich Gelegenheit zu verschaffen, über das zuletzt Gesagte nachzudenken, begann er damit, was er eigentlich hatte sagen wollen:
    "Ich versichere Euch, Protektor, schon jetzt in umfassender Weise Weisungen zur Vorbereitung auf den hohen Besuch erlassen zu haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir unseren Gästen einen angemessenen und Exilia würdigen Aufenthalt bescheren werden, der in guter Erinnerung bleiben wird. Wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt, werden die Versammlungen und Gespräche größtenteils in der Niederlassung der N.O.R.D am Tor des Ostwinds stattfinden. Das war auch bei der letzten Gelegenheit ein günstiger Ort. Auch habe ich mir vorgenommen, mich in dieser Zeit ständig selbst vor Ort davon zu überzeugen, dass alles zu unserer und der Gäste Zufriedenheit eingerichtet ist."
    Er machte eine kleine Pause und fuhr fort:
    "Der Betrieb der Bibliothek geht in seiner jetzigen Form seinen Gang, die Fortschritte und damit die Bedeutung der Bibliothek ist allerdings überschaubar. Valis übernimmt schon jetzt viel Verantwortung (obwohl er sich dessen wohl nicht bewusst ist) und er wäre sicherlich dazu geeignet, die Leitung der Bibliothek zu übernehmen. Vielleicht wäre eine offizielle Beförderung schon jetzt angebracht und sogar dem Fortschritt zuträglich. Ich bin mir im Augenblick jedoch nicht sicher, ob ihm die übertragene Verantwortung gefallen und ihn beflügeln, oder aber vielmehr belasten und hemmen würde. Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihn befragen und herausfinden, welches Vorgehen das geeignetste ist."


    Die Nachfolge Grävalks zu klären, war ein weiterer Schritt in Richtung Stabilität, den Galwine sehr begrüßte- umso mehr als er den wackeren Krieger mochte, und schon lange schweren Herzens zusah, wie er sich zum Wohle Exilias quälte. Dass er einer Nachfolgeregelung zustimmte, zeigte, wie schlecht es um ihn stehen musste.
    "Ich werde mit Cubitor Grävalk über diese Angelegenheit sprechen und die geeigneten Kandidaten finden. Allerdings glaube ich, dass diese Aufgabe einige Zeit in Anspruch nehmen wird, der betreffende Soldat sollte schließlich nicht nur die militärischen Voraussetzungen erfüllen und die notwendigen Fähigkeiten mitbringen, sondern sich bereits sosehr um Exilia verdient gemacht haben, dass seine Ernennung zum Cubitor angemessen erscheint. Das Volk wird sich sicherlich über die Ernennungsfeierlichkeiten freuen und ich versichere Euch, mich zu gegebener Zeit darum zu kümmern. Oder hat dies größere Dringlichkeit, als es mir nun erscheint?"


    Schon bald einen Gerichtstag abzuhalten, kam Galwine gelegen und auch der von Valentin gewünschte Termin schien geeignet. Er musste lediglich noch am heutigen Tag einen weiteren Boten nach Silvarode schicken, um den dort arbeitenden Exilanten Gelegneheit zu bieten, rechtzeitig nach Exilia zurückzukehren. Die Flexiblen Arbeitskräfte, die in der Stadt tätig waren, würde er soweit wie möglich an diesem Tag für die Dauer der Verhandlungen freistellen, damit auch sie daran teilnehmen konnten. Er war zuversichtlich, dass das letzte Urteil an diesem Tag gesprochen sein würde, noch bevor die letzten Sonnenstrahlen über die Kuppel der großen Halle wanderten. Die letzten Monate waren recht ruhig gewesen, er selbst hatte die meisten der kleineren Konflikte, die an ihn herangetragen worden waren, aus der Welt geschafft und ihm lagen nur wenige Beschwerden vor, über die der Protektor zu entscheiden hatte, die Zahl der Straffälligen war gering und die Schwere der ihnen vorgeworfenen Verbrechen größtenteils ebenso. Natürlich konnte man nie wissen, was an einem solchen Tag noch zusätzlich direkt an den Protektor herangetragen wurde. Da sich ihm in diesem Moment keine Frage aufdrängte und er nicht glaubte, etwas näher erläutern zu müssen, nickte er lediglich mit dem Kopf, zum Zeichen dass er einverstanden war, als der Protektor den Gerichtstag ankündigte.

  • Valentins Züge verrieten Zustimmung über das Gesagte und dennoch schüttelte er leicht den Kopf. Etwas schien dem Verwalter entgangen zu sein.


    "Ihr scheint mich missverstanden zu haben werter Herr Verwalter. Wohl sollt ihr euch auf die Suche machen, nach einem Nachfolger für Cubitor Grävalk - dies wird, wie ihr sagtet, einige Zeit in Anspruch nehmen - doch die angedachte Ernennungsfeierlichkeit gilt nicht seinem Nachfolger, sie gilt jemand anderem."

  • Einem anderen? Offensichtlich gedachte der Protektor einen weiteren Bürger Exilias zum Cubitor zu machen - das war gut, hielt Galwine doch die bescheidene Zahl von zweien in diesem Rang für unangemessen klein. Die Exilanten konnten allmählich zu dem Schluss kommen, es sei inzwischen vollkommen unmöglich, sich diese Anerkennung zu verdienen.
    Doch sollte er, wie es schien, eine Feier vorbereiten, ohne zu wissen, wer die Ehre empfangen sollte. Das war seltsam und passte nicht recht zur sonstigen Aufgeschlossenheit, die der Protektor ihm gegenüber zeigte.
    Er lächelte, kniff leicht die Augen zusammen, hob für einen Moment die Augenbrauen ein kleines Stück und versuchte im Gesicht des Protektors zu lesen.
    Nun gut, sollte Valentin diese Freude vergönnt sein. Er würde schon rechtzeitig ins Bilde gesetzt werden und zumindest jetzt nicht weiter nachbohren. Für ihn war ohnehin eine andere Frage entscheidend.
    Daher sagte er, wobei er ein vieldeutiges Zögern im ersten Wort mitschwingen ließ: "Gut... Wann soll die Ernennung stattfinden?"

    „Wenn Ihr es genau nehmen wollt: Man spricht es [ˈgal.vɪn]. Das e am Ende ist stumm.“ :exilia:

    Einmal editiert, zuletzt von Galwine ()

  • Der Protektor saß noch immer hinter seinem Schreibtisch. Der Anblick seines neuen Hutes war gewöhnungsbedürftig und er pflegte ihn stetig zurechtzurücken, damit er zur vollen Geltung kam. Ohne Zweifel fand er Gefallen an seiner extravaganten Kopftracht.
    Ein Lächeln breitete sich auf dem sonst von allerlei Sorgen geprägtem Gesicht des Protektors aus. Er nahm sich einen Moment um den Verwalter vielsagend anzuschauen:


    "Ganz wie es Euch beliebt Herr Verwalter - es ist schließlich Euer Ehrentag..."