Promenade der Unsterblichen

  • "Es war verschieden. Einige riefen einen Gott wie den deinen an. Die meisten vermählten sich vor Var. Allerdings war dabei kaum ein Geistlicher zugegen. Drogdant ist ein kleines Dorf - abgesehen von den Händlern, die in den Wirtshäusern nächtigen, kommt dort kaum jemand vorbei.
    Was ist es, das dich hier verwunderte?"

  • "Nunja, auch wenn ich nie selbst etwas von dem verstehen werde, was Mann und Frau vereint, so scheint es dennoch geläufig, dass sich mit der Zeit Partner finden und einen Bund schließen.
    Bei den Ulu-Mulus herrscht jedoch ein wildes Treiben: Ichsen haben keine festen Lebenspartner - es wird auch kein Halt vor Familienmitgliedern gemacht."

  • "Ja, doch scheint mir ein solches Verhalten unzüchtig zu sein. Oder?"
    Valentin dachte einen Moment lang über seine eigenen Worte nach. Er war ein durchaus gebildeter junger Mann, ein fähiger Arzt - er wusste wie es um die Natur der Dinge bestellt war und kannte die teils dramatischen Auswirkungen, die Inzest mit sich brachte.
    Der Schrei eines Larks war in der Nähe zu hören. Ein paar Meter über ihnen lag die Larkschreihöhe.
    Langsam kamen sie dem schatten des Turmes näher. Valentin fragte unvermittelt:
    "Mit wie vielen Frauen hattest du schon..."

  • Eine Weile wusste Zarim nicht recht, wie er auf die Frage am besten eingehen sollte. Er war es nicht gewöhnt, dass ihm solcherart Fragen gestellt wurden und bei den meisten Siedlern hätte er wohl nicht erwogen sie tatsächlich zu beantworten.
    "Wohl nicht mehr als die meisten jungen Männer, die sich nicht zufällig einem Kloster verschrieben haben, denke ich", begann er schließlich dennoch. "In meiner Jugend hatte ich einige Mädchen und auch ein paar ältere Frauen. Vor allem in jener Zeit, in der ich alleine durch die Städte reiste und mir mit der Alchemie mein Brot verdiente. Ich hatte eine gewisse Stammkundschaft aufgebaut und einige der Damen waren... nunja - ein wenig einsam, während ihre Männer auf den Schlachtfeldern waren." Zarim musste breit grinsen. "Meistens beschränkte sich meine Gesellschaft natürlich auf einen Tee und einen Plausch, aber mitunter...
    Die Mädchen kamen vor allem aus den kleineren Dörfern, durch die ich regelmäßig kam. Irgendwann hatte ich Bekanntschaften hier und dort und auch die Jugendlichen kannten mich. Ich kam von weit her, hatte viel zu erzählen und es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass ich für die Verhältnisse einer Bauerstochter damals schon alles andere als mittellos war. Ich denke im Nachhinein habe ich das einige Male schamlos ausgenutzt.

    Eine Weile starrte Zarim vor sich hin. Was war das für ein Gesicht, dass er unvermittelt vor seinem inneren Auge sah? Ein schönes, zartes Gesicht. Ein Mädchen - bereits eine Frau, doch dem Kind noch nicht lange entwachsen. So alt wie er gewesen war. Er wusste, dass sie unter Bäumen gelaufen war und im Moos gelegen hatte. Sie hatte ein weißes Kleid getragen. Hatte er sie geküsst? Hatten sie mehr getan? So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht erinnern.
    Vielleicht war es nur kalte Wind des Meeres, doch mit einem mal fröstelte Zarim stärker als zuvor. Er wischte den Gedanken fort.
    Hier auf Mitraspera habe ich mich zurückgehalten. Vielleicht ist es die Wissenschaft, die einem nach und nach die Vergnügungen austreibt. Ich hatte wohl zweimal kleinere Liebeleien mit Barmädchen in Paolos Trutz, doch darüber hinaus -
    Ich habe noch keine Exilantin verführt, falls du das wissen möchtest!"

  • "Der Eyne bewahre mich...", Valentin schüttelte den Kopf. "Und wenn schon... Mir fiel bloß auf, wie sich so manch junges Fräulein nach die umdrehte. Ich will meinen, dass du eine gute Partie abgibst: Du bist jung, vermögend, sehr erfolgreich, Cubitor und Träger eines Hochamtes. In anderen Ländern würden die Höfe sich um deine Person streiten und dich mit lohnenden Brautgeschenken locken wollen. Ich sah Jüngere als dich bereits verheiratet."
    Der große Turm ragte wenige Schritte vor den Beiden in die Höhe. Von hier aus konnte man den Stufen hinauf ins Principal folgen. Der Protektor blieb einen Moment lang stehen und schritt dann hinüber zur Brüstung, an die er sich lehnte.
    "Denkst du denn darüber nach ein Weib zu dir zu nehmen? Oder lassen dir deine Forschungen keine Zeit andere Gebiete zu ergründen?"
    Verlegen lächelte Valentin seinen Freund an. Er meinte es bloß gut mit ihm.

  • Zarim lehnte sich neben Valentin an die Brüstung.
    "Du schmeichelst mir.", erwiederte er lächelnd, "Nun, es ist nicht so, dass ich einer Bindung grundsätzlich negativ gegenüberstehe. Aber momentan liegt mein Hauptaugenmerk tatsächlich auf anderen Dingen. Außerdem ist mir die richtige bisher wohl noch nicht über den Weg gelaufen. Weißt du - ich würde mich freuen, wenn eine potentielle Kandidatin ebenfalls eine gewisse Bindung zu diesem Landstrich empfände. Auf der anderen Seite bin ich aber auch nicht vollkommen anspruchslos was den Stand der Dame betrifft und zu guter Letzt, muss sie mir ja schließlich auch noch gefallen. Du siehst - das Rezept scheint größtenteils vorhanden, doch die Zutaten sind noch nicht sämtlich zusammen."
    Zarim lachte.
    "Allerdings bringst du mich auf ein anderes Thema, zu dem ich gerne deine Meinung als Freund hörte. Es stimmt, dass ich vermögend bin, doch meine Vermögensverhältnisse haben sich in der Vergangenheit stark gewandelt. Meine Lebenshaltungskosten sind enorm gestiegen, während mein Einkommen sich nun auf andere Quellen stützt und teilweise zurückgegangen ist. Außerdem ist es möglich, dass in der Zukunft Situationen auf mich zukommen, in denen ich spontan größere Mengen - auch privater - Mittel benötige. Ich trage den Gedanken schon eine Weile mit mir herum und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nur vernünftig wäre mir wirtschaftlich einen neuen Stützpfeiler zu errichten. Ich denke dabei zurück an die Zeiten, in denen ich mit wenig Ausrüstung durch die Städte zog und mit den Methoden einfacher Alchemie recht beträchtliche Summen zusammenbrachte. Natürlich würde mich mein damaliges Einkommen heute nur wenig weiterbringen, außerdem fehlt mir die Zeit und offengestanden auch die Lust einen großen Teil meiner Zeit hinter einem Athanor zu stehen und Rezepte nachzubrauen, doch das Prinzip könnte - in einem veränderten Rahmen - auch jetzt funktionieren."
    Zarim machte eine kurze Pause um einen tiefen Schluck der kalten Luft zu nehmen.
    "Worüber ich nachdenke, ist eine größere Produktionsstätte für Alchemische Produkte zu errichten. Natürlich müsste man zuerst den Bedarf klären, doch ich denke, dass allein der Markt an privaten Abnehmern nicht unerheblich ist. Vielleicht gibt es auch Protektorate ohne eigene Produktion dieser Waren. Auch Verträge über das zur Verfügung stellen derartiger Produkte im Kriegsfall könnten erfolgreich sein. Ich müsste ich zuvor fähige Meister finden, die die Produktion des Betriebes sicherstellen. Die Finanzierung sollte kein Problem darstellen. Ich kann über meine gesparten Mittel und über Vermögen meiner Familie eine ausreichend stattliche Summe zusammenbringen."
    Er sah Valentin erwartungsvoll an.
    "Was denkst du?"

  • "Tränke als Handelsware... Ja, mir ist bekannt, dass Selfiran einen solchen Handel mit Luxusartikeln betreibt. Sie versenden jedoch hauptsächlich Heiltränke. Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass solche Geschäfte durchaus lukrativ sein können. - Für Exilia versteht sich."
    Valentin schaute seinen Freund an. Die Stoffe, die er trug, sahen, wenn auch nicht besonders prunkvoll, doch sehr gut verarbeitet aus. An den Händen trug er edle Ringe. Der Bart war ordentlich gestutzt und auch sonst machte er einen durch und durch sauber und gepflegten Eindruck, nicht dass es ihm an etwas Nötigem fehlen würde.
    "Was meinst du damit, dass deine Lebenshaltungskosten gestiegen sind? Fehlt es dir denn an Etwas? Ich hörte dich stets gut von deiner Haushälterin reden. Das Haus, welches du am Marktplatz bewohnst hast du dir selbst erwählt. Oder fehlt es dir an Ausstattung deiner Laboratorien?"

  • Zarim überging die Frage nach seinen Bedürfnissen. Fürwahr, was er am Körper trug war nicht eben billig. Doch darum ging es hier nicht.
    "Ich denke, du hast verstanden, was ich meinte. Dieser Betrieb wird nicht lukrativ für Exilia sein. Es sei denn, du hast vor ihn zu besteuern. Doch er wird Exilia auch nichts kosten. Weder wird er mit Geld aufgebaut sein, dass aus Exilia stammt, noch wird er Exilantische Arbeitskraft binden."
    Zarim verschränkte die Arme vor der Brust und sah Valentin schräg an.
    "Hast du vor, mir in dieser Angelegenheit Steine in den Weg zu legen?"

  • Valentin antwortete, indem er die Vorstellungen seines Freundes, noch einmal in eigene Worte fasste.
    "Du möchtest Tränke brauen, ohne die Hilfskräfte Exilias, ohne Kräuter, Tinkturen oder Zutaten aus Exilia zu benutzen. Die Produktionsstätte soll ebenfalls nicht durch die Mittel des Protektorats eingerichtet werden, noch auf dem Land Exilias stehen. Das Geld, welches du durch den Verkauf hoffst zu verdienen soll in dein Privatvermögen fließen... - Entweder habe ich dich nicht richtig verstanden oder aber es bleibt mir nichts Anderes als dir Glück und Erfolg für dein Unterfangen zu wünschen."
    Valentin war sich nicht sicher, wozu Zarim eigene Mittel benötigte, wurde doch bisher alles Nötige vom Protektorat gestellt.

  • "Doch", sagte Zarim. "Du hast mich richtig verstanden."
    "Falls das alles, ist, was du dazu zu sagen hast, danke ich dir, für deine guten Wünsche."
    Zarim war erstaunt. Valentin war noch nicht lange Protektor. Sollte diese Kurze Zeit ausgereicht haben, seine Interessen, vollkommen auf die Interessen des Protektorats zu beschränken? Hatten Dinge, die nicht zugunsten und nicht auf dem Land Exilias geschahen, aufgehört, Valentins Interesse zu erregen? Oder gab es etwas anderes, an Zarims Plan, das den Freund störte?
    "Falls mein Vorhaben dich in irgendeiner Weise verärgert, so tut es mir leid. Ich sprach das Thema an, um deine private Meinung zu hören - nicht um Zwietracht zu sähen."

  • "Warum sollten mich deine Pläne verärgern? Nein, ganz im Gegenteil: Ich freue mich wirklich für dich. Ich habe dir wohl nur nicht gleich folgen können... mich beschäftigt in letzter Zeit so Einiges, was mich nicht loslassen will: Da ist dieses Leuchten und nun dieser Baum und -", er fasste sich mit einer Hand an die Schläfe. "Aber ich bin davon überzeugt, dass sich bald Einiges aufklären wird. Ja doch!"
    Er lächelte wieder. Ein Lächeln, das zeigte, dass er positiv in die Zukunft blickte, in eine Zukunft wo er Exilia weiter blühen sehen konnte.